Kraftwerk mit Doppelherz

Moderne Kombi-Kraftwerke erzeugen Strom aus Gas und Dampf. Ein findiger Ingenieur aus Halle hat dieses Konzept weiterentwickelt, um künftig Energieanlagen bauen zu können, die noch effizienter, noch umweltfreundlicher und noch flexibler arbeiten als jemals zuvor.

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Von
  • Denis Dilba
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Moderne Kombi-Kraftwerke erzeugen Strom aus Gas und Dampf. Ein findiger Ingenieur aus Halle hat dieses Konzept weiterentwickelt, um künftig Energie-anlagen bauen zu können, die noch effizienter, noch umweltfreundlicher und noch flexibler arbeiten als jemals zuvor.

Es war ein kleines Problem, das Siegfried Westmeier zu einer großen Idee inspirierte. Vor fünf Jahren rief den promovierten Physiker und Experten für Umwelt- und Kraftwerkstechnik ein Auftrag nach Sachsen. Der Betreiber eines Holzkraftwerks wollte nicht nur Strom erzeugen, sondern nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung mit der Abwärme aus dem Verbrennungsprozess auch ein Neubaugebiet beheizen. Dort wurde nun aber doch nicht gebaut. Wohin also mit der Wärme? Westmeier, der seit 1995 seine eigene Firma, die SWU Gesellschaft für Umwelttechnik mbH in Halle, führt und bereits etliche Projekte zur Wärmenutzung realisiert hatte, musste nicht lange nachdenken: Auch aus der Abwärme des Holzkraftwerks kann Strom erzeugt werden, wenn sie zur Produktion von Wasserdampf genutzt wird, der wiederum eine Turbine antreibt. Aber mit den maximal zur Verfügung stehenden 300 Grad Celsius waren keine großen Mengen an Dampf zu erwarten.

Der Wirkungsgrad war zu gering und hätte somit nicht den Aufwand für die Technik gerechtfertigt. Hier konnte Ammoniak Abhilfe schaffen, das bereits bei minus 33 Grad Celsius siedet und deshalb schneller als Wasser verdampft. Allerdings ist Ammoniak giftig, weshalb Westmeier mit diesem Stoff nicht arbeiten mochte. "Da blieb nur Kohlendioxid übrig", überlegte der Ingenieur. Mit diesem ungiftigen und in ausreichenden Mengen vorhandenen Gas als Arbeitsmittel kann theoretisch ebenfalls ein Dampfkreislauf aufgebaut werden, der es ermöglicht, auch aus Abwärme mit relativ geringer Temperatur Strom zu produzieren.

Noch bevor ein einfacher CO2-Kreislauf umgesetzt werden konnte, ging allerdings der Betreiber des Holzkraftwerks pleite. Doch Westmeiers Idee wuchs stetig weiter. Herausgekommen ist ein neuer Kraftwerkstyp, den er wegen der technischen Verwandtschaft zu einem Gas-und-Dampfturbinen-Kraftwerk (GuD) Gas-und-Fluidkraftwerk nennt – kurz GuF. Um es gleich zu sagen: Noch existiert Westmeiers innovative Stromfabrik nur als Konzept auf dem Papier. Denn die von ihm entwickelte und patentierte Anlage ist derart komplex, dass allein die Bauplanung mehrere Jahre in Anspruch nehmen würde. So soll das CO2 aus der Erdgasverbrennung in einem unterirdischen Speicher aufgenommen werden, der damit zugleich als Zwischenlager für den CO2-Kreislauf dient. Eine ebenfalls unter Tage anzulegende Druckluftkaverne soll als Zwischenspeicher Energie aus Sonne und Wind aufnehmen.

Damit liegt Westmeier voll im Trend. Denn Windkraftwerke und Photovoltaikanlagen produzieren nur dann Strom, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Da der Strom aus den Erneuerbaren bisher nicht im großen Maßstab gespeichert werden kann, Elektrizität aber rund um die Uhr bei allen Wetterbedingungen benötigt wird, müssen auch in Zukunft fossile Kraftwerke die Stromversorgung absichern. Moderne Kraftwerke sollten daher, wenn Strom dringend benötigt wird, möglichst innerhalb von wenigen Minuten ihre volle Leistung ans Netz abgeben und bei Überkapazitäten rasch ihre Stromproduktion wieder herunterregeln können.

Für Manfred Aigner, Leiter des Instituts für Verbrennungstechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart (DLR) und baden-württembergischer Sprecher der Forschungsinitiative "Kraftwerke des 21. Jahrhunderts" (KW21), stellen effiziente und flexible GuD-Kraftwerke die ideale Ergänzung zu den erneuerbaren Energien dar. Bei diesen Kraftwerken erzeugen sowohl eine Gasturbine als auch eine nachgeschaltete Dampfturbine Strom. Sie können aus dem Stand innerhalb einer halben Stunde mit ihrer vollen Leistung ans Netz gehen, im Teillastbetrieb ohne ihren Dampfprozess sogar noch schneller, und sind somit in der Lage, Lastschwankungen bei der Stromproduktion durch Wind und Sonne auszugleichen. Durch die Hintereinanderschaltung von Gas- und Dampfturbine kann die Wärmeenergie in den Verbrennungsabgasen der flotten GuD-Anlagen effizient ausgenutzt werden: Während die Gasturbine bei einer Temperatur zwischen 1500 und rund 600 Grad Celsius arbeitet, nutzt die Dampfturbine das Potenzial der Abgastemperatur von 550 bis etwa 50 Grad Celsius. Somit wird kaum Wärmeenergie verschenkt. Der Gesamtwirkungsgrad eines GuD-Kraftwerks liegt daher bei rund 55 Prozent, der von Kohlekraftwerken unter 40 Prozent.

Westmeiers GuF-Kraftwerk dagegen kommt auf sensationelle 86 Prozent. Damit schlägt der Physiker nicht nur alle anderen fossilen Anlagetypen bei der Effizienz, sein Konzept scheint auch in anderen Kriterien den fossilen Kraftwerken überlegen zu sein: Neben den vermiedenen CO2-Emissionen können auch Stickoxide systembedingt gar nicht erst entstehen. Künftig könnte mit den gleichen Vorteilen sogar Bio- oder Synthesegas alternativ zu Erdgas verfeuert werden. Wäre Westmeiers "eierlegende Wollmilchsau" auch flexibel genug, um auf Lastschwankungen im Stromnetz reagieren zu können?