Kraftwerk mit Doppelherz

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Trotzdem hält Thomas Sattelmayer, Inhaber des Lehrstuhls für Thermodynamik an der TU München und bayerischer Sprecher der KW21-Initiative, die GuD-Technologie für noch lange nicht ausgereizt. "Letztlich ist eine weitere Verbesserung aller relevanten Komponenten nötig", sagt der Maschinenbauer. Eine große Rolle bei der weiteren Optimierung spielt die Prozessthermodynamik: So geht eine Erhöhung von Effizienz und Leistung immer mit der Steigerung der Spitzendrücke und -temperaturen einher. "Wenn man auf die letzten 20 Jahre zurückschaut, sieht man, dass große Fortschritte erzielt, aber die Potenziale noch nicht ausgereizt worden sind", erläutert er.

Das sehen auch die Entwickler der Weltrekord-Turbine so: "Wir erwarten, dass wir in fünf Jahren mit über 1550 Grad Prozesstemperatur und einer noch größeren Turbine den Wirkungsgrad der GuD-Anlage um ein weiteres Prozent verbessern können", so ein Siemens-Sprecher. Eine weitere Steigerung erfordere unter anderem die Optimierung der Aerodynamik der Turbinenschaufeln, Wärmeschutzschichten und eine verbesserte Kühlung sowie neue, noch temperaturfestere Materialien. "Hierbei stellt sich aber immer die Frage, ob das technisch Mögliche auch das wirtschaftlich Sinnvolle ist", betont das Unternehmen. Die Wirkungsgradgrenze für klassische GuD-Anlagen sieht Siemens bei über 63 Prozent.

Der Münchner Technologiekonzern weiß, dass die Konkurrenz nicht schläft. Kurz nach der Verkündung des Siemens-Weltrekords meldete sich der US-Konzern General Electric (GE) mit Plänen für ein neues GuD-Kraftwerk zu Wort, das einen Wirkungsgrad von mehr als 61 Prozent haben soll. Seit 2007 arbeite man an der Technologie, die sehr gut mit den Erneuerbaren harmoniere, berichtet Marcus Scholz, Programmdirektor für moderne Kombikraftwerke bei GE. "Bei FlexEfficiency 50 haben wir auf die Fähigkeit, schnelle Lastwechsel zu ermöglichen, besonderes Augenmerk gelegt." Innerhalb von nur 28 Minuten sollen beispielsweise die 530 MW Gesamtleistung des ersten flexiblen GE-Kraftwerks am Netz sein können, wenn es 2015 im türkischen Karaman in Betrieb geht. Ermöglicht werde dieser Blitzstart unter anderem durch die langjährige Erfahrung von GE mit Werkstoffen aus dem Flugturbinenbereich, so Scholz. Diese seien nicht nur extrem leicht und begünstigten so ein schnelles Anfahren, sondern seien auch dauerhaft haltbar. Das müssen die Komponenten der Turbine auch sein: "Unsere Anlagen sind auf eine Jahreslaufzeit von circa 4500 Stunden ausgelegt und erlauben über 200 Startzyklen pro Jahr", teilt Scholz mit.

Am meisten Aufmerksamkeit erzeugte GE aber nicht mit den zweifellos sehr guten Kennzahlen, sondern mit der Ankündigung, erstmals Solar- und Windenergie in den Betrieb eines großen GuD-Kraftwerks einzubinden. Zusätzliche 50 MW Leistung liefert etwa ein Solarturm, der vom kalifornischen Solarkraftwerksbauer eSolar aufgestellt wird, an dem die Energiesparte von GE beteiligt ist. Am oberen Ende des Turms befindet sich ein von Wasser durchflossener Röhrenabsorber, auf den ein Feld aus Hunderten Spiegeln das Sonnenlicht bündelt. "Auf diese Weise entsteht heißer Dampf, den wir dann in den Hauptkreislauf des FlexEfficiency-Kraftwerks einbringen", erklärt Scholz. In absehbarer Zukunft soll die Solarenergie mithilfe von wärmeabsorbierenden Flüssigsalzen auch zwischengespeichert werden können. So kann der Dampfkreislauf des FlexEfficiency-Kraftwerks auch dann unterstützt werden, wenn die Sonne nicht scheint. "Die Technologie ist so weit", betont der Programmdirektor.

Komplettiert wird der Energieerzeugungspark am Südrand der anatolischen Hochebene durch 22 MW Leistung aus Windturbinen. Sowohl das GuD-Kraftwerk als auch die beiden erneuerbaren Energiequellen werden in einen einzigen Netzknoten einspeisen. "Mit der vollen Leistung aus der Sonnenkraft steigt der Gesamtwirkungsgrad des Komplexes dann auf über 65 Prozent", sagt Scholz. Besser wäre nur noch Westmeiers GuF-Kraftwerk. Und das will erst einmal gebaut sein. Deswegen hat der Erfinder auch schon mit den Großen der Branche Kontakt aufgenommen. Bisher mit mäßigem Erfolg: Linde und Gazprom haben ihm nicht geantwortet, ein norwegisches Unternehmen wollte das gesamte Patent, aber nichts zahlen, RWE wollte antworten, hat es aber noch nicht. Westmeier gibt die Hoffnung dennoch nicht auf. Bislang kenne er niemanden, der gesagt habe, dass sein Konzept nichts tauge, so der Einzelkämpfer, "eher im Gegenteil".

DLR-Experte Wolfgang Aigner findet Westmeiers Konzept auf den ersten Blick sehr interessant, aber eben auch sehr komplex. "Grundsätzlich habe ich keinen groben Gedankenfehler entdeckt, auch wenn die 86 Prozent Wirkungsgrad etwas geschummelt sind", meint Aigner. Denn die Energie, die benötigt werde, um die Kavernenspeicher zu füllen, sei nicht berücksichtigt worden. "Es lohnt sich aber sicher, dieses Konzept in Ruhe zu analysieren", urteilt der Verbrennungstechniker. Hielte das GuF-Kraftwerk der näheren kritischen Betrachtung stand, müsse sich im nächsten Schritt ein großes Unternehmen der Weiterentwicklung annehmen. "In jedem Fall würden hier sehr viel Geld, viele Experten und rund zehn Jahre Zeit benötigt", prognostiziert Aigner.

Westmeier würde zwar lieber heute als morgen mit einem GuF-Forschungsprojekt beginnen, geht aber davon aus, dass Kraftwerke auf Basis fossiler Energieträger noch mindestens 30 Jahre das wachsende Arsenal der regenerativen Stromerzeuger ergänzen müssen. "Insofern habe ich noch etwas Zeit", meint der Erfinder. (bsc)