Linux 4.19: Schöner starten und bereit für das WLAN von Morgen

Seite 3: Neuer Verhaltenskodex für Entwickler

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Der unspezifische "Code of Conflict" habe sein Ziel nicht erreicht.

(Bild: git.kernel.org – 8a104f8b5867 )

Für allerlei Gesprächsstoff hat ein neuer Verhaltenskodex gesorgt. Diesen hatte Torvalds vollkommen überraschend kurz vor Veröffentlichung der vierten Vorabversion von Linux 4.19 etabliert, indem er den Text des neuen "Code of Conduct" in die Kernel-Dokumentation integriert hat. Dabei hat er zugleich den im März 2015 eingeführten und weit gefassten "Code of Conflict" entfernt, der die Entwickler aufrief, großartig zueinander zu sein. Dieser Text habe "sein implizites Ziel nicht erreicht", heißt es im Commit-Kommentar.

Der Commit mit dem Kodexwechsel wurde von Greg Kroah-Hartman vorbereitet und von Torvalds signiert und eingepflegt, bevor er direkt im Anschluss ganz überraschend eine Auszeit von der Entwicklung auf der Liste der Kernel-Hacker verkündete. Die Änderung hatten die zwei offenbar weitgehend im stillen Kämmerlein ausgeheckt; zu den wenigen Entwicklern, die in einem kleinen Zeitfenster kurzfristig Stellung beziehen konnten, zählten die zehn Mitglieder des Technical Advisory Board (TAB) der Linux Foundation, das der Kodex anfangs als Durchsetzungsgremium nannte.

Der neue Verhaltenscodex ist deutlich länger und konkreter als der alte.

(Bild: git.kernel.org – 8a104f8b5867 (Montage))

Der Codex hatte somit keine Begutachtungsphase auf einem öffentlichen Mailverteiler. Ein solches Review durchlaufen nicht nur die größeren, sondern auch die meisten trivialen Änderungen am Linux-Kernel: Das gilt als Eckpfeiler des Entwicklungsprozesses, denn es gibt anderen Programmierern und interessierten Parteien die Chance, vorab Probleme aufzuzeigen.

Die schnelle Integration ohne Review wurde unter anderem von Entwicklern kritisiert, die das Subsystem des Kernels betreuen. Sie sind besonders betroffen: Sie müssen sich beim Begutachten von Patches nicht nur an den Kodex halten, sondern auch auf seine Einhaltung in ihrem Umfeld achten – beispielsweise den Mailverteilern ihres Subsystems. Anfang Oktober haben unter anderem die beiden langjährigen und wichtigen Entwickler James Bottomley (1, 2, 3) und Geert Uytterhoeven (1, 2, 3) einige Änderungen am Text des Kodex vorgeschlagen. Kroah-Hartman, der Torvalds während seiner Auszeit als Leiter der Linux-Entwicklung vertritt, hat dazu nicht näher Stellung bezogen; darüber hinaus sind sich auch die Entwickler nicht einig, ob die vorgeschlagenen Änderungen sinnvoll sind oder nicht.

Greg Kroah-Hartman hat sich in die Diskussionen zwar nicht eingeschaltet, sich dem Thema zu der Zeit aber bereits gewidmet. Das zeigte sich kurz vor der Freigabe von Linux 4.19, als er sieben Änderungen zur Diskussion stellte, die den Verhaltenskodex betreffen; diese sind dann direkt vor der Veröffentlichung von Linux 4.19 integriert und damit etabliert worden (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7).

Durch die Änderungen gibt es etwa neue Ansprechpartner, an die sich Leute wenden können, wenn sie den Kodex verletzt sehen: Diese Aufgabe übernimmt ein "Code of Conduct Committee", das gerade gegründet wird. Derzeit besteht es aus Freiwilligen des Technical Advisory Board (TAB), das anfangs als Ansprechpartner und Durchsetzungsgremium genannt war. Durch die Änderung wird auch eine Mediatorin etabliert, die im Zweifel vermitteln soll. Diesen Job übernimmt Mishi Choudhary. Sie ist Legal Director beim Software Freedom Law Center (SFLC) und hat sich darüber hinaus für Zivilrecht im Internet sowohl in den USA als auch in Indien eingesetzt.

Ferner wurde mit den Änderungen ein längeres Dokument hinzugefügt, das bei der Interpretation und praktische Auslegung des Code of Conduct helfen soll. Dieses Dokument wurde von Linus Torvalds und Dutzenden anderen Entwicklern vorab gesehen und abgenickt, wie die vielen "Acked-by" im Commit-Kommentar zeigen; auch die anderen Änderungen am oder rund um den Verhaltenskodex wurden von einer Reihe von Entwicklern vorab gutgeheißen. Diese Anpassungen scheinen manche Kritiker zufriedenzustellen. Einige Entwickler zeigten sich weiter unzufrieden; darunter der frühere MD-Software-RAID-Maintainer Neil Brown oder Alan Cox, der vor rund fünfzehn Jahren als zweitwichtigster Kernel-Entwickler galt. Wahrscheinlich kommen noch andere Punkte auf, daher dürfte es in den kommenden Wochen noch weitere Diskussionen rund um den Verhaltenskodex geben.

Beim Maintainers Summit sind nur 30 Minuten zur Diskussion des COC angesetzt.

(Bild: Mailingliste ksummit-discuss )

Erste Diskussionen stehen gleich nach der am 22. Oktober erfolgten Freigabe von Linux 4.19 an, denn an dem Tag beginnt der diesjährige Maintainers Summit – das diesmal in Edinburgh stattfindende Treffen, auf dem einige der wichtigsten Kernel-Entwickler zusammenkommen, um mit Torvalds über Aspekte bei der Kernel-Entwicklung zu reden. Die Diskussion zum Code of Conduct steht ganz oben auf der Tagesordnung – genau wie für andere Punkte der Agenda sind allerdings auch für diesen nur 30 Minuten vorgesehen.

Nebenbei: Im Rahmen der Diskussionen um den Kodex kursierten Meldungen, Kernel-Entwickler hätten aufgrund des Verhaltenkodex verlangt, dass von ihnen beigesteuerter Code entfernt würde. Tatsächlich hat aber niemand so etwas öffentlich gefordert, der Änderungen zu Linux beigetragen hat. Nach Auffassung von Software Freedom Conservancy und einigen anderen im Open-Source-Bereich tätigen Juristen wären solche Bestrebungen ohnehin nicht mit der GPLv2 durchsetzbar, der Linux untersteht. Außerdem enthält der bei der Kernel-Entwicklung verwendete Prozess sogar eine Regel, damit solche Forderungen in Leere laufen. Wie immer sind das aber nur Regeln und Vorkehrungen, über die im Streitfall letztlich Gerichte entscheiden.