Missing Link: Deutschland fehlt politischer Wille für Natur- und Artenschutz

Seite 5: Laxer Umgang mit dem Schutz

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Wie sträflich der Biodiversitätsschutz in Deutschland vernachlässigt wird, lässt sich den Berichten von Naturschutzorganisationen entnehmen. Löchrig nennt der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) das Schutzgebiete-Konzept.

Der BUND hatte mit einer Klage beim Verwaltungsgerichtshof versucht, dem Trend zur Zerstückelung der Gebiete etwas entgegenzusetzen. Im Fall der Verkleinerung des Inntal-Schutzgebiets verneinte der Europäische Gerichtshof aber die von den Naturschützern angestrebte Strategische Umweltverträglichkeitsprüfung für solche Schutzgebietsverkleinerungen. Es müsse jeweils im Einzelfall entschieden werden, ob eine solche Prüfung notwendig sei.

Wie die Zerstückelung von Schutzgebieten ganz konkret aussehen kann, dokumentiert für Niedersachsen minutiös das Umweltforum Osnabrück. Von ursprünglich geplanten Schutzgebieten bleibt oft nur noch ein "Gerippe" stehen, zu wenig, um etwa im Fall des Rotbauchunken-Vorkommens Strothe/Almstorf das Aussterben der bedrohten Art im "Schutzgebiet" zu verhindern.

Zur Entwicklung des Schutzgebietes „Rotbauchunken-Vorkommen Strothe/Almstorf“ (Ursprünglicher Vorschlag des Landes Niedersachsen aus 2003 (grün), Vorschlag für ein Bewertungstreffen mit der EU-Kommission 2004 (gelb), was nach dem Kabinettsbeschluss übrig blieb (rot))

(Bild: Umweltforum Osnabrück)

Die Gründe in diesem Fall liegen vor allem in der Einflussnahme örtlicher Politiker und Landnutzer, die die Schutzgebiete nicht wollen und deshalb durchgesetzt haben, dass es auf das groteske Gerippe eingedampft wurde, das es heute ist, schreibt Dr. Matthias Schreiber, zweiter Vorsitzender des Umweltforums Osnabrück e.V. Beim Umweltministerium in Berlin stießen Beschwerden vonseiten der Umweltschützer auf taube Ohren, bis heute.

So bleibt dem Forum nur die Dokumentation der ganzen Palette kaltschnäuziger Verletzungen der Schutzbestimmungen der EU und internationaler Verträge wie Ramsar.

In detaillierten Berichten dokumentiert das Forum, wie Gebiete falsch ausgewiesen werden, sodass an sich geschützte Tierarten nur jenseits der Schutzgebietsgrenze zu finden sind. Sie zeigen anhand von Luftbildern Kahlschläge in an sich geschützten FFH-Wäldern, und sie berichten über die Verkleinerung von FFH-, Vogelschutz- und auch Ramsar-Gebieten, samt dem Verzicht deutscher Behörden Gebietsveränderungen oder -verschlechterungen an die EU-Kommission oder auch das Sekretariat der Ramsar Konvention zu melden.

Nicht ohne Bitternis bilanzieren die Umweltschützer, "systematische Defizite", die sich in Deutschland wie ein roter Faden durch alle Ebenen der Umsetzung des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 zögen, von der Ausweisung bis zum Management der Gebiete. Die Folge ist das "Verschwinden" weiterer Tier- und Pflanzenarten und ein zunehmender Verlust an Biodiversität.

Haben die Ergebnisse aus Schreibers Sicht trotz der negativen Erfahrung mit der Gesetzestreue deutscher Behörden beim Naturschutz etwas Positives? "Man hat damit einen Spiegel, den man 13 grünen Naturschutzministerien angesichts der vielfältigen Defizite immer und immer wieder vorhalten kann in der Hoffnung, dass sie irgendwann dann doch mal vor der eigenen Haustür zu kehren beginnen", so Schreiber.

Eine Klausel am Ende der Montreal-Kunming-Ziele, beziehungsweise die Reaktion des Umweltministeriums darauf könnte dabei nachdenklich machen. Ziel 22 enthält unter anderem eine Selbstverpflichtung über den "vollen Schutz von Umweltaktivisten" (environmental human rights defenders).

Auf die Frage, ob in diesem Punkt nicht auch Deutschland eine Aufgabe habe, wenn Vertreter der Letzten Generation auf Grundlage des Bayerischem Polizeiaufgabengesetzes präventiv weggesperrt werden für Taten, die allenfalls den Charakter der Nötigung erfüllen, erklärt die Sprecherin des Ministeriums, dass es bei Ziel 22 um etwas anderes gehe, und zwar um den "Schutz von indigenen Bevölkerungen und lokalen Gemeinschaften sowie die Anerkennung und volle Integration der Rechte und Teilhabe an Prozessen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Biodiversität dieser und weiterer Gruppen (Frauen, Mädchen, Kinder, Jugendliche)." Außerdem solle sichergestellt werden, dass Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten geschützt werden, von denen laut Statistiken des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) wöchentlich mindestens drei getötet würden.

In Deutschland dagegen würden Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten grundsätzlich das Recht zur Ausübung ihrer Meinungs- und Demonstrationsfreiheit genießen. Entsprechend des bestehenden Schutzes bestehe "zudem keine direkte Verpflichtung zur Umsetzung, sodass es bereits deshalb an einem Konflikt mit nationalem Recht fehlt." 30 Tage hinter Gittern verschwinden ist nicht so schlimm.

(bme)