Künstliche Embryonen

Seite 2: Wie regt man die Gewebebildung an?

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Ähnliches beobachtete das Team um Jianping Fu von der University of Michigan, dem auch Shao angehörte – wenn auch fast zufällig. Die Wissenschaftler wollten wissen, ob mechanische Signale wie die von einem weichen oder klebrigen Nährmedium die Fähigkeit zur Gewebebildung verbessern können.

In einem der Versuche sollten Darmzellen angeregt werden, einen Hohlraum zu bilden. In dem Kontrollexperiment kultivierten die Wissenschaftler embryonale Stammzellen auf dieselbe Weise. "Dabei kam es zu der glücklichen Fügung", erzählt Fu. Die Stammzellen formten Sphären, die dem Anfangsstadium der Fruchtblasenbildung ähnelten.

Heute ist die synthetische Embryologie "die heiße neue Grenze in der Wissenschaft und auch der Bioethik", sagt Jonathan Kimmelman von der McGill University in Montreal, Vorsitzender des Ethikkomitees der International Society of Stem Cell Research.

Schon fordern erste Experten die Abschaffung der 14-Tage-Regel, weil sie veraltet sei. John Aach von der Harvard Medical School hält komplett neue ethische Maßstäbe für die Regulierung von Organoid-Experimenten für notwendig. Denn es ginge um ganz andere Fragen als in der klassischen Stammzellforschung: Kann ein im Labor gezüchtetes Mini-Gehirn beispielsweise Leiden empfinden? Kann die bisherige Definition eines Embryos noch gültig sein, wenn völlig neue Varianten erzeugt werden können? "Alle großen wissenschaftlichen Fortschritte zeigen die Ungenauigkeiten etablierter Konzepte auf und zwingen die Menschen dazu, sie zu überdenken", sagt Aach. Wie vermint das Gelände ist, wissen die Forscher sehr gut. Als das Team von Jianping Fu seine Ergebnisse Anfang August veröffentlichte, wählte es seine Worte äußerst sorgfältig und bemühte sich, Vergleiche mit Embryonen zu vermeiden. "Wir müssen mit dem Begriff synthetischer Menschen-Embryo vorsichtig sein, weil einige damit nicht glücklich sein werden", sagt Fu.

Für die Entscheidung, ob die Forscher weiter an ihren embryoähnlichen Geweben arbeiten dürfen, ist die Antwort auf eine Frage ausschlaggebend: Gibt es einen Nutzen? Und wenn ja, wie groß ist er? An den Konstrukten ließen sich zum Beispiel giftige Nebenwirkungen von Medikamenten testen und untersuchen, ob sie Geburtsschäden verursachen würden. Fu hofft, dass die synthetische Embryologie später auch Bioingenieuren helfen könnte, funktionsfähige menschliche Organe wachsen zu lassen. "Ich rede nicht von einem menschlichen Körper ohne Gehirn. Aber eine reelle Möglichkeit wäre die Entwicklung von Mini-Lebern oder Mini-Därmen." Aus diesen könnten sich dann voll funktionsfähige Organe entwickeln, prognostiziert Fu. Sein Labor hat bereits angefangen, Embryoide auf kreditkartengroßen Testchips wachsen zu lassen. Fu nennt es "Hochdurchsatz-Herstellung".

"Wir werden allerdings keinen kompletten menschlichen Embryo züchten", versichert Shao, der inzwischen zum Massachusetts Institute of Technology in Boston gewechselt ist. Diese Grenze zieht auch Insoo Hyun, Professor für Bioethik an der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio. "Ich denke, dass die Forscher Versuche zur Klärung spezieller Fragen entwerfen sollten, anstatt alles zu modellieren", sagt Hyun. "Mein Vorschlag wäre es, nicht aufs Ganze zu gehen."

Das Büro für Wissenschaftspolitik der amerikanischen Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) hat einen internen Bewertungsprozess für Fördermittelanträge. Dabei wird geprüft, ob "die vorgeschlagene Forschung einen Organismus erzeugen würde, der die gesetzliche Definition für ein menschliches Embryo erfüllt". Den Wissenschaftlern aus Michigan zufolge hat die Behörde bislang keine Einsprüche gegen ihre Arbeiten erhoben. Auch das deutsche Embryonenschutzgesetz würde dieser Forschung nicht entgegenstehen.

Aber ob es dabei bleibt? Schließlich liegt der ganze Sinn der Zellhaufen darin, sich auf überraschende Weise selbstorganisierend wie ein Organismus zu entwickeln. Robert Cork leitet das "Virtual Embryo Project", dessen Fotos das Shao-Team zum Identifizieren ihrer Strukturen verwendet hat. Er glaubt, dass die Forscher aus Michigan irgendwann einige der derzeit noch fehlenden Teile erzeugen können. Dann würden sie "Embryonen noch ähnlicher werden".

(bsc)