Missing Link: Der Traum von der grünen Cloud

Wie wirken Cloud-Dienste auf Klima und Umwelt? Darüber ist wenig bekannt, doch Gerichtsurteile, und politische Vorgaben erhöhen den Druck auf die IT-Branche.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 138 Kommentare lesen

(Bild: EFKS/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Wie viel CO2-Emissionen sind mit "Hallo Siri!" verbunden? Wie hoch ist der Wasserverbrauch? Welcher Rohstoffaufwand steht hinter der Rechenleistung? Und wie viel Energie kostet der kleine Sprachbefehl? Die Antwort ist kurz: Man weiß es nicht. Noch nicht. Denn Siri ist eine verteilte Anwendung. Was in der iPhone-App und was auf der Server-Anwendung abläuft, ist Firmengeheimnis von Apple.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Um mehr Licht in die "Blackbox Cloud" zu werfen, untersuchten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration sowie des Berliner Öko-Instituts für das Umweltbundesamt im Projekt "Green Cloud-Computing" vier typische Nutzungsszenarien: Storage, Streaming, Videokonferenz und virtueller Desktop. Zu diesen einzelnen Cloud-Dienstleistungen lassen sich nun Aussagen treffen, wenn diese sich auf den Umweltverbrauch eines bestimmten Cloud-Dienstes in einem bestimmten Rechenzentrum beziehen. Die Studie wurde vor kurzem veröffentlicht.

Die neue Green-Cloud-Computing-Methodik (GCC-Methodik) erfasst den Umweltaufwand zur Herstellung von Informationstechnik und zum Betrieb von Rechenzentren in vier Wirkungskategorien: Rohstoffaufwand (ADP), Treibhausgasemissionen (GWP), Kumulierter Energieaufwand (CED) und Wasserverbrauch. Der Umweltaufwand lässt sich für einzelne Serviceeinheiten benennen. Dabei kann es sich um eine Stunde Nutzung, um einen einzelnen Kunden oder eine einheitliche Datenmenge handeln. Die GCC-Methodik kann für eine umweltbezogene Produktdeklaration wie einen CO2-Fußabdruck oder eine Energieverbrauchskennzeichnung für Cloud-Services genutzt werden.

Um den Umweltaufwand verschiedener Nutzungsarten für ein "Proof of Concept" beispielhaft erfassen und bewerten zu können, suchten die Forscher Cloud-Dienste, die genau eine Nutzungsart als Dienstleistung anbieten, um aus deren Verbräuchen eine Aussage zu den spezifischen Cloud-Nutzungen ableiten zu können. Der Wasserverbrauch wurde dabei nicht berücksichtigt, da keines der untersuchten Rechenzentren über Wasser-relevante Kühlsysteme und -Gebäudetechnik verfügte. Die Kennzahlen zum Rohstoffverbrauch konnten nur für zwei Rechenzentren gebildet werden.

Für die Bewertung von Online-Storage untersuchten die Wissenschaftler vier Rechenzentren und stellten fest, dass die Bandbreite der GCC-Kennzahlen von 166 bis zu 280 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Terabyte Speicherplatz reichte. Die Aussage besagt, wie viele CO2-Emissionen jährlich pro Terabyte belegtem Online-Speicher freigesetzt werden.

Für Videostreaming wurde ein Streamingdienst untersucht, der wie eine Art Online-Videorekorder funktioniert: Nutzer können jeden beliebigen Film online aufnehmen und sich zu einem späteren Zeitpunkt ohne Lizenzgebühren abspielen lassen. Das bedeutet, dass die Server- und Speicherinfrastruktur ausschließlich für Streaming genutzt wird. Pro Stunde Videostream wurde ein CO2-Fußabdruck von 1,46 Gramm CO2-Äquivalenten erzeugt. Hinzu kommen 0,014 Mikrogramm Antimon-Äquivalente für den Rohstoffverbrauch und 24 Kilojoule für Primärenergie. Eine vollständige CO2-Bilanz für Videostreaming müsste allerdings auch die CO2-Emissionen in Netzwerken und in Haushalten einbeziehen.

Für Videokonferenzen wurde eine Online-Plattform untersucht, die auf Basis der Open-Source-Software Jitsy Videokonferenzen anbietet. Die Treibhausgasemissionen zur Teilnahme an einer Stunde Videokonferenz betragen 2,27 Gramm CO2-Äquivalente für die Herstellung der Server (15 Prozent) und für den Energieverbrauch im Rechenzentrum (85 Prozent). Für die Gesamt-Bilanz spielt die Endgeräte-Auswahl die entscheidende Rolle: Während mit Laptop die Teilnahme an einer Videokonferenz mit 55 Gramm CO2-Äquivalenten/Stunde verbunden ist, sind es mit einem großen Videomonitor bereits 295 Gramm CO2-Äquivalente/Stunde.

Für das Rechenbeispiel für die virtuelle Desktop-Infrastruktur versorgte eine Behörde 890 Thin Client-Arbeitsplätze über ein eigenes Rechenzentrum: Dafür werden im Rechenzentrum jährlich Rohstoffe in Höhe von 0,22 Gramm Antimon-Äquivalente, Treibhausgasemissionen von 59 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalente sowie Primärenergie in Höhe von 995 Megajoule aufgewendet. Etwa Dreiviertel dieser Aufwände entfallen auf die Server-Seite.

Die Forscher zeigten in ihrem Projekt, dass eine Erfassung der Umweltverbräuche möglich ist und dass sich die Verbräuche auch einzelnen Diensten zuordnen lassen.

Der Weg in die Praxis ist allerdings noch weit. Sowohl der IT-Branchenverband Bitkom wie auch der Internet-Verband eco halten bereits eine genauere Erfassung des Energieverbrauchs für wenig praxisfreundlich, von Wasser, CO2-Emissionen und Rohstoffen ganz zu schweigen. Immerhin spricht sich der Bitkom-Verband dafür aus, ein europaweit einheitliches Energielabel auf Basis bestehender Normen wie etwa der Rechenzentrumsnorm EN50600 zu entwickeln. Grundsätzlich solle ein Energieausweis für Rechenzentren, wie er dem Bundesumweltamt vorschwebt, "nur auf Basis branchenüblicher Kriterien"ausgestellt werden. Das heißt: Energieverbrauch erfassen: ja, die Energieeffizienz messen: nein. Den "Blauen Engel" für Rechenzentren lehnt er im Übrigen als "nicht praxistauglich" ab.