Missing Link: Digitale Stellwerke in Norwegen – Ein Vorbild für Deutschland?

Seite 3: Feststehende Signale gibt es weiter, nur virtuell

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Bei der Diskussion rund um ETCS wird auch gerne der Vorteil genannt, dass die Züge dichter fahren können. Bei einer Betrachtung im Detail gibt es dort aber doch einige Dinge zu beachten, wie wir während der Fahrt erfuhren. Tatsächlich plant Bane Nor zwar, die Züge dichter fahren zu lassen. Die Grundvoraussetzung wird mit ERTMS geschaffen und darauf aufbauend werden die Züge teilautomatisiert. Durch die ständige Überwachung der Geschwindigkeit sollen etwa die Bremsabstände zwischen Zügen reduziert werden können.

Potenzielle Vorteile durch (Teil-)Automatisierung mit festen Blöcken

(Bild: Bane Nor/Siemens Mobility)

Doch an die eigentliche Signallogik will Bane Nor erst einmal nicht heran. Es wird also weiter in Blöcken gedacht, die durch Signale abgesichert werden. Allerdings nicht mehr als Lichtsignale auf der Strecke, sondern durch ETCS-Marker, die auf der Strecke zeigen, dass hier ein Signal steht.

Hier sind keine Lichtsignale. ETCS Stop Marker ĂĽbernehmen

(Bild: Andreas Sebayang/heise online)

Diese waren während der Fahrt auf den Gjøvikbanen auch regelmäßig zu sehen. Sie zeigen dem Zugpersonal: Hier ist ein Signal, bis zu dem vorgefahren werden kann, wenn dieses etwa virtuell Rot zeigt.

In einem Block zwischen zwei Signalen kann deswegen auch weiterhin nur ein Zug existieren. Der Zug dahinter muss warten. Wenn der erste Zug mit nur 10 km/h vor sich hin tuckert, steht der Zug dahinter vielleicht mehrere Kilometer vor einem weiteren roten virtuellen Signal und muss warten, bis der langsame Zug den Block davor frei macht. Fahren auf Sicht ist einmal explizit ausgenommen.

Die Lösung wären eigentlich die sogenannten Moving Blocks. Damit bewegt sich die Infrastruktur mit dem Zug mit, der den Block nach vorne und hinten definiert. Je schneller der Zug, desto größer wird der Block, damit alle Beteiligten immer rechtzeitig bremsen können.

Auf den Gjøvikbanen ließe sich das sogar anschaulich darstellen. Die Strecke ist weitestgehend eingleisig, mit zweigleisigen Begegnungsstellen. Nehmen wir an, der erste Regionalzug mit 100 Metern Länge verspätet sich massiv, dann kann er – aufgrund des Gegenverkehrs – nur bis zur Begegnungsstelle fahren. Diese ist aber beispielhaft nur für einen langen Güterzug ausgestattet, der aber 700 Meter lang sein darf. Der Regionalzug nimmt nur einen kleinen Teil ein.

Der dicht dahinter folgende 100-Meter-Regio kann sich in unserem Beispiel aber nicht einfach dahinter setzen, denn die Begegnungsstelle bietet in der alten Signallogik nur Platz für einen Zug. Auch für ETCS mit festen Blöcken müsste erst einmal ein weiteres Signal gesetzt werden, inklusive Marker und technische Ausrüstung an der Strecke. Im schlimmsten Fall wartet der folgende Zug deswegen in der zweigleisigen Begegnungsstelle davor. Mit Moving Blocks wäre die alte Block- und Signallogik nicht mehr relevant. Im Störungsfall würde mit Moving Blocks also deutlich Kapazität geschaffen, um einen Stau aufzulösen.

Gleisinfrastruktur Jaren Stasjon

(Bild: Andreas Sebayang/heise online)

Freilich soll es zu so einem Störungsfall gar nicht mehr erst kommen. Hier spielt also die Verfügbarkeit eine Rolle. Laut Bane Nor waren das 99,86 Prozent in den ersten 100 Tagen des Betriebs. Im Falle der Gjøvikbanen ist die eingleisige Infrastruktur der limitierende Faktor. Züge können ohnehin nicht im Bremsabstand zueinander fahren, weil gelegentlich der Gegenverkehr fahren muss.

Die Deutsche Bahn hat zu Moving Blocks übrigens ein Forschungsprojekt und dieses im Februar 2025 näher vorgestellt. Ob und wann das allerdings in den Einsatz kommt, ist fraglich.

Mit ERTMS will Bane Nor vor allem den Betrieb effizienter gestalten. Störungen bei Signalen und der Kommunikation sind bis heute für 40 Prozent aller Verspätungen im norwegischen Netz verantwortlich, hieß es. Sverre Kjenne, verantwortlich für Digitalisierung und Technologie bei Bane Nor, gab zudem an, dass es 336 Stellwerke (Stand 2020) in Norwegen gab, von denen 80 Prozent Relais-basiert sind, eine alte Technik, die zunehmend ein Problem bei Reparaturen wird. Fachkräfte verschwinden, da es keine "hot tech" ist, auf die die Jungen anspringen.

Nach 2034 soll es nur noch zwei zentrale Stellwerke geben, die alles managen und deren Position aus naheliegenden Gründen geheim gehalten wird. Dank IP-basierter Kommunikation gibt es zudem keine Probleme mit der Distanz mehr. Relais-Stellwerke können hingegen maximal 6,5 km voneinander entfernt stehen, so Bane Nor. Selbiges gilt für modernere Stellwerke, die zwar digital arbeiten, aber über Kupferkabel miteinander verbunden sind.

Tatsächlich nötig ist es übrigens nur eines für das ganze Land, denn das zweite ist für die Redundanz vorhanden und befindet sich an einem anderen Ort. Nebenbei werden die Traffic Control Center von acht auf drei reduziert und arbeiten dann mit einem neuen Traffic-Management-System von Hitachi.

ETCS-Container in Jaren Stasjon

(Bild: Andreas Sebayang/heise online)

Im Campus Nyland, östlich von Oslo, gibt es noch ein Entwicklungsstellwerk, in dem die Software weiterentwickelt und getestet wird. Dort ist zusammen mit Siemens Mobility auch eine Trainingshalle entstanden, inklusive mehrerer nicht verbundener Weichentypen, Achszählern und sogar Mini-Schranken mit Warnanlagen. Zwar fährt hier kein Zug, stattdessen nutzt das Personal Chipkarten, die an Sensoren gehalten werden. Aber die Technik ist echt, um besser die reale Welt darzustellen. Siemens ließ allerdings einen kleinen Inspektionsroboter auf den Gleisen fahren, der selbst ein Forschungsprojekt ist, um die Wartung zu vereinfachen.

Mit der ganzen Technik wird also erst einmal vor allem die Effizienz gesteigert, nicht unbedingt die Kapazität. 335 Stellwerke verschwinden und damit auch viel Personal vor Ort, das nicht mehr gebraucht wird, aber perspektivisch ohnehin fehlen wird.

Die Hälfte einer Kreuzweiche mit innenliegenden Zungen. Dahinter: Eine weitere Weiche samt Inspektionsfahrzeug

(Bild: Andreas Sebayang/heise online)

Der Einsatz digitaler Stellwerkstechnik ist allerdings auch mit Problemen verbunden, vor allem im Wartungsfall. In Norwegen gelten dann strenge Regeln. Werden etwa Bauarbeiten notwendig, dann mĂĽssen die Bautrupps mit diversen Fahrzeugen auf die Gleise, die das ETCS nicht erkennt.

Eine Strecke muss dann erst einmal manuell freigefahren werden, um sicherzustellen, dass dort kein Zug unterwegs ist, so Bane Nor. Erst dann wird die Sicherheitstechnik abgeschaltet, damit die Baufahrzeuge loslegen können. Nach Angaben von Bane Nor funktioniert die Prüfung über Achszähler nicht mehr unter ERTMS.

Dazu kommt, dass zwischen zwei unabhängigen Bautrupps, die vielleicht auf derselben Strecke arbeiten, ein mit ERTMS abgesicherter Abschnitt liegen muss. Das verhindert, dass ein Bauzug einfach von einer Baustelle unkontrolliert zu einer anderen fahren kann.

Nicht mehr im Betrieb: Das alte Stellwerk Jaren

(Bild: Andreas Sebayang/heise online)

Noch schwieriger wird es, wenn das Layout geändert werden muss. Eine Bauweiche einfach mal einbauen? Das geht nicht mehr. So etwas muss nun projektiert und die Software dafür inklusive Sicherheitsnachweisen angepasst werden. Wer schon einmal ein Softwareupdate eines Stellwerks als Fahrgast erlebt hat, weiß, dass das mit Unannehmlichkeiten verbunden ist.

Dazu kommen noch hohe Kosten für die Ausrüstung aller Züge. Denn die Streckeninfrastruktur alleine ist nicht ausreichend. Die Züge müssen auch ETCS verstehen. Derzeit nutzt Bane Nor ATC (Automatic Train Control) als Zugbeeinflussungssystem zur Sicherung (Openrailwaymap). Auch Schweden nutzt ATC. Der Platz für eine Doppelausrüstung ist dabei vor allem bei alten Zügen ein Problem. Die neue Technik ist etwa so groß wie ein typischer Kühlschrank. Mitunter gehen dafür ein paar Sitze im Zug verloren, wenn die Technik nicht mehr unter den Zug passt. Da ältere Züge darauf nicht vorbereitet sind, ist das eine große Herausforderung für die Werkstätte.

Norwegen will mit seiner ETCS-Vollausstattung auf Level-2-Basis, also ohne Lichtsignale, europaweit führend werden. Ein ambitioniertes Ziel, das schon für einige Verzögerungen sorgte. Die Schweiz etwa setzte für sein ETCS-Programm auf Level 1 Limited Supervision. Lichtsignale sind hier weiter Pflicht.

Doch wie sieht es mit Deutschland aus? Zumindest in dem Zeitrahmen von Norwegen wird hierzulande nicht viel passieren. Sicher wird es absehbar auch keine Vollausstattung geben. Die ETCS-Migrationsstrategie fĂĽr die Deutsche Bahn sieht nur wenige Strecken vor, die mit ETCS ausgestattet werden sollen.

Bis 2029 soll beispielsweise die Strecke von Hannover bis Hamburg entsprechend ausgerĂĽstet werden. ZĂĽge brauchen dann aber trotzdem noch das Zugbeeinflussungssystem PZB und/oder LZB, denn weder der Hauptbahnhof Hannover noch der in Hamburg werden bis dahin streckenseitig mit ETCS ausgerĂĽstet.

Die Strategie steht zudem unter dem Vorbehalt der ausreichenden Finanzierung. Eine fĂĽr den 11. Dezember 2024 vorgesehene Informationsveranstaltung sagte DB Infrago seinerzeit ab. Zu unklar ist die Finanzierung.

Wie das Projekt Digitale Schiene Deutschland weitergehen wird, ist indes schwer zu sagen. Wie heise online herausfand, streicht die Deutsche Bahn bei der Digitalstrategie deutlich zusammen:

Update

Angaben zur Dunkelschaltung in Deutschland auf Seite 2 ergänzt.

Hinweis: Siemens Mobility hat den Autor zum Besuch des Stellwerks eingeladen und die Reisekosten ĂĽbernommen.

(mho)