Missing Link: Deutschland fehlt politischer Wille für Natur- und Artenschutz

Seite 2: Ergebnisse nicht ambitioniert genug

Inhaltsverzeichnis

Sandra Díaz, Mitglied im National Scientific and Technical Research Council (CONICET) Argentiniens, schrieb schon während der Verhandlungen in Montreal, sie begrüße die neuen Schwerpunkte im Bereich Teilhabe von Frauen und Bereitstellung finanzieller Mittel zur Finanzierung von Biodiversitätsmaßnahmen (200 Milliarden statt der von Wissenschaftlern empfohlenen 700 Milliarden). Zugleich kritisierte Diaz, eine der führenden Autorinnen des IPBES-Berichts, im Anschluss der Konferenz mangelnde Präzision in den Zielvorgaben. Der Deal sei zwar ein Fortschritt für den Kampf gegen den Verlust der natürlichen Grundlagen.

Von dem vonseiten der Wissenschaftler geforderten echten Aufbruch sei man aber noch zu weit entfernt, sagte Diaz gegenüber dem Nature Magazin. "Ich bin nicht sicher, dass er genug Zähne hat, um die Entwicklungen einzudämmen, die den meisten Schaden anrichten", so Diaz. Diese Sorge teilen viele Nicht-Regierungsorganisationen.

Die Zahnlosigkeit ist dabei ein Feature umweltvölkerrechtlicher Verträge. Sanktionen gegen Staaten, die die von Ihnen unterzeichneten Selbstverpflichtungen nicht erfüllen, sind nicht vorgesehen. Das Monitoring, global und auf freiwilliger Basis, ist praktisch das schärfste Schwert. Softlaw – darunter versteht man weiche, statt sanktionierbarer Normen – soll es richten. Die herrschende Meinung unter Juristen ist, das sei nicht wirkungslos, sondern finde durchaus seinen Weg in gesetzgeberische Aktivitäten, beziehungsweise werde von Gerichten bei Entscheidungen herangezogen.

Wie, wie viel und wann die Staaten die "weichen Normen" umsetzen, bleibt aber eben in ihr Ermessen gestellt. In der Praxis führt das dann eben auch dazu, dass der bereits in Nagoya 2010 vereinbarte Abbau von für die Umwelt schädlichen Subventionen unterbleibt. "Über ein Jahrzehnt nach Nagoya sind es in Deutschland über 65 Milliarden Euro", sagt Titze. Zum Vergleich: 2010 notierte das Umweltbundesamt, das Buch führt und die Notwendigkeit des Abbaus unterstreicht, 52 Milliarden umweltschädlicher Subventionen.

Würden alle Erklärungen des GBF tatsächlich auch umgesetzt, Subventionsabbau, die Integration von Biodiversitätsaspekten in alle Regulierungs-, Politik, Planungs- und Entwicklungsprozesse (Ziel 14) oder ein Biodiversitätsmonitoring für große Firmen (Ziel 15), dann wäre so viel gewonnen, sagt Titze. Aber am Ende hängt alles vom politischen Willen und der Bereitschaft der Politik ab, sich unangenehmen Debatten zu stellen, die politisch auch mal etwas kosten können.

Im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) gelobt man die Umsetzung der GBF-Ziele und Bundesumweltministerin Steffi Lemke versichert zugleich, Schutzgebiete dürften keine Schutzgebiete nur auf dem Papier sein.

Zugleich verweist man auf die Flexibilität von CBD und GBF. Als Vertragspartei der CBD ist Deutschland seit 1993 zwar völkerrechtlich an die CBD gebunden und "muss den sich aus der CBD ergebenden Verpflichtungen Folge leisten", teilte eine Sprecherin des BMUV in einer ausführlichen Stellungnahme an heise online mit. Allerdings enthalte die CBD, "anders als andere internationale Abkommen, wenige klare Verpflichtungen, was Vertragsstaaten genau zu tun haben", so die Sprecherin. Die Umsetzung des GBF sei von der Bereitschaft jedes Vertragsstaates abhängig, die Ziele und Inhalte des GBF auf nationaler Ebene umzusetzen.

Die Verpflichtung zur Umsetzung sieht man im BMUV nicht. Vielmehr verneint die Sprecherin in ihrer Antwort "eine generelle rechtliche Verpflichtung, Entscheidungen der COP und somit den GBF umzusetzen." Auch wenn für eine Umsetzung keine eindeutige völkerrechtliche Verpflichtung bestehe, sei "eine angemessene und wirksame Umsetzung aufgrund der Umstände, die zur Verabschiedung des GBF geführt haben, trotzdem angezeigt", lautet der Bescheid. Auch vor dem Hintergrund der "generellen Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes" halte man es für angezeigt, "sich den Vereinbarungen, die Deutschland auf internationaler Ebene trifft, entsprechend zu verhalten."

Das heißt wohl so viel wie, wir müssen gar nichts, aber wir wollen schon – und tatsächlich führt die Sprecherin weiter aus, dass man "hier in Deutschland mit gutem Vorbild vorangehen" wolle – "sowohl national als auch mit unseren Partner*innen in Europa und weltweit."