Missing Link: Der Traum von der grünen Cloud

Wie wirken Cloud-Dienste auf Klima und Umwelt? Darüber ist wenig bekannt, doch Gerichtsurteile, und politische Vorgaben erhöhen den Druck auf die IT-Branche.

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(Bild: EFKS/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Wie viel CO2-Emissionen sind mit "Hallo Siri!" verbunden? Wie hoch ist der Wasserverbrauch? Welcher Rohstoffaufwand steht hinter der Rechenleistung? Und wie viel Energie kostet der kleine Sprachbefehl? Die Antwort ist kurz: Man weiß es nicht. Noch nicht. Denn Siri ist eine verteilte Anwendung. Was in der iPhone-App und was auf der Server-Anwendung abläuft, ist Firmengeheimnis von Apple.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Um mehr Licht in die "Blackbox Cloud" zu werfen, untersuchten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration sowie des Berliner Öko-Instituts für das Umweltbundesamt im Projekt "Green Cloud-Computing" vier typische Nutzungsszenarien: Storage, Streaming, Videokonferenz und virtueller Desktop. Zu diesen einzelnen Cloud-Dienstleistungen lassen sich nun Aussagen treffen, wenn diese sich auf den Umweltverbrauch eines bestimmten Cloud-Dienstes in einem bestimmten Rechenzentrum beziehen. Die Studie wurde vor kurzem veröffentlicht.

Die neue Green-Cloud-Computing-Methodik (GCC-Methodik) erfasst den Umweltaufwand zur Herstellung von Informationstechnik und zum Betrieb von Rechenzentren in vier Wirkungskategorien: Rohstoffaufwand (ADP), Treibhausgasemissionen (GWP), Kumulierter Energieaufwand (CED) und Wasserverbrauch. Der Umweltaufwand lässt sich für einzelne Serviceeinheiten benennen. Dabei kann es sich um eine Stunde Nutzung, um einen einzelnen Kunden oder eine einheitliche Datenmenge handeln. Die GCC-Methodik kann für eine umweltbezogene Produktdeklaration wie einen CO2-Fußabdruck oder eine Energieverbrauchskennzeichnung für Cloud-Services genutzt werden.

Um den Umweltaufwand verschiedener Nutzungsarten für ein "Proof of Concept" beispielhaft erfassen und bewerten zu können, suchten die Forscher Cloud-Dienste, die genau eine Nutzungsart als Dienstleistung anbieten, um aus deren Verbräuchen eine Aussage zu den spezifischen Cloud-Nutzungen ableiten zu können. Der Wasserverbrauch wurde dabei nicht berücksichtigt, da keines der untersuchten Rechenzentren über Wasser-relevante Kühlsysteme und -Gebäudetechnik verfügte. Die Kennzahlen zum Rohstoffverbrauch konnten nur für zwei Rechenzentren gebildet werden.

Für die Bewertung von Online-Storage untersuchten die Wissenschaftler vier Rechenzentren und stellten fest, dass die Bandbreite der GCC-Kennzahlen von 166 bis zu 280 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Terabyte Speicherplatz reichte. Die Aussage besagt, wie viele CO2-Emissionen jährlich pro Terabyte belegtem Online-Speicher freigesetzt werden.

Für Videostreaming wurde ein Streamingdienst untersucht, der wie eine Art Online-Videorekorder funktioniert: Nutzer können jeden beliebigen Film online aufnehmen und sich zu einem späteren Zeitpunkt ohne Lizenzgebühren abspielen lassen. Das bedeutet, dass die Server- und Speicherinfrastruktur ausschließlich für Streaming genutzt wird. Pro Stunde Videostream wurde ein CO2-Fußabdruck von 1,46 Gramm CO2-Äquivalenten erzeugt. Hinzu kommen 0,014 Mikrogramm Antimon-Äquivalente für den Rohstoffverbrauch und 24 Kilojoule für Primärenergie. Eine vollständige CO2-Bilanz für Videostreaming müsste allerdings auch die CO2-Emissionen in Netzwerken und in Haushalten einbeziehen.

Für Videokonferenzen wurde eine Online-Plattform untersucht, die auf Basis der Open-Source-Software Jitsy Videokonferenzen anbietet. Die Treibhausgasemissionen zur Teilnahme an einer Stunde Videokonferenz betragen 2,27 Gramm CO2-Äquivalente für die Herstellung der Server (15 Prozent) und für den Energieverbrauch im Rechenzentrum (85 Prozent). Für die Gesamt-Bilanz spielt die Endgeräte-Auswahl die entscheidende Rolle: Während mit Laptop die Teilnahme an einer Videokonferenz mit 55 Gramm CO2-Äquivalenten/Stunde verbunden ist, sind es mit einem großen Videomonitor bereits 295 Gramm CO2-Äquivalente/Stunde.

Für das Rechenbeispiel für die virtuelle Desktop-Infrastruktur versorgte eine Behörde 890 Thin Client-Arbeitsplätze über ein eigenes Rechenzentrum: Dafür werden im Rechenzentrum jährlich Rohstoffe in Höhe von 0,22 Gramm Antimon-Äquivalente, Treibhausgasemissionen von 59 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalente sowie Primärenergie in Höhe von 995 Megajoule aufgewendet. Etwa Dreiviertel dieser Aufwände entfallen auf die Server-Seite.

Die Forscher zeigten in ihrem Projekt, dass eine Erfassung der Umweltverbräuche möglich ist und dass sich die Verbräuche auch einzelnen Diensten zuordnen lassen.

Der Weg in die Praxis ist allerdings noch weit. Sowohl der IT-Branchenverband Bitkom wie auch der Internet-Verband eco halten bereits eine genauere Erfassung des Energieverbrauchs für wenig praxisfreundlich, von Wasser, CO2-Emissionen und Rohstoffen ganz zu schweigen. Immerhin spricht sich der Bitkom-Verband dafür aus, ein europaweit einheitliches Energielabel auf Basis bestehender Normen wie etwa der Rechenzentrumsnorm EN50600 zu entwickeln. Grundsätzlich solle ein Energieausweis für Rechenzentren, wie er dem Bundesumweltamt vorschwebt, "nur auf Basis branchenüblicher Kriterien"ausgestellt werden. Das heißt: Energieverbrauch erfassen: ja, die Energieeffizienz messen: nein. Den "Blauen Engel" für Rechenzentren lehnt er im Übrigen als "nicht praxistauglich" ab.

Bisher geben die Rechenzentren-Betreiber über die Effizienz ihrer Rechenzentren kaum Auskunft – und auch die Verbände stellen sich quer. Bereits die KPI14DCE-Methode, mit der mehr Transparenz bei der Energieeffizienz geschaffen werden kann, stößt bei ihnen auf Widerstand. Sie sei "praxisfern", kritisiert Roman Bansen, Bereichsleiter IT-Infrastrukturen beim Digitalverband Bitkom. Vielfach seien die benötigten Informationen gar nicht verfügbar.

Auch der Internet-Verband eco warnt vor "nicht unerheblichen Kosten für die Betreiber", da Gutachter und Berater benötigt würden. Er verweist auf die Stromversorger: Die Politik solle für einen besseren Strommix sorgen – und den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben. Deutschland stehe im Vergleich zu den skandinavischen Ländern, die mit erneuerbaren Energien und günstigen Strompreisen punkten, nicht gut da. Am CO2-Fußabdruck werde sich auch nicht so schnell etwas ändern, da der Ausstieg aus der Kohleverstromung erst 2038 erfolgen soll.

Der Branchenverband Bitkom zeigt in seiner Studie "Klimaeffekte der Digitalisierung", dass durch den gezielten Einsatz digitaler Lösungen in Deutschland in den nächsten Jahren CO2-Emissionen um ein Fünftel verringert werden könnten. Das CO2-Einsparpotenzial digitaler Technologien sei mehr als sechsmal höher als ihr eigener Ausstoß.

Die Argumentation der Bitkom-Studie entspricht allerdings nicht den Nachhaltigkeitsszenarien der Internationalen Energiebehörde IEA, die international für viele Unternehmen wichtige Referenzszenarien sind. Sie definieren nämlich für unterschiedliche Wirtschaftssektoren unterschiedliche Emissionsziele und -budgets: Energieunternehmen dürfen demnach mehr Emissionen produzieren als etwa die IT-Industrie. Jede Branche muss mit Blick auf das 2-Grad-Ziel die eigenen Emissionen reduzieren. Weil in allen Branchen die absoluten Emissionswerte sinken müssen, darf die IT-Branche daher nicht auf die Energiebranche – Stichwort Strommix – verweisen oder auf Emissionsreduktionen, die sie durch die Digitalisierung in produzierenden Industrien erwirkt.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) forderte in seinem Gutachten "Unsere gemeinsame digitale Zukunft" zweierlei: Zum einen müsse das Potenzial der Digitalisierung, nachhaltige Entwicklungen voranzutreiben, gezielt vorangetrieben werden, zum anderen müsse aber auch die digitale Technik selbst effizienter und nachhaltiger werden.

Auf die lange Bank kann die IT-Branche das Thema jedenfalls nicht schieben: Bis 2030 müssen Rechenzentren in der Europäischen Union klimaneutral arbeiten, das hat die EU-Kommission als Ziel festgelegt. Eine Studie des Borderstep Institute zum Energieverbrauch europäischer Rechenzentren zeigte, dass sich trotz erheblicher Fortschritte in der Rechen- und Speichereffizienz der gesamte Energiebedarf um den Faktor 6 bis 12 von 57 Terrawattstunden pro Jahr (TWh/a) im Jahr 2010 auf 88 TWh/a im Jahr 2020 erhöht hat. Eco warnt nun davor, dass zu ambitionierte Effizienzziele zu einem Abwandern digitaler Infrastrukturbetreiber in weniger regulierte Länder führen könnte.

Jens Gröger vom Öko-Institut setzt jedenfalls auf die Nachfragemacht des Marktes: "Es wird auch bei Cloud-Diensten üblich werden, nur noch von solchen Anbietern einzukaufen, die ökologische Spitzenprodukte anbieten." Vorreiter in der Branche würden Transparenzmaßnahmen gerne annehmen. Wenn freiwillige Selbstverpflichtungen nicht ziehen, könnte die Politik sich zu gesetzlichen Regelungen entschließen. Gröger: "Diejenigen, die jedoch lieber weiterhin ineffiziente Rechenzentren betreiben oder Kohlestrom nutzen, werden GCC-Kennzahlen erst dann veröffentlichen, wenn sie durch eine Kennzeichnungspflicht dazu gezwungen werden."

Nicht nur mit Blick auf die europäische Regulierung, sondern auch auf den Finanzmarkt können zumindest große Rechenzentren-Betreiber aber ein Mehr an Transparenz nicht mehr lange verweigern. Großinvestoren wie Blackrock achten in zunehmendem Maße auf Nachhaltigkeitskriterien (ESG). Wer keine Daten dazu liefern kann, hat keine Chance als grünes Investment eingestuft zu werden. Auch das Lieferkettengesetz verpflichtet ab 2023 große Unternehmen dazu, die ESG-Werte der Lieferanten hinsichtlich der verwendeten Rohstoffe und des Wassers zu kennen.

Immer mehr Gerichtsurteile, zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht, stellen klar, dass der CO2-Ausstoß Menschenrechte verletzt. Im neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wurde Unternehmen verboten, schädliche Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen oder einen zu hohen schädlichen Wasserverbrauch herbeizuführen. Das Verbot gilt für den Fall, dass damit Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Unternehmen unterliegen damit Sorgfaltspflichten zur Risikoanalyse, zur Berichterstattung und möglicherweise auch zur Minderung von Treibhausgas-Emissionen und anderen Umweltbeeinträchtigungen. Allerdings enthält das Lieferkettengesetz eine Ausnahme: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dürfen "in angemessener Weise" geschützt werden. Damit ist es im Moment unklar, wie genau die Veröffentlichungen zu CO2-Emissionen und anderen Umweltbräuchen sein müssen. Unter Umständen genügen im Moment noch pauschale Aussagen.

Möglicherweise wird die EU-Kommission im Zuge ihrer Digitalagenda noch genauere Angaben einfordern. Auch die Bundesregierung könnte tätig werden: So stellte das Bundesverfassungsgesetz in seinem Urteil zur Klimagerechtigkeit vom 24. März 2021 fest: "Artikel 20a Grundgesetz verpflichtet den Staat zum Klimaschutz. Dies zielt auch auf die Herstellung von Klimaneutralität." Entsprechend gäbe es "gute Gründe", "die Möglichkeiten des Klimaschutzes auch über unternehmerische Sorgfaltspflichten zu prüfen", sagen die Rechtsanwältin Roda Verheyen und der Forscher Peter Gailhofer vom Öko-Institut in einem gemeinsamen aktuellen Aufsatz. Das klingt wie eine Ansage. Denn Roda Verheyen ist die Anwältin, die die Aktivisten von Fridays for Future vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich vertrat.

(bme)