Meinung: Beim Klimaschutz liegen Milliarden auf dem Boden

Die Europäer machen den Klimaschutz unnötig teuer, meint ein internationales Forscherteam – und schlägt eine auf den ersten Blick befremdliche Alternative vor. Ein Kommentar von Gregor Honsel.

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24 bis 63 Milliarden Euro ließen sich in Europa bis 2025 sparen, wenn der Straßenverkehr einem Emissionshandel unterliegen würde – statt einer Obergrenze für den CO2-Ausstoß von Autos. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie eines internationalen Forscherteams.

Die Wissenschaftler haben verschiedene Szenarien durchgerechnet, wie Europa seine Emissionsziele erreichen kann. Eins dieser Szenarien war die Fortsetzung der bisherigen Politik mit einer Obergrenze für den Flottenverbrauch von Fahrzeugherstellern. Ein anderes Szenario sah vor, dass Mineralölkonzerne für jeden verkauften Liter Sprit entsprechende Emissions-Zertifikate erwerben müssen, so wie heute schon Teile der Industrie und der Stromerzeuger. Das Modell bezog auch sekundäre Effekte ein – etwa wie steigende Transportkosten Produkte verteuern und wie dies den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand beeinflusst.

Aus ökonomischer Sicht ließen sich die Klimaziele per Emissionshandel "zu den niedrigst möglichen Kosten für eine Gesellschaft erreichen“, meint MIT-Forscher Sergey Paltsev, Erstautor der Studie, an der auch Andreas Löschel vom Lehrstuhl für Mikroökonomik der Uni Münster beteiligt war. Statt mit teuren Elektroautos oder hochgezüchteten Verbrennern dem letzten Gramm CO2 hinterherzujagen, argumentieren die Forscher, könnten sich die Einsparungen auf Bereiche verlagern, wo sie preiswerter zu erreichen sind, etwa bei der Stromerzeugung. "Ich bin Ökonom, und wenn ich 63 Milliarden auf dem Boden liegen sehe, hebe ich sie auf", sagte Paltsev.

Der Vorschlag wirkt auf den ersten Blick befremdlich. Emissionshandel – war das nicht jenes Konstrukt, das durch unzählige Ausnahmen kastriert wurde? Und wäre eine solche Regelung nicht ein Freibrief für die Autoindustrie, sich von allen Sparbemühungen freizukaufen?

In der Tat dĂĽrfte es weder die Industrie noch die Autofahrer groĂź jucken, wenn die Emissionspreise auf den Sprit umgelegt wĂĽrden. Bei derzeit rund sechs Euro pro Tonne CO2 und einem Verbrauch von sieben Litern Benzin pro hundert Kilometer wĂĽrde das etwa einem Euro auf tausend Kilometern entsprechen. Die Autoren rechnen zwar damit, dass die Emissionspreise durch die Einbeziehung des StraĂźenverkehrs im Jahr 2025 von 17 auf 25 Euro pro Tonne steigen wĂĽrden. Doch auch das wĂĽrde niemandem wirklich wehtun. Damit gibt es allerdings auch kaum Anreiz, sparsamere Autos zu bauen, zu kaufen oder auch mal stehenzulassen.

Eine weitere Schwierigkeit: "Technologieneutralität" und die damit verbundene Idee, den Markt mal machen zu lassen, klingt ja schön und gut. Aber sie verlagert die Einsparung immer auf die derzeit günstigste Maßnahme. Technologien wie die Photovoltaik, die erst einmal einen Anschub brauchen, kommen so nie in die Gänge. Und Elektroautos wohl auch nicht.

Trotz allem finde ich den Vorschlag bedenkenswert. Dem Klima ist es schließlich egal, an welcher Stelle gespart wird. Das entscheidende Argument für einen Emissionshandel ist doch: Er setzt eine feste Obergrenze. Alles andere ist ein Herumfingern an Stellschrauben, von denen niemand so genau weiß, wie sie sich auswirken. Möglicherweise werden die Menschen ja mit sparsameren Autos viel mehr fahren oder das eingesparte Geld in Flugreisen investieren – der berühmte Rebound-Effekt. Ein Emissionshandel würde hingegen Fahrleistung und Verlagerungseffekte mit einbeziehen. (Konsequenterweise sollte er allerdings auch für die Hausheizung gelten, denn hier gibt es noch reichlich niedrig hängende Früchte zu ernten.)

Dass damit die Vormacht der Verbrenner zementiert würde, ist längst nicht ausgemacht – schon allein deshalb, weil die Städte ihre Luft sauber halten müssen.

Wenn das alles so ist – warum hat der Emissionshandel dann überhaupt so einen schlechten Ruf? Weil er durch vielfältige Eingriffsmöglichkeiten eine große Angriffsfläche für Lobbyismus und Tricksereien bietet. Doch das bietet die derzeitige Abgasregulierung auch, wie wir in letzter Zeit ja miterleben durften. Bei einem Emissionshandel wäre es hingegen egal, wie der Verbrauch gemessen wird – ein verbrauchter Liter ist ein verbrauchter Liter. (grh)