Missing Link: Maria Ressa – von der Verantwortung(slosigkeit) der Tech-Firmen

Die philippinische Journalistin Maria Ressa soll ein halbes Jahr ins Gefängnis. Im Interview erzählt sie, wie es dazu kam und was sich auf der Welt ändern muss.

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MIssing Link: Maria Ressa – Die Verantwortung der Tech-Unternehmen

(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Lesezeit: 25 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Mindestens ein halbes Jahr sollen Maria Ressa, Chefredateurin der Online Nachrichtenplattform Rappler, und ihr Kollege Atuor Rey Santos ins Gefängnis. Das entschied vor zweieinhalb Wochen ein Gericht in Manila. Ressa hatte nach zwei Jahrzehnten als Journalistin und Korrespondentin bei CNN, als Nachrichtenchefin beim philippinischen Sender ABS-CBN, entschieden, dass die Medien sich neu erfinden müssen. Sie gründete Rappler, das mit inzwischen 100 Mitarbeitern investigativ über Dutertes Drogenkrieg und die grassierende Korruption auf den Philippinen berichtet. International gefeiert als Time Magazine Person 2018 und zeitgleich mit ihrem Urteil mit dem Preis des US National Press Council für Pressefreiheit ausgezeichnet, hat sich Ressa in der Duterte-Regierung keine Freunde gemacht. Über die Fallstricke ihres Prozesses, über den Anteil, den die sozialen Medien dabei spielten, über das neue Anti-Terrorgesetz und Angela Merkel sprachen wir via Skype mit Ressa.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Maria Ressa auf der Digital Life Design (DLD) in München im Januar 2020. (V.l.n.r. Peter Sunde (Mitgründer von The Pirate Bay), Maria Ressa, Sinan Aral (Professor of IT & Marketing, MIT).

(Bild: heise online/Monika Ermert)

heise online: Herzlichen Glückwunsch zum Erhalt des John Aubuchon Preis für Pressefreiheit. Sie haben den Preis unmittelbar nach der Verurteilung wegen übler Nachrede im Netz erhalten.

heise online: Was bedeutet der Preis für Sie?

Maria Ressa: Für mich ist er eine Erinnerung, dass wir nicht alleine sind. Andere schauen auf das, was wir tun. Als mich die Nachricht über den Preis erreicht hat, haderte ich mit dem Urteil. Ich war wütend. Ich hatte mich vor der Urteilsverkündung auf das Schlimmste vorbereitet, aber irgendwie hofft man bis zum Schluss, dass es gut ausgeht. Ein paar Minuten nach Verlesung des Urteils wurde mir aber klar, dass es auf einen Schuldspruch hinauslief. Ich habe aufgehört, Notizen zu machen. Mir wurde schlecht. Abgesehen davon, was das Urteil für mich bedeutet, bin ich einfach traurig zu sehen, in welchem Zustand mein Land ist. Der Preis bedeutet für mich, da draußen ist eine größere Welt. Auch wenn es sich gerade so anfühlt, als ob hier alles über uns zusammenbricht und ich nicht weiß, wie hier alles weiter geht, da draußen sind anderen Journalisten, die auch kämpfen und die sich genauso wie wir mit neuer Technologie und Sozialen Medien auseinanderzusetzen haben. Denn die haben uns alle verwundbarer gemacht. Deutschland ist in einem gewissen Sinn besser dran, weil man dort weiß, was passieren kann, wenn Hass durch hoch getaktete Propaganda geschürt wird.

heise online: Sprechen wir erst über das Urteil. Die Richterin hat Wilfredo Keng Recht gegeben, dem Unternehmer, der Sie und ihren Rappler-Kollegen Rey Santos wegen übler Nachrede im Netz angezeigt hat. Sie hätten fälschlicherweise, und in böser Absicht, behauptet, dass Keng eine "zwielichtige Vergangenheit" habe. Ihre Informationen stammten aus Geheimdienstbericht, konnten Sie den zu ihrer Verteidigung einsetzen?

Ressa: Das Urteil war eine ziemliche Rosinenpickerei. Die einzige wirklich exklusive Information in unserer Story war das Foto von der schwarzen Limousine, die von einem Verfassungsrichter gefahren wurde, gegen den gerade ein Amtsenthebungsverfahren lief. Auf dem Foto war das Nummernschild zu sehen….

heise online: Das Auto war auf Keng zugelassen…

Ressa: Ja. Die Geschichte war zum damaligen Zeitpunkt, 2012, als das Amtsenthebungsverfahren lief, von öffentlichem Interesse: ein Verfassungsgerichtspräsident, der noch während des Verfahrens die Luxuskarossen eines Unternehmers nutzte. Wir haben einen alten Artikel von 2002 zu Keng zitiert und den Geheimdienstbericht. Ein erfahrener Senior Editor des Rappler hat mit Rey zusammengearbeitet. Wir mussten die Quelle, von der der Geheimdienstbericht kam, nie preisgeben. Mittlerweile ist der betreffende Kollege gestorben. Wäre es Keng tatsächlich um seinen guten Ruf gegangen und hätte er das Verfahren direkt angestrengt, hätte unser damaliger Kollege dem entgegentreten können. Nicht umsonst ist die Verjährungsfrist für klassische Verleumdungsklagen ein Jahr und nicht 12 Jahre wie in unserem Fall angewandt. Die andere entscheidende Frage, in der die Richterin gegen uns entschieden hat, war Kengs Behauptung, er sei ein Privatmann. Wir haben argumentiert, dass er durch seine Beteiligung zu einer Person von öffentlichem Interesse wurde. Unser Prozess ist wegen der juristischen Akrobatik wirklich spannend. Schon um den Fall überhaupt vor Gericht bringen zu können, musste die Verjährungsfrist angehoben werden. Und dann wurden wir nicht wegen übler Nachrede belangt, sondern wegen der angeblichen erneuten Publikation der Geschichte.

heise online: Weil in der Online-Story 2014 ein Tippfehler verbessert und daher ein neues Datum angezeigt wurde….

Ressa: Wiederpublikation ist kein Straftatbestand. Aber das stand auf dem Haftbefehl, und auch wenn selbst das unbewiesen blieb, darauf lautete die Klage. Das zentrale Problem der Anklage bleibt aber, dass das Gesetz zu Online-Verleumdung rückwirkend auf uns angewendet wurde. Das ist verfassungswidrig. Wir haben am 29. Juni Berufung eingelegt und auf 130 Seiten die juristischen Fehler aufgelistet, die die Richterin aus unserer Sicht gemacht hat. Ich selbst habe auch moniert, dass die Richterin meinen Titel als Chief Executive Editor als "cleveren Trick" bezeichnet hat. Jetzt hat die Richterin selbst nochmals das Wort. In nächster Instanz können wir vors Berufungsgericht ziehen und schließlich bis zum Obersten Gericht. Wir werden alle Rechtsmittel ausnutzen.

heise online: Weder Sie noch Rey Santos haben selbst ausgesagt im Verfahren, können Sie sagen, warum?

Ressa: In meinem Fall war es einfach so, dass ich über die Story und die Recherche der Kollegen zu wenig wusste. Wir haben entschieden, dass unsere Recherchechefin, die für die Vergabe der Themen verantwortlich war, aussagen sollte. Deren Aussage tat die Richterin als "Hörensagen" ab. Das ist lächerlich. Weil die Klage ursprünglich von der Staatsanwaltschaft niedergeschlagen worden war wegen der Verjährungsfrist, wollten wir den laufenden Phishing-Kampagnen der Regierung keine weitere Nahrung liefern. Als die Klage dann durch das Justizministerium doch wieder aufgelegt wurde, hätte ich eigentlich gerne zu den juristischen Problemen ausgesagt, weil ich mich da auskenne. Unser Anwalt hat uns abgeraten und Rey war, weil es ja um Wiederpublikation ging, gar nicht betroffen.

heise online: Der PhilStar hat seinen Artikel über Keng zurückgezogen, warum haben Sie das nicht getan?

Ressa: Vielleicht ist das hier anders. Aber wir bekommen so viele von diesen Anfragen. Wir werden dauernd aufgefordert, Informationen, auf die die Öffentlichkeit einen Anspruch hat, unter den Tisch fallen zu lassen. Rappler hält dagegen. Außerdem, der Philippine Star hat die Geschichte nicht deshalb von seiner Seite genommen, weil sie falsch war. Die Redaktion hat erklärt, dass man es für klug erachtet hat, auf diese Weise der angedrohten Klage aus dem Weg zu gehen. Jeder Verlag trifft seine eigenen redaktionellen Entscheidungen. Ich wehre mich gegen die Idee, dass man uns zum Schweigen bringen kann. Ich wehre mich dagegen, dass jemand mit Macht und Einfluss mit allem davon kommen kann. Und, in diesem Fall handelt es sich nicht um einen einfachen Geschäftsmann. Bei aller gebotenen Vorsicht, er hat eine Vorgeschichte und wir bestreiten im Verfahren seine Aussage, dass er ein einfacher Privatmann ist. Ganz allgemein, wer in unserer Gesellschaft Macht hat, formell oder informell, kann sich Dokumente verschaffen, deren Inhalt nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Ist es nicht auffällig, dass die Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Philippine Drug Enforcement Agency für Keng von jemandem unterschrieben wurden, der mittlerweile für Korruption angeklagt und verurteilt wurde? Dazu haben wir nichts veröffentlicht. Jede Nachrichtenredaktion hat Hunderte von solchen Geschichten, und viele werden nicht veröffentlicht. Ich will eigentlich nur sagen: in unserer Redaktion wird sauber gearbeitet. Am Artikel über Keng haben insgesamt vier Redakteure mitgearbeitet, kumuliert saßen da viele Jahre journalistischer Erfahrung beieinander und als wir das 2012 veröffentlicht haben, war die Geschichte von hohem öffentlichen Interesse.

Screenshot der Website rappler.com

heise online: Der Ausgangspunkt der Geschichte war die Amtsenthebung des Verfassungsgerichtspräsidenten, die bis heute Schlagzeilen macht, obwohl der Betreffende nicht mehr lebt. Wie stark ist der politische Einfluss auf die Justiz in den Philippinen? Ist die Unabhängigkeit von Richtern in Gefahr, um die man sich auch in Ländern wie Polen oder den USA aktuell Sorgen macht?

Ressa: Absolut. Unabhängig von meinem Verfahren, wir haben in den Philippinen eine Demokratie. Wir haben eine Verfassung wie die USA. Aber zugleich haben wir, und hatten es auch schon vor Beginn der Duterte Administration, eine grassierende Korruption und schwache Gerichte, sowohl in Bezug auf die Verschleppung von Verfahren als auch in Bezug auf Bestechlichkeit. Ich habe eine Menge gelernt in den insgesamt elf Verfahren, die die philippinische Regierung gegen mich angestrengt hat. 2018 bin ich bei Gerichten auf allen nur denkbaren Ebenen aus und ein gegangen. Es hat mich schockiert, wie weit die Macht eines einzelnen Richters reicht, wie viel Interpretationsspielraum er hat. Das gehört zu den Markenzeichen der Duterte Administration: diejenigen, die sie als Kritiker betrachten, werden nicht in einer öffentlichen Auseinandersetzung attackiert. Vielmehr werden die Gerichte zu einer Waffe. Leila da Lima, ehemalige Justizministerin und Ministerin für das Ressort Menschenrechte, die gegen Rodrigo Duerte, damals noch Bürgermeister, wegen extralegaler Hinrichtungen ermittelte und später seinen Drogenkrieg untersuchte, sitzt seit 2017 im Gefängnis. Seit drei Jahren! Eine ehemalige Verfassungsgerichtspräsidentin wurde aus dem Amt entfernt und regelrecht ausradiert aus der Liste der Verfassungsrichter – als ob man klar machen wollte, dass das nie passiert ist. Ich glaube, darum kämpfe ich mit offenem Visir.

heise online: Was, wenn Sie juristisch unterliegen? Wenn Journalisten vor den Gerichten scheitern, was können sie dann noch tun?

Ressa: Das stimmt schon. Es ist schon verrückt, dass die Klagen gegen mich zugelassen wurden. Sie sind politisch motiviert. Sie sollen uns aufreiben. Es geht darum, uns mundtot zu machen. Beim Rappler sind wir vielleicht einfach nur stur. Wir machen unsere Arbeit, solange wir sie machen können. Ich hoffe immer noch, dass die Richter anfangen im Geist der Gesetze zu urteilen, dass sie erkennen, dass mehr auf dem Spiel steht. Die Presse steht vor einem Abgrund. Ich hoffe einfach, dass die Gerichte sich dem politischem Druck nicht mehr beugen. Zugleich rechne ich mit dem schlimmsten. Denn überraschen lassen will ich mich auf keinen Fall.

heise online: Kann Rappler überleben, wenn Sie verlieren?

Ressa: Auf jeden Fall.

heise online: Auch finanziell?

Ressa: Ja. In dem Jahr als wir extrem unter Beschuss standen, hatten wir finanziell ein gutes Jahr. Die Leute schauen auf mich, aber Rappler bin nicht ich allein. Rappler rettet übrigens meinen Glauben an die menschliche Natur. Unsere jungen Reporter sind so mutig, obwohl auch sie in den sozialen Medien hart angegriffen werden. Für uns alle ist klar, dass wir einfach weitermachen müssen, mit dem, was wir tun.

heise online: Rappler ist einerseits eine Erfolgsgeschichte von Facebook, über Facebook wurde zuerst publiziert. Zugleich sind sie ein Opfer regelrechter Hasskampagnen auf Facebook. Hat sich ihre Einstellung zu der Plattform geändert?

Ressa: 2016 haben wir Dutertes brutalen Drogenkrieg aufs Korn genommen. Wir sind gegen die Straffreiheit der Regierung und auch gegen die Straffreiheit von Social Media, beziehungsweise des Silicon Vally zu Felde gezogen. Denn die Social Media Plattformen erlauben eine exponentielle Ausbreitung von Angriffen. Sie schreiben die Realität um. Sie spalten die Gesellschaft, indem derjenige, der rechts von der Mitte ist, weiter nach rechts gezogen wird. Und der, der links von der Mitte steht, wird in die andere Richtung radikalisiert. Am Ende ist es 'Wir gegen Die'. Das ist die Logik von Terroristen.

heise online: Sie wurden selbst zum Ziel von Attacken in den sozialen Medien….

Ressa: Die ersten Angriffe hingen mit einer Artikelserie zusammen, die unter anderem den Einfluss von Facebooks Algorithmus auf die Demokratie beleuchtete. Unter anderem haben wir recherchiert, dass 26 Fake Accounts insgesamt drei Millionen Accounts beeinflusst haben. Ich nenne die sozialen Medien seither eine 'Verhaltensänderungs-Maschinerie'. 2016 ging es los mit dem Hass gegen mich. Die Propaganda Maschine verbreitete, ich sei keine Journalistin, sondern eine Kriminelle. Am Anfang kann man noch lachen. Nachdem das millionenfach wiederholt wird, sagen die ersten Leute, vielleicht ist was dran, ich höre das dauernd. 2017 stimmt die Regierung mit ein. 2018 strengte sie elf Gerichtsverfahren gegen mich an. 2019 muss ich acht Mal Kaution hinterlegen, ich habe acht Strafverfahren am Hals. Und 2020 werde ich verurteilt. Die Realität wird umgeschrieben und die Technologie, die die Verantwortung als neuer Gatekeeper einfach ablehnt, hat dabei geholfen.

heise online: Arbeitet Rappler immer noch als einer von zwei Fact Checking Partnern von Facebook auf den Philippinen?

Ressa: Ja.

heise online: Warum? Lassen sie sich da nicht mit dem Teufel ein?

Ressa: Das ist ein Dilemma. Facebook ist der größte Verbreitungskanal für Nachrichten. Eine News Organisation riskiert zwei Dinge, wenn sie nicht mehr mitmacht. Erstens, man verliert sein Distributionsnetz. Zweitens, als Fact Checking Partner können wir die Lügen noch bekämpfen. Wir machen uns zudem die Mühe, als Lügen erkannte Posts zu ihrem ursprünglichen Autor zurück zu verfolgen, um die Netzwerke kennen zu lernen, die diese Lügen verbreiten. Das kostet uns viel Zeit und wir machen eigentlich Facebooks Arbeit. Eigentlich müssten sie die Nutzer schützen. Ich habe erwartet, dass 2020 das Jahr der großen Abrechnung mit den Social Media Plattformen wird. Ursprünglich bin ich Journalistin geworden, weil Information Macht ist. Aber jetzt verbreitet der größte Nachrichtenkanal Lügen schneller als Fakten. Ohne Fakten keine Wahrheit. Das ist das Ende von Vertrauen. Wie sollen wir so die Demokratie erhalten? Ohne die Integrität von Wahlen? Es ist unmöglich.

heise online: Werden Sie von Facebook bezahlt?

Ressa: Für die Arbeit als Fact Checking Partner, ja. Aber es sind kleine Beträge. Wir machen es, um zu verstehen, wie die Technologie funktioniert. Wenn Sie etwas ändern wollen, was tun sie? In die Regierung gehen? Ich habe wirklich an die Technologie geglaubt. Heute bin ich bitter enttäuscht. Zuletzt habe ich mich sehr kritisch zu Facebook geäußert – und die wissen nun nicht so recht, wie sie mit mir umgehen sollen, denn Rappler ist noch ihr Fact Checking-Partner. Wir machen das allerdings streng auf der Basis von Prinzipien. Fakten bleiben für uns der Maßstab. Für mich ist klar, die massive Verbreitung von falschen Informationen ist wie das Einatmen von verschmutzter Luft. Gegen diese Art von "Umweltverschmutzung" vorzugehen, ist einer von drei zentralen globalen Aufgaben. An erster Stelle steht natürlich der Klimawandel, wir sterben alle, wenn wir das nicht in den Griff bekommen. An zweiter Stelle kommt aber schon die Schlacht um die Wahrheit, der Kampf mit den großen Plattformen. Das ist der Kampf unserer Generation. An dritter Stelle kommt noch die Gesundheit, Covid 19 hat das gezeigt. Wir müssen überdenken, welche internationalen Machtstrukturen wir künftig brauchen. Wenn wir alle aus dem Lockdown kommen – in dem wir hier seit 15 Wochen fest stecken - wird die Welt nicht die gleiche sein. Abgesehen davon, dass Millionen ohne Arbeit sein werden, funktioniert einfach vieles nicht mehr. Wir müssen das akzeptieren und kreativ werden.

(Bild: Shutterstock)

heise online: Das Jahr der Abrechnung für die großen Plattformen ist ausgeblieben 2020, sagen sie. Wer kann am Ende den Karren aus dem Dreck ziehen? Muss der Regulierer doch ran? Sind es die Nutzer, die mit den Füßen abstimmen müssen?

Ressa: Ich halte Regulierung heute für wichtig. Deutschland hat als eines der ersten Ländern experimentiert, mit dem Gesetz mit dem unaussprechlich langen Namen….

heise online: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz….

Ressa: Genau.

heise online: Aber das kann auch gegen Sie eingesetzt werden, es kann unter einer entsprechenden Regierung zu einem Instrument gegen abweichende Meinungen werden….

Ressa: Ja. So ist die Welt. Es ist meiner Meinung nach entscheidend, dass wir über die Idee von Content Regulierung hinauskommen. Am Anfang drehte sich alles um die Moderation von Inhalten. Das war nicht durchdacht. Aber Facebook hat selbst in diese Kerbe geschlagen. Mark Zuckerberg fragte immer, ob wir ihn zum Zensor über Informationen machen sollen, die wir sehen können. Aber der Algorithmus hat diese Entscheidungen ja längst für uns getroffen. Es geht nicht um Meinungsfreiheit, sondern um die freie Erreichbarkeit, Freedom of Reach anstelle von Freedom of Speech. Innerhalb des Forum on Information and Democracy arbeite ich daran mit, nachhaltige Lösungen für das Problem zu finden. Dinge wie Portabilität von Daten und sozialen Netzwerken. Die Idee, soziale Medien zu regulieren wie klassische Telekommunikationsunternehmen und zu Schnittstellen und zur Zusammenschaltung zu verpflichten. Außerdem muss Nutzern Kontrolle über ihre Daten zurück gegeben werden. Wir bräuchten dafür eine globale Lösung. Obwohl, im Ernst, wenn wir Regulierung für die sozialen Plattformen in den USA und in Europa haben, genügt das. Der Rest der Welt würde voraussichtlich folgen. In den Philippinen sitzen wir am Ende der Nahrungskette. Wir tragen, glaube ich, am schwersten an den Folgen, was das Silicon Valley ausheckt. Weil unsere Institutionen schwach sind und unsere Bevölkerung leicht zu manipulieren ist.

Vielleicht kommt die Abrechnung doch noch dieses Jahr. Während der Pandemie waren alle sozialen Medien gezwungen, Covid19-bezogene Lügen zu löschen. Denn das sind Lügen, die töten. Zugleich wurde dadurch klar, sie können redaktionell eingreifen. Warum sollten sie also nicht auch politische Desinformation löschen können. Das ist für mich nach wie vor die Schlacht, die es dieses Jahr zu schlagen gilt. Natürlich ist da die Coronakrise. Aber nach der können unsere Demokratien nur überleben, wenn wir unser informationelles Ökosystem in Ordnung bringen. Nicht zuletzt war die Technologiebranche doch auch der Steigbügelhalter für die populistischen Egomanen, die überall ans Ruder gekommen sind.

heise online: Würden gut gemeinte Gesetze, die wir in Ihre Richtung schicken – wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – nicht gegen Sie eingesetzt? Und zugleich, sind wir nicht auf dem Weg, auf dem sie schon sind, in Richtung Spaltung der Gesellschaft, Hasskampagnen und Ende von Fakten-basierter Gestaltung von Politik?

Ressa: Das klingt alles so düster. Ich würde sagen, wir sollten optimistisch sein, weil es überall auf der Welt mehr und mehr Gesetzgeber gibt, die die Probleme mit der Technologie besser verstehen. Auch Regierungen haben bislang ihre Verantwortung nicht wahr genommen, einfach weil sie die Technologie nicht verstanden haben. Man hat alte Lösungen auf die neuen Mächte geworfen haben. Dass die Welt so krank geworden ist, lag vielleicht daran, dass alte Mächte neue Mächte nicht verstanden haben, genausowenig wie neue Mächte die alten. Hier gibt es eine Analogie zur Pandemie, die vor unseren Augen alles kaputt geschlagen hat, nur in viel kürzerer Zeit. In gewisser Weise ist das auch der Effekt der Technologie – kreative Zerstörung. Ich hatte mal gehofft, Mark Zuckerberg könnte eine Kraft für das Gute sein und die Tech-Branche würden im Sinne eines aufgeklärten Eigeninteresses agieren. Denn wer um Himmels willen will am Ende unter einer Diktatur leben! Und das ist es, was sie gerade helfen zu schaffen.

heise online: Haben die traditionellen Medien ihren Part nicht gespielt, waren sie zu selbstzufrieden und zu willig, am Tisch der Macht zu sitzen und….

Ressa: Alte Macht….

heise online: und haben sie die Veränderungen selbst nicht verstanden?

Ressa: Ja. Journalisten, Verlage waren Teil der alten Macht. Wir waren die vierte Gewalt. Aber das ist passé. Denn wir haben die Macht der Distribution verloren. Jetzt sind wir zum Abschuss frei gegeben. Ich kann mich in 34 Berufsjahren nicht erinnern, jemals so vielen Angriffen ausgesetzt gewesen zu sein wie in den letzten beiden Jahren. Es ist erlaubt, es ist möglich. Was wir retten müssen, sind die journalistischen Standards, unsere Ethik und den Auftrag des Journalismus. Unsere Zukunft ist mit der der Technologie eng verknüpft. Ich glaube, Inhalt und Verbreitung werden wieder zusammen kommen. Für eine Weile war es so, dass Verlage für Falschinformationen belangt werden konnten, die neuen, viel mächtigeren Distributoren aber nicht. Das wird sich wieder angleichen, glaube ich. Der Grund, warum ich mit Technologie experimentiere…

heise online: Beim Rappler….

Ressa: Ja. Während wir unter Dauerbeschuss standen, haben wir an unserer eigenen Technik gefeilt. Ich glaube, unsere Zukunft liegt in der Technologie. Die allein den Codern zu überlassen, die nicht verstehen, welche Verantwortung sie gegenüber der Öffentlichkeit tragen, ist grundfalsch. Das hat die Welt kaputt gemacht. Das alte Motto von Facebook 'Move fast and break things', ja, ihr habt es zerschlagen, also wie fixt ihr das jetzt? Ich glaube, Journalisten werden dabei noch gebraucht. Darum habe ich Facebook noch nicht aufgegeben. Es gibt in dem Unternehmen noch Leute, die auch so denken und vielleicht erreicht diese Überzeugung auch Mark Zuckerberg noch. Zuckerberg ist der mächtigste Mann im Ökosystem Informationen. Er trifft Entscheidungen für uns alle. Ich habe ihn 2017 getroffen und war beeindruckt, wie klug er ist. Aber, er hat nie außerhalb der Vereinigten Staaten gelebt, er ist, platt gesagt, ein weißer Mann. Ich weiß, warum wir stehen, wo wir stehen, aber ich bin auch ungeduldig. Denn ich bin auf der Seite der Empfänger..

(Bild: Chinnapong/Shutterstock.com)

heise online: Wie geht es weiter in den Philippinen. Wird der geplante Anti-Terror Act, der in wenigen Tagen in Kraft treten könnte, die Situation für kritische Journalisten noch schwieriger machen?

Ressa: Zwei entscheidende Dinge sind passiert während des Lockdown in den Philippinen. Eines ist die Schließung von ABS-CBN, des größten philippinischen Fernsehsenders am 5. Mai. Da arbeiten 1100 Menschen, 1000 Leute waren es in der Nachrichtenredaktion als ich Nachrichtenchefin war. Wie beim Rappler kam eine kleine Behörde mit einer Unterlassungsaufforderung an. Innerhalb von wenigen Stunden wurde dicht gemacht. Das letzte Mal, dass der Sender vom Netz ging, das war als Ferdinand Marcos 1972 das Kriegsrecht ausrief. Danach dauerte es 14 Jahre bis der Sender wieder an den Start ging. Die Ausgangssperren haben im Mai jeden Protest verhindert, alles ging ganz schnell. Und dann der Anti-Terror-Act, dessen drakonischen Maßnahmen der Gesetzgeber im Eiltempo auf den Weg gebracht hat. Der Senat hat es im Februar verabschiedet. Beim Abgeordnetenhaus ging es innerhalb weniger Tage durch. Jetzt liegt es beim Präsidenten, der auf eine rasche Verabschiedung gedrängt hatte. Er hat noch nicht unterschrieben, denn der Aufschrei war riesig…

heise online: Es wird am 9. Juli Gesetz, wenn Duterte nichts tut. Was sind die schlimmsten Bestimmungen darin?

Ressa: Das Gesetz erlaubt einem kleinen, neu gegründeten Anti-Terror-Rat, der aus Kabinettsmitgliedern bestehen soll, jede Organisation zur Terrororganisation zu erklären. Mitglieder solcher Gruppen können dann ohne Haftbefehl festgenommen und bis zu 24 Tage festgehalten werden. Wir wurden von der Regierung auch schon als Aufwiegler abgestempelt. Ich weiß also wirklich nicht, wie es damit weiter geht. Ich hoffe einfach, dass die Bürger aufwachen und erkennen, dass unser politisches System mittlerweile so schwach ist, dass das der letzte von tausend Schritten sein könnte, und dass unser System kollabiert. Duterte hat seine Macht konsolidiert und ich hoffe, wir haben in zwei Jahren Wahlen, aber wer weiß schon, was passiert….

heise online: Gibt es im November Wahlen in den USA?

Ressa: Richtig, und wie kann man angesichts des gerade veröffentlichten Berichts über die russische Desinformationskampagne auf die Integrität von Wahlen hoffen? Was mich antreibt ist die Idee, wie viel spannender es wäre, an einer besseren Welt zu arbeiten. Wir hier in den Philippinen müssen auf jeden Fall aufwachen. Wenn wir dann alle zusammen nach den Ausgangssperren wieder auf die Straße können, müssen wir uns verständigen, wie wir eine bessere und nachhaltigere Welt aufbauen. Und auch eine empfindsamere, emphatischere Welt. An letzteres haben die Staatsmänner dieser Welt wenig gedacht. Ich beneide Sie wirklich um Angela Merkel. Nicht nur, weil sie eine Wissenschaftlerin ist. Sie ist eine Frau. Ich glaube, das ist, was wir brauchen. Es ist das beste Gegengift gegen die Bosheit der sozialen Medien und die sexistischen Frauenfeinde. Schauen Sie Trump und Duterte an. Wir brauchen was dagegen.

(bme)