Missing Link: Deutschland fehlt politischer Wille für Natur- und Artenschutz

Das Umweltministerium verspricht, mehr gegen Artensterben und Naturzerstörung zu tun. Bisher liegt Deutschland bei der Einhaltung erklärter Ziele weit zurück.

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(Bild: Proxima Studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 20 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Für die einen ist das kurz vor Weihnachten beschlossene Kunming-Montreal-Rahmenwerk über Biodiversität historisch. Für die anderen völlig ungeeignet im Kampf gegen das beschleunigte Artensterben und den Verlust natürlicher Lebensräume. Ähnlich gespalten waren schon die Meinungen zum Pariser Klimaabkommen, das von Klimawissenschaftlern teils als "Fake" bezeichnet. Sind die großen umweltvölkerrechtlichen Verträge das Papier wert, auf das sie geschrieben sind?

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Beinahe bis zur letzten Stunde der Verhandlungen im kanadischen Montreal (7.-20. Dezember) stand der neue globale Rahmen für biologische Vielfalt (Kunming-Montreal global biodiversity framework, kurz GBF) auf der Kippe, sagt rückblickend Florian Titze, Policy Advisor International Biodiversity Policy des WWF Deutschland. Einen Einspruch der Demokratischen Republik Kongo in letzter Minute bügelte der chinesische Vorsitzende der Konferenz als nicht-formgerecht ab. Dann folgte große Erleichterung und Euphorie.

Als historischen Meilenstein feierten die erleichterten Delegierten der 196 Vertragsstaaten und auch viele Nichtregierungsorganisationen das GBF. Es schreibt Vereinbarungen des bereits 1993 in Kraft getretenen Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) fort. Besser gesagt, den Umweltgipfeln in Rio 1992 und Nagoya 2010 eingegangenen Selbstverpflichtungen der Staaten zum Schutz der Natur muss neues Leben eingehaucht werden.

Denn die Staatengemeinschaft hat versagt in der Umsetzung. Die in Nagoya formulierten Zielsetzungen für 2020, die sogenannten Aichi-Ziele, hatte die Staatengemeinschaft laut einem für Montreal vorbereiteten Bericht des Biodiversitätsrates von Wissenschaftlern praktisch vollständig verfehlt.

Die Notwendigkeit, mehr für den Schutz von Natur und Biodiversität zu tun, ist anerkannt. Auf dem Nagoya-Programm stand bereits der Schutz von 17 Prozent der Oberfläche des Globus und 10 Prozent der Meere (Aichi Ziel 11). Man hatte gelobt, den Verlust von natürlichen Lebensräumen auf nahe Null zu bringen, mindestens aber um die Hälfte zu begrenzen und der Überfischung der Meere ein Ende zu setzen. Nachdem man davon wirklich nichts geschafft hat, hat man nun draufgelegt.

Bis 2030 sollen laut dem GBF nun 30 Prozent der Landmasse und der Meere "wirksam erhalten" und durch "ökologisch repräsentative, gut miteinander vernetzte und gerecht geregelte Schutzgebietssysteme und andere effektive Gebiets-bezogene Erhaltungsmaßnahmen organisiert" werden. Gestärkt im Vergleich zu 2010 wurden dieses Mal die Rechte indigener Völker, deren traditionelle, nachhaltige Nutzung in ihren Regionen anerkannt wird, soweit die Erhaltungsziele dadurch nicht beeinträchtigt werden. Angegangen, aber längst noch nicht gelöst, ist die Frage des Ausgleichs zwischen denen, die genetische Ressourcen ärmerer Länder und Regionen nutzen, in der Regeln große Firmen, und der lokalen Bevölkerung. Wie Zugang und Ausgleich konkret ausgestaltet werden sollen, darüber muss weiter verhandelt werden, berichtet Titze.

Das "30 Prozent bis 2030"-Ziel lieferte Delegierten und den Gastgebern Kanada und China auf die mediale Headline. Aber das Abkommen, nicht unterzeichnet von den Nicht-CBD-Signatarstaaten USA und Vatikanstaat", hat natürlich weit mehr Zielvorgaben, die man nicht vergessen dürfe, so Titze.

Sie sprechen von der Wiederherstellung geschädigter Gebiete (30 Prozent bis 2030) und dringenden Maßnahmen, das Artensterben endlich "anzuhalten". Bis 2050 soll das Risiko der Auslöschung für alle Arten um das Zehnfache reduziert werden. Die Verbreitung invasiver Arten beabsichtigt man zurückzudrängen. Sie gilt nach der Zerstörung natürlicher Lebensräume, der Übernutzung (etwa Überfischung), dem Klimawandel und der Umweltverschmutzung als fünftwichtigster Treiber des Verlusts von Pflanzen und Tierarten.

Die Verschmutzung durch Pestizide und überschüssige Nährstoffe soll bis 2030 laut GBF soweit verringert werden, dass sie keine Gefahr für den Erhalt von Pflanzen und Tieren bedeuten.