Missing Link: Crypto Wars – der endlose Streit über sichere Verschlüsselung

Seite 4: Beihilfe von Diensteanbietern verlangt

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"Es bedarf eines Rechtsrahmens, der die Grundrechte und die Vorteile der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützt und der es den Strafverfolgungs- und Justizbehörden ermöglicht, ihre Aufgaben zu erfüllen", betont die Ratsspitze. Potenzielle Lösungen erforderten gegebenenfalls die Beihilfe von Dienstanbietern wie Apple, Facebook, Google, Signal, Threema, Twitter oder WhatsApp in transparenter und rechtmäßiger Weise.

Mit den vage gehaltenen Formulierungen hoffte das federführende Bundesinnenministerium, an einer neuen heftigen Diskussion über Nach- oder Generalschlüssel sowie verpflichtende Hintertüren und die damit verknüpften Risiken für die IT-Sicherheit allgemein herumzukommen. Ressortleiter Horst Seehofer (CSU) hatte zuvor schon manch anderen Angriff auf Verschlüsselung ausgelotet, sich dabei aber die Finger verbrannt.

Nachdem die Ratspräsidentschaft den Beschluss der Erklärung unmittelbar nach dem Wiener Terroranschlag Anfang November forcierte und einen leicht überarbeiteten Entwurf an die anderen EU-Länder geschickt hatte, interpretierte der ORF das Vorhaben scharf. In einem Artikel des Senders war in der Überschrift von einem geplanten Verschlüsselungsverbot die Rede, im Text von Generalschlüsseln, die Diensteanbieter anlegen und bei der Polizei sowie Geheimdiensten hinterlegen müssten.

Der Bericht löste einen Sturm der Entrüstung in Wissenschaft, Wirtschaft und Opposition aus. Sachverständige waren sich einig: Jede Form der systematischen Möglichkeit einer Entschlüsselung würde bedeuten, dass das Schutzverfahren damit entwertet sei. Ein bisschen verschlüsselt gebe es nicht. Es sei unmöglich, Verschlüsselung tatsächlich sicher und behördlich abhörbar zu machen. Die Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit der digitalen Kommunikation zu unterminieren, gefährde die europäische "Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Sicherheit", warnte der Chaos Computer Club (CCC). Unternehmen bräuchten Schutz vor Wirtschaftsspionage, Bürger "vor allumfassender Überwachung durch Konzerne, Regierungen und Kriminelle".

"Verschlüsselung funktioniert entweder ausnahmslos, oder sie funktioniert gar nicht", schrieben die Medienorganisationen Reporter ohne Grenzen und Netzwerk Recherche im Lauf der Woche an den Ministerrat sowie die Bundesregierung. "Ende-zu-Ende-verschlüsselte Messenger-Dienste sind für Medienschaffende im digitalen Zeitalter ein wesentliches Recherche- und Kommunikationsinstrument, das nicht in Frage gestellt werden darf." Der Wiener Anschlag habe nur passieren können, "weil der Verfassungsschutz in Österreich durchaus vorhandene Informationen über den Attentäter nicht verwendet hat".

Das Innenministerium bemüht sich derweil, den Schaden zu begrenzen. Es gebe "keine Pläne zur Umgehung und gar zum Verbot von Verschlüsselung" antwortete es auf eine Frage der Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner. Tatsächlich legte die Bundesregierung 1999 liberale Krypto-Eckpunkte fest. Verschlüsselungsverfahren sollen demnach hierzulande frei entwickelt, hergestellt und vermarktet werden dürfen.