Magnetischer Beton zum drahtlosen Laden von E-Autos und E-Lkws
Elektrofahrzeuge während der Fahrt zu laden klingt verlockend. Doch wie sinnvoll ist das wirklich?
Magnetischer Zement soll dazu beitragen, E-Fahrzeuge während der Fahrt zu laden. Der US-Bundesstaat Indiana will das Material zunächst im Labor testen und daraus anschließend einen 400 Meter langer Straßenabschnitt bauen, auf dem schwere E-Trucks mit mehr als 200 Kilowatt laden sollen. Läuft alles gut, will Indiana einen Teil des öffentlichen Interstate-Highways mit dem Ladesystem ausstatten.
Zement aus Oberhaching
Der Zement stammt vom Oberhachinger Start-up Magment GmbH. Er ersetzt keine kompletten Magnetspulen, sondern nur deren Kerne aus weichmagnetischem Ferrit, die das Magnetfeld formen und verstärken. Diese Ferrite bestehen in der Regel aus spröder Keramik und sind mechanisch entsprechend wenig belastbar. Um die Spulen robuster zu machen, mischt Magment zermahlene Ferrit-Kerne aus Recycling-Material in einen Zement, in den dann Kupferspulen und -Kabel eingegossen werden.
Bisher ist das 2015 gegründete Unternehmen vor allem im Bereich der Logistik unterwegs – etwa mit Bodenplatten für das stationäre drahtlose Laden von Gabelstaplern oder mobilen Robotern. Zudem hat es drahtlose Ladestationen für Elektroroller entwickelt, bei denen die Roller direkt in einer Mulde im Beton abgestellt werden können. Sie werden bei 85 Kilohertz aus 10 bis 15 Zentimeter Entfernung mit fünf bis zehn Kilowatt gespeist. Für das „dynamische“ Laden, also während der Fahrt, gibt es derzeit Pilotprojekte mit Flurförderzeugen. Das Prinzip funktioniere grundsätzlich auch bei Autos, sagt Produktmanager Jonas Friedel. „Aber da sehe ich den Anwendungsfall weiter in der Zukunft. Bei der Logistik bringen kürzere Ladepausen deutlich mehr.“
Ein drahtloses Ladesystem, das explizit für Autos gedacht ist, hatte die US-Firma Qualcomm schon 2017 vorgestellt. Es konnte Fahrzeuge bei 120 km/h mit 20 kW laden. Allerdings war der Preis dafür ein recht schwacher Wirkungsgrad von 80 Prozent. Bei stationärem drahtlosen Laden seien hingegen Wirkungsgrade von 90 bis 93 Prozent drin, meldet zumindest der Pionier Witricity, das die Qualcomm-Technik zwischenzeitlich übernommen hat. Das Online-Magazin Engadget kolportiert für das System von Magment zwar einen Wirkungsgrad von bis zu 95 Prozent, aber das Start-up selbst mache mittlerweile „bewusst“ keine Angaben mehr zur Effizienz, sagt Friedel, weil diese von vielen Faktoren abhänge, die nichts mit dem Zement zu tun hätten.
180 kW bei 80 km/h
Mit einer Effizienz von mehr als 90 Prozent wirbt unterdessen die IPT Technology GmbH aus der Nähe von Lörrach – und das bei einem Tempo von 80 km/h und einer Ladeleistung von 180 kW. Sie betreibt eine Teststrecke von 100 Metern im belgischen Lommel sowie eine von 80 Metern in Mannheim. Und in Schweden wird auf einem zwei Kilometer langen Straßenabschnitt ein Ansatz nach Vorbild der Carrera-Bahn ausprobiert: Ein Stromabnehmer für eine in die Straße integrierte Stromschiene. Beide Ansätze richten sich an den Lkw-Verkehr.
Alle diese Vorhaben werfen eine wirtschaftlich und ökologisch gleichermaßen wichtige Frage auf: Wie sieht es mit dem Ressourcenverbrauch aus? Für das stationäre Laden reicht relativ wenig Fläche, aber für das Laden in voller Fahrt müssen kilometerweise Kupferspulen verbaut werden – daran ändert auch magnetischer Zement nichts. Glaubt man einer Studie des Fraunhofer ISI im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums von 2017, wären Oberleitungen für LKW die sinnvollere Alternative. Versuchstrassen gibt es bereits an der A5 in Hessen, an der A1 in Schleswig-Holstein sowie an der B462 in Baden-Württemberg. Neuen Auftrieb bekommt die Idee von der Nachricht, dass Siemens und Continental ihre Kräfte bündeln wollen.
Der Bund der Steuerzahler sieht in der Technik zwar eine „finanzielle Sackgasse“, aber das ISI ist anderer Meinung: Schon wenn man nur die meistbefahrenen 4000 des insgesamt 13.000 Kilometer langen Autobahnnetzes elektrifizieren würde, ließen sich zwei Drittel des Dieselverbrauchs vermeiden. Die restlichen Strecken müssten Oberleitungs-LKWs per Dieselmotor, Batterie oder Brennstoffzelle zurücklegen.
Schon eine vergleichsweise niedrige elektrische Fahrleistung von 20.000 bis 30.000 Kilometer im Jahr würde der Studie zufolge ausreichen, die Umrüstung eines konventionellen Lkws zu amortisieren. „Auf der Basis von Wirtschaftlichkeitsberechnungen könnten langfristig circa 80 Prozent der in Deutschland zugelassenen schweren Nutzfahrzeuge als Hybrid-Oberleitungs-Lkw umgerüstet werden“, heißt es in der Studie. Allerdings erscheine eine Marktakzeptanz bei Lkw-Herstellern „derzeit kaum vorhanden zu sein“. Doch dieselben Einwände – hohe Umrüstungskosten, Henne-Ei-Problem – gelten auch für Stromschienen und Induktionsschleifen. Mit dem Unterschied, dass die Infrastruktur hier noch einmal teurer wird. „Der Kostenvorteil des Oberleitungssystems gegenüber Stromschienen beträgt – je nach betrachteter Variante – rund 33 bis 80 Prozent“, heißt es in der Studie. „Die Kosten für die straßenseitige Infrastruktur des induktiven Ladungssystems liegen in allen Varianten um mehr als 100 Prozent über den Kosten für die Oberleitungsinfrastruktur.“
Um die Oberleitung wirtschaftlich attraktiver zu machen, schlägt die Studie „Traktionsdienstleistungen“ vor: Zugmaschinen mit Stromabnehmern übernehmen die Auflieger an Autobahnauffahrten und setzen sie nahe am Ziel wieder ab, wo sie von konventionellen Sattelschleppern übernommen werden. Auf diese Weise ließen sich auch internationale Transporte einbinden. „Der Aufbau könnte zunächst auf einer der Hauptrouten, zum Beispiel von der polnischen Grenze in die Beneluxstaaten, getestet werden“, schlägt die Studie vor.
Auch dem Ressourcenverbrauch – einschließlich Umrüstung der Lkw, Aufbau der Masten und Umspannwerke und Verschleiß des Fahrdrahts – haben die Forscher die erwarteten Spriteinsparungen gegenübergestellt. Das Ergebnis: Wird das System komplett ausgebaut, ließen sich unter dem Strich rund 2,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr gegenüber konventionellen Diesel-Lkw vermeiden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine andere Untersuchung des Heidelberger IFEUs für das Bundesumweltministerium. Für ein System von Stromschienen oder Induktionsschleifen liegen solche Zahlen offenbar noch nicht vor. Insgesamt scheint drahtloses Laden vor allem dort sinnvoll zu sein, wo häufig über kurze Strecken mit hoher Leistung geladen werden soll – etwa an Bushaltestellen, Taxiständen, Ampeln, in Lagerhäusern oder Fabriken. Für lange Strecken scheint die Oberleitung besser geeignet. (grh)