MSX: Als Sony, Philips, Samsung und Microsoft kooperierten, Computer zu bauen

1983 beschloss eine Softwarefirma namens Microsoft zusammen mit ASCII aus Japan, einen Heimcomputerstandard zu etablieren. Unzählige bekannte Namen machten mit.

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Panasonic MSX turbo R

Panasonic MSX turbo R: Der vorletzte MSX-Rechner ĂĽberhaupt. Heute aufgrund der Seltenheit Tausende Euro wert.

(Bild: Ben Schwan)

Lesezeit: 11 Min.
Inhaltsverzeichnis

Zum Retro-Paradies geht es eine enge Treppe herunter: Im Tokioter Stadtteil Akihabara muss man genau wissen, wohin man geht. Es ist mein zweiter Besuch in diesem Mekka alter Rechentechnik, 2018 war ich schon einmal hier. Alles kommt mir etwas weniger aufgeräumt und ziemlich leer gepickt vor, was auch damit zu tun haben könnte, dass der Trend, sich für alte Spiele- und Computersysteme zu interessieren, in den vergangenen Jahren boomte. Das hat allerdings auch dazu geführt, dass die Preise ins Unermessliche gestiegen sind und man online öfter besser fündig wird, als vor Ort.

Sei's drum, ich bin ja nur zum Anfassen da, zum Bestaunen und zum Beriechen. Und gleich hinten in der Ecke steht etwas, für das ich als Teenager wohl ein halbes Bein gegeben hätte: ein Panasonic FS-A1ST, hübsch verpackt in Klarsichtfolie. Es war der vorletzte MSX-Rechner, den es jemals gab, in den Handel gekommen 1990, wenn auch nur noch in seinem Heimatmarkt Japan. Ich kannte dennoch ein paar Leute, die sich die Maschine für 1000 DM plus stolz nach Deutschland importiert hatten, natürlich mit passendem Netzteiladapter von 100 auf 230 Volt. Meine Güte war ich damals neidisch.

MSX? Was bitte ist MSX? Hatten wir Mitte der Achtziger bis zu Beginn der Neunziger, bevor die Windows-Welle losging, nicht Commodore C64, C128, später Amiga, Atari (von 800XL bis ST, ich fasse hier Epochen im Schnelldurchlauf zusammen) und Co.? Vielleicht noch einen Schneider CPC, einen Sinclair ZX Spectrum oder einen Apple II? Mit reichen Eltern einen Macintosh?

Unter den Brücken Akihabaras: Immer noch ein Erlebnis, aber nichts mehr für Schnäppchenjäger.

(Bild: Ben Schwan)

MSX steht für "MicroSoft eXtended", nach späteren Angaben des als Vater des Standards geltenden Kazuhiko Nishi von der japanischen ASCII Corporation (die zwischenzeitlich eine Microsoft-Tochter war) auch für "Machines with Software eXchangeability" oder die Namen der zwei ersten Hardwareproduzenten, Matsushita (Panasonic) und Sony. Es war ein interessanter Versuch großer, vor allem ostasiatischer Elektronikkonzerne, gemeinsam den Heimcomputermarkt zu erobern, indem sie sich auf eine gemeinsame Plattform einigten. Die Liste der Teilnehmer liest sich wie ein Who's who der großen Marken, von denen es viele noch heute gibt. Sony war dabei, Philips aus Holland, Yamaha, Panasonic/Matsushita, Sanyo, Sharp (wenn auch nur in Brasilien), JVC, Mitsubishi, Toshiba, Hitachi, Canon, Casio, Pioneer, Yashica (Tochter von Kyocera) und (sehr kurz) Fujitsu. In Südkorea machten Samsung, Daewoo und GoldStar (heute: LG) mit, in Italien Fenner. NEC wollte erst, entschied sich dann aber aufgrund des Erfolges des PC-88 auf seinem Heimatmarkt dagegen.

Die Idee zu MSX soll der früh umtriebige Nishi bei einem Besuch von Bill Gates in Japan gehabt haben. Oder, wenn man Wikipedia glaubt, zuerst Microsoft, worauf sich Nishi dann beteiligte. Jedenfalls stieß die Idee in der Elektronikbranche schnell auf Zustimmung. Man wollte gemeinsam stärker sein, nicht gegeneinander arbeiten. Ein Rahmendesign von Spectravideo, das Nishi in Hongkong gesehen hatte, half. Es wurde beschlossen, den Z80A von Zilog mit 3,58 MHz als CPU zu nehmen, auch weil sich mit diesem schon CP/M ausführen ließ. Es gab eine Einigung auf einen Grafikchip von TI (später: Yamaha), einen Soundchip von General Instrument und die Schnittstellen mit samt sogenannter Cartridge-Slots für Spielemodule und Hardwareerweiterungen. Alle Rechner hatten das gleiche MSX BASIC von Microsoft, wobei Hersteller sich mit Add-ons wie im ROM integrierter Zusatzsoftware hervortun konnten.

MSX gab es in insgesamt vier Inkarnationen. 1983 kam MSX 1 (oder schlicht: MSX) in Japan und Europa heraus, die USA blieben weitgehend (bis auf Maschinen von Spectravideo) außen vor. MSX 1 hatte die meiste Unterstützung, die zahllosen Unterhaltungselektronikfirmen fühlten sich offenbar, als würden sie hier ein neues VHS (das nach Jahren im Massengeschäft durchgesetzte Standardformat für Videokassetten) etablieren – nur eben für Heimcomputer. MSX 1 ist aus heutiger Sicht recht speziell und fühlt sich altbacken an, hatte die Grafik doch noch Probleme bei den Farbübergängen und andere Schwierigkeiten. Man neigte noch dazu, Programme auf Kassette zu speichern, wenn sie nicht als Cartridge vorlagen, was viel Geduld erforderte. Manche Spiele sehen aus, als seien sie für den ZX Spectrum gemacht, was aber nur daran lag, dass von dieser Plattform leicht und billig portiert werden konnte, inklusive der sehr speziellen Grafik. Sehr spannend im MSX-1-Segment war der CX5M von Yamaha: Die Maschine hatte eine MIDI-Schnittstelle, was damals – vor dem Atari ST – sehr selten war. In Musikerkreisen wurde sie zum Geheimtipp.

Die zweite Standardversion MSX2 folgte 1985. Die Grafik wurde verbessert, Diskettenlaufwerke wurden zur Normalität, es gab Spezialsysteme zur Einstreuung von Video (Genlock) und die Grafik verbesserte sich. Die Systeme lagen, obwohl sie 8-Bit-Rechner mit immer noch dem gleichen alten Z80A waren, aufgrund ihrer Multimediamöglichkeiten zumindest für Fans irgendwo zwischen C64 und Amiga, minus der grafischen Oberfläche. Hinzu kam, dass man dank MSX-DOS sogar MS-DOS-Dateien vom PC lesen konnte, Microsoft machte es möglich. MSX2+ mit besserer Grafik (19268 Farben gleichzeitig!) und besserem Sound (MSX Music mit FM-Klang) folgte 1988. Bis zu diesem Punkt war die Karawane der großen Hersteller allerdings bereits weitergezogen, in Europa kam keine einzige Maschine damit auf den Markt. Sanyo, Sony und Panasonic blieben in Japan aber dabei.

MSX-Verpackungen: Hier gibt es einige Schätzchen von Sony und Sanyo. Der HB-T7 hatte sogar ein Modem.

(Bild: Ben Schwan)

Dort lief das Geschäft dennoch weiter gut, auch dank der vielen Spiele zahlloser bekannter Studios. Es gab sogar einen eigenen Online-Spiele-Service namens THE LINKS. Konami debütierte auf MSX noch heute beliebte Reihen wie "Metal Gear". Es gab Titel wie "Dragon Quest" oder "Final Fantasy", "Vampire Slayer" und viele mehr für MSX, in wunderbar detailreicher Pixelgrafik. Das letzte Aufbäumen des Standards, der MSX turbo R, mit dem einzig Panasonic/Matsushita ab 1990 einen Neuanfang wagte, war folgerichtig ebenfalls ein rein japanisches Phänomen. Die sehr interessante Maschine hatte einen R800-RISC-Chip verbaut, der zwar Z80A-kompatibel war, aber auch in einen proprietären Modus mit sage und schreibe 29 MHz schalten konnte.

Ich selbst kam per Zufall zu MSX. Ein elektronikbegeisterter Verwandter hatte mir den Rechner aus einem GroĂźmarkt mitgebracht, wo er gerade im Angebot war. Es war ein MSX 1 von Sony aus dessen "HitBit"-Linie, ein HB-75D (das "D" stand natĂĽrlich fĂĽr deutsche Tastatur). Die Maschine von 1984 hatte 64 KByte RAM und einen Anschluss fĂĽr ein Kassettenlaufwerk, ein zum Spielen tolles Cursor-Pad rechts und war in schickem Schwarz mit grauen und roten Akzenten gefertigt.

Es war eine Maschine, wie für junge Computerbegeisterte gemacht, samt gut verständlichem Handbuch mit typisch japanischem Charme. Das integrierte BASIC von Microsoft war viel besser als die nervige POKErei, die man auf einem Commodore vollführen musste. Ich bekam meine ersten Spiele auf Cartridge von Konami, die man in einen von zwei Slots schob. Später kam noch ein Game Master hinzu, eine zweite Cartridge, die man parallel mit einem Spiel einsteckte und die dann Cheats und Easter Eggs freischaltete. Zahllose Nachmittage verbrachte ich mit "Nemesis" und seinen Nachfolgern, "Penguin Adventure" oder "F1 Spirit". Ich tippte dutzende Seiten lange Listings ab, auf dass die Maschine einen aktuellen Hit mit dem nicht wirklich guten Original-Soundchip (leider viel schlechter als der des 64er) anstimmte oder mich zu einer Runde Raumschiffballerei einlud.

"Space Manbow" von Konami: Eines der Traumspiele meiner Jugend. Dieses in einer Vitrine stehende Werbeschild wollte man mir leider nicht verkaufen – Ausstellungsstück.

(Bild: Ben Schwan)

Nach dem MSX1 von Sony folgte noch ein MSX2 von Philips. Der hatte dann schon ein eingebautes 3,5-Zoll-Floppy-Laufwerk und die besagte bessere Grafik. Mein letzter MSX war ein MSX2 von Sony, allerdings gebraucht und mit einem immer wieder wackelkontaktigen DIN-Stecker für die Tastatur, den ich mir selbst zusammenlötete. Da MSX trotz der bekannten Markennamen in Deutschland keine große Verbreitung fand, gab es eine bundesweite Vernetzung. MSX-Fans gab es auch in der Schweiz und vor allem in Holland. Früh betätigten es Bastler und Importeure, die viel Material aus Japan besorgten, seien es spannende Zeitschriften oder (natürlich insbesondere) Spiele. Andere Leute kennenzulernen, die MSX-Dinge hatten, die man nie zuvor gesehen hatte, war für alle Beteiligten immer spannend. Und auch eine frühe Liebe zu Japan etablierte sich bei vielen MSX-Fans, noch bevor man hierzulande den Hype um Anime und Manga kannte.

Wer sich heute mit MSX beschäftigen will, hat viel Gelegenheit dazu. Neben dem Sammeln der Hardware selbst, die allerdings richtig ins Geld gehen kann (siehe unten), gibt es zahllose lokal laufende Emulatoren. Als Einstieg bieten sich JavaScript-gestützte Web-Emus wie FileHunter an, die viele der größten MSX-Hits mitliefern und komplett installationsfrei im Browser laufen. Wirklich toll sind beispielsweise "Quarth" und "Space Manbow" von Konami, "Columns" von Sega oder "Gorby's Pipeline" von Compile, um nur einige zufällig gewählte Beispiele zu nennen. "SD Snatcher" ist ein absoluter Konami-Klassiker, den leider fast niemand kennt.

Der MSX0 Stack: Ein aktueller portabler MSX-Klon, der allerdings nur mittelgut bedienbar ist.

(Bild: Ben Schwan)

Die richtige Dosis MSX gibt es aber nur mit echter Hardware. Gebrauchte MSX-Rechner sollte man aber nur kaufen (außer man hat eine Bastelleidenschaft), wenn sie gepflegt und gegebenenfalls wieder in Schuss gebracht wurden. Kommen sie aus Japan, braucht es einen Netzteilkonverter. Typische Retrocomputer-Probleme wie ausgelaufene Elkos, die ein Recapping notwendig machen, Laufwerksriemen, die zerbröseln, oder verfärbte Gehäuse sind an der Tagesordnung. Und passendes Kleingeld braucht man bei spezielleren Modellen auch. So verkaufen japanische Händler derzeit beispielsweise den allerletzten MSX von Sony, das MSX2+-System HB-F1XV von 1989, im adäquaten Zustand für fast 1800 Dollar. Für Panasonics FS-A1GT, den zweiten und letzten MSX turbo R (und damit allerletzten MSX-Rechner überhaupt) von 1991 werden gerade auf eBay für ein Modell samt komplettem Zubehör sage und schreibe 4000 Dollar aufgerufen.

Und in der Bastlerszene geht es weiter. Auf Plattformen wie MSX.org und auf Konferenzen wie der MSX2 GOTO40 (dieses Jahr im Herbst in Holland) versammeln sich Schrauber, Entwickler und andere Freaks, die den MSX-Standard noch lange nicht aufgegeben haben, moderne Hardware anbinden, Spiele übersetzen und vieles mehr. MSX-Vater Nishi bleibt ebenfalls aktiv. Er träumt seit einigen Jahren von MSX 3.

(bsc)