Missing Link: Deutschland fehlt politischer Wille für Natur- und Artenschutz

Seite 4: 30 Prozent bis 2030 – nationale Biodiversitätsstrategie

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Wird es dieses Mal etwas mit einem "Meilenstein", dürfte man sich angesichts der Geschichte der nicht eingehaltenen Ramsar-Verpflichtungen fragen, nicht zuletzt angesichts der Unterscheidung der Instrumente, die das Ministerium erklärt: Ramsar sei ein Umweltabkommen, das Kunming-Montreal GBF dagegen als Beschluss der CBD COP 15 und "nicht rechtsverbindlich." Also was und wie soll nun umgesetzt werden?

Das Hauptumsetzungsinstrument für die Ziele von CBD und GBF soll hierzulande die neue Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) werden, lautet die Auskunft zu den konkreten Schritten. Die NBS, die aktuell noch in Arbeit ist, war Bestandteil des Koalitionsvertrags, der auch davon spricht, dass Aktionspläne, konkrete Ziele und Maßnahmen weiterentwickelt, verbindlich (sic) verankert und das wissenschaftliche Monitoring gestärkt werden soll.

Wieder bleibt es dabei: auch die nationale Strategie ist laut BMUV als "politisches Papier geplant" und damit "die Umsetzung nicht rechtsverbindlich beziehungsweise rechtlich durchsetzbar." Ob man "ausgewählte Ziele in der neuen NBS und geeignete Maßnahmen" am Ende "rechtlich verankern kann", das wird, wie das Ministerium erklärt, "derzeit noch geprüft."

Bei der Umsetzung des nun in Montreal ausgemachten Schutzes von 30 Prozent von Land- und Meeresoberfläche verweist Berlin zusätzlich auf die Abstimmung der EU-Biodiversitätsstrategie 2030. Für Deutschland geht es nach Ansicht des BMUV dabei in erster Linie um die "qualitative Fortentwicklung unserer bestehenden Schutzgebiete", denn man habe "an Land und im Meer bereits große Flächenanteile geschützt."

In der ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee, wo der Bund allein Verantwortung trägt, will man Managementpläne dieser Schutzgebiete vorsehen und damit die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie umsetzen, erläutert die Sprecherin.

Gravierende Eingriffe ins Grün erleben viele Städte. Laut BUND wurden innerhalb des letzten Jahrzehnts in bayerischen Städten bis zu 300.000 Bäume gefällt. Daran wird sich laut BMUV trotz einem Ziel zu mehr Stadtgrün wohl auch erst nichts ändern. Baumschutzverordnungen treten regelmässig hinter das Baurecht von Investoren zurück.

(Bild: Monika Ermert)

Bei den Schutzgebieten an Land seien die zuständigen Bundesländer am Zug, heißt es aus Berlin.

"Um die Länder bei der Umsetzung zu unterstützen, sollen Synergien insbesondere mit den Wiederherstellungszielen der EU genutzt und kooperative Ansätze verfolgt werden." Das Europäische Parlament diskutiert aktuell Bestimmungen einer künftigen "Nature Restoration"-Verordnung.

Künftige EU-Ziele, etwa der in der EU erwogene "strenge Schutz" von 10 Prozent für die Biodiversität wichtigen Gebiete, könnte dabei die deutsche Politik noch sehr fordern, sagt WWF-Experte Titze.

Denn der Selbsteinschätzung, dass man beim Gebietsschutz praktisch nur noch qualitative Schritte zu gehen hat, ist nach Ansicht von Titze verwegen. Die Umweltschützer befinden sich mit dieser skeptischen Auffassung in guter Gesellschaft. Die Europäische Kommission hat Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil sie die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie von 1994 immer noch nicht ausreichend umgesetzt hat. 2015 hatte die Kommission die Bundesregierung erstmals angemahnt. Sieben Jahre später, im Februar 2022, war die jüngste Bundesregierung den Anforderungen immer noch nicht nachgekommen.

Deutschland habe eine bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen, schrieb die Kommission, außerdem fehle es für die einzelnen Gebiete an dedizierten Erhaltungszielen.

"In allen Bundesländern und auf Bundesebene", so die Kommission, sei es "allgemeine und anhaltende Praxis (war), für alle 4606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine hinreichend detaillierten und quantifizierbaren Erhaltungsziele festzulegen", kritisiert die Kommission. Dies habe "erhebliche Auswirkungen auf die Qualität und Wirksamkeit der zu ergreifenden Erhaltungsmaßnahmen." Eine zweite Klage aus dem Dezember 2021 betrifft den Verlust laut Habitat-Richtlinie geschützter Wiesen.

Deutschland ist dabei nicht das einzige Land, das beim Naturschutz hinterherhinkt. Auch gegen Bulgarien, Irland und Polen laufen ähnliche Verfahren. Doch die Klagebegründung der Kommission, Deutschland verfolge "allgemein und strukturell eine Praxis, die nicht den rechtlichen Anforderungen" des Naturschutzes genüge, offenbart, hier liegt ein grundsätzliches Problem vor.

Das BMUV merkt in seiner Antwort an heise online an, "auf Grundlage der deutschen Beiträge zur Erfüllung der EU-Ziele soll außerdem ein "Aktionsplan Schutzgebiete" aufgelegt werden, der klären wird, welche Beiträge Bund, Länder und weitere Akteure leisten müssen. Das kommt angesichts der langen Frist, die die Kommission dem Gesetzgeber eingeräumt hat, zu spät.