Machen Infektionen psychisch krank?

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Wissenschaftler aus zehn Ländern entwickeln dazu Labortests, um Entzündungsreaktionen im Blut von Patienten mit Stimmungsstörungen nachzuweisen. Noch steht der abschließende Projektbericht aus, doch die Forscher berichten bereits von ersten Erfolgen: Der Münchener Arzt Schwarz etwa hat nachgewiesen, dass bei depressiven Patienten bestimmte Immunzellen sich tatsächlich im Entzündungsmodus befinden.

Diese Befunde überraschen den Psychiater Karl Bechter nicht. Schon seit vielen Jahren vertritt er die These, dass Entzündungsprozesse im Gehirn eine Ursache für psychische Erkrankungen sind, und hat dafür den Begriff "Milde Hirnentzündung" geprägt. Bechter ist einer von wenigen Psychiatern, die schon lange explizit nachfragen, ob ihre Patienten zu Beginn der psychischen Erkrankung an einer Infektion litten. Bereits vor den Großforschungsprojekten hat er zudem systematisch im Blut und im Nervenwasser seiner Patienten nach Entzündungszeichen gesucht. Seine Bilanz: "Bei etwa 40 Prozent der Patienten finden wir im Nervenwasser leichte Veränderungen, die auf eine Entzündung hinweisen."

Eine dritte Ursache für die Macht des Immunsystems über die Psyche hat der spanisch-amerikanische Arzt Josep Dalmau 2007 aufgedeckt. Er beschrieb eine rätselhafte Erkrankung, die – vor allem bei jungen Frauen – zu schweren psychischen Störungen bis hin zu Wahnvorstellungen führt. Im Nervenwasser der Kranken fand Dalmau Antikörper, die fälschlicherweise wichtige Rezeptoren namens NMDA im Gehirn blockieren. Gleichzeitig entdeckte er bei mehr als der Hälfte seiner weiblichen Patienten gutartige Eierstock-Tumoren, die auch Nervengewebe enthalten können.

Der Mediziner vermutet deshalb, dass diese Geschwulste die Bildung der Abwehrmoleküle ausgelöst haben könnten. Anstatt nur die Tumoren zu bekämpfen, richtet sich der Angriff des Immunsystems nun aber gegen jegliches Nervengewebe, das die NMDA-Rezeptoren enthält. Dafür spricht, dass nach dem Entfernen der Tumoren die psychiatrischen Symptome verschwinden und Dalmau im Blut der Patientinnen keine Antikörper mehr fand. Was bei den übrigen Patientinnen ohne Tumor und den erkrankten Männern und Kindern zur Bildung der Antikörper geführt hat, ist allerdings noch unklar. Inzwischen suchen Forscher weltweit auch bei anderen psychischen Krankheiten nach schädlichen Antikörpern im Blut der Patienten. Berliner Ärzte wurden beispielsweise bei Dementen fündig und australische Forscher bei Tourette-Patienten. Sie leiden an unkontrollierbaren Bewegungs- und Verhaltensstörungen und stoßen etwa ungewollt Schimpfworte hervor.

Insgesamt ist die Forschung über Psychoneuro-Immunologie allerdings noch so jung, dass es manchmal nur einem glücklichen Zufall zu verdanken ist, wenn die richtige Diagnose gestellt wird. Ohne einen entsprechenden Fachartikel über die NMDA-Antikörper hätte der Psychiater Johann Steiner an der Universitätsklinik Magdeburg wohl keinen Nervenwassertest bei der Patientin mit Schizophrenie-Symptomen gemacht. Sie lag völlig starr in ihrem Bett und brachte kein Wort hervor. Doch irgendetwas an ihr gab Steiner zu denken: "Es war mehr so ein Bauchgefühl, als dass ich konkrete Anhaltspunkte gehabt hätte." Tatsächlich konnte er NMDA-Antikörper im Nervenwasser nachweisen. Mit einer Immuntherapie, die auch den entzündungshemmenden Wirkstoff Cortison enthielt, gelang es ihm schließlich, seine Patientin zu heilen. "Erfreulicherweise hat sie sich sehr gut erholt und steht wieder mitten im Leben", berichtet der Mediziner.

Das Beispiel zeigt, welche Heilungschance der immunologische Ansatz bei psychischen Erkrankungen bietet. "Noch vor wenigen Jahren wären diese Patienten als therapieresistente Schizophrene eingeordnet worden und hätten vermutlich den Rest ihres Lebens in einer psychiatrischen Pflegeeinrichtung verbracht", sagt Steiner. Noch ist unklar, wie vielen Patienten auf diese Weise geholfen werden könnte. Lässt sich aber eine immunologische Ursache für ihr Leiden nachweisen, könnten Ärzte beginnen, immunhemmende Medikamente statt der unwirksamen Psychopharmaka einzusetzen.

Auch der Münchner Arzt Markus Schwarz hat mit entzündungshemmenden Wirkstoffen gute Erfolge erzielt. Gemeinsam mit Kollegen behandelte er weltweit als Erster Schizophrenie-Patienten mit sogenannten Cox-II-Hemmern. Diese werden normalerweise Patienten mit rheumatischen Erkrankungen verabreicht. "Wir haben inzwischen Daten von mehreren Hundert Schizophrenie-Patienten und konnten nachweisen, dass diese Substanzen sehr gut wirken", berichtet Schwarz. Die Mittel sind zwar in Verruf geraten, weil das Medikament Vioxx wegen deutlicher Erhöhung des Herzinfarktrisikos vom Markt genommen wurde. Schwarz setzt jedoch Vertreter der Cox-II-Hemmer ein, die nur leichte Nebenwirkungen haben.

Trotz derartiger Therapieerfolge wird es aber noch dauern, bis sich die neuen Erkenntnisse wirklich im Klinikalltag durchsetzen. Viele Psychiater weigern sich immer noch, eine immunologische Diagnose überhaupt in Erwägung zu ziehen. Selbst dann, wenn alle anderen Therapien versagen. Bei Magdalena Rahms' Tochter Anne beispielsweise geschah zehn Wochen lang nichts. Die junge Frau wird in dieser Zeit an ihr Bett gefesselt und mit einem Medikamentencocktail ruhiggestellt. Bei ihren Besuchen erkennt die Mutter sie kaum wieder: "Sie war wie eine alte Frau, konnte sich kaum bewegen, war völlig abgemagert, und wenn sie sprach, lief ihr der Speichel heraus."