Missing Link: Digitalisierung befeuert milliardenschwere Untergrundwirtschaft

Online bestellbare Auftragsarbeiten ("Crime-as-a-Service"), Verschlüsselung, FinTech, Neobanken und Kryptowährungen beflügeln laut Europol die Kriminalität.

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(Bild: Motortion Films/Shutterstock.com)

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Die digitale Beschleunigung der Gesellschaft führt zu einem deutlichen Anstieg cybergestützter Finanz- und Wirtschaftskriminalität. Davor warnt Europol in einem jetzt veröffentlichten Bericht über die "milliardenschwere kriminelle Untergrundwirtschaft". Das Europäische Polizeiamt beleuchtet darin erstmals eigenständig "die andere Seite der Medaille" der technischen Vernetzung mit einer Analyse von Straftaten mit wirtschaftlichem Hintergrund in der EU und bewertet die Bedrohung. Die Darstellung enthält aber einige Lücken und ist klar interessengetrieben.

Die Untersuchung basiert laut der Behörde "auf einer Kombination aus operativen Erkenntnissen und strategischen Informationen", die Mitgliedstaaten und Partnern zur Verfügung stellten. Abgedeckt werde "die gesamte Palette der Finanz- und Wirtschaftskriminalität, die die EU betrifft". Dazu zählten insbesondere Geldwäsche, Korruption, Betrug, Kriminalität im Bereich Immaterialgüterrecht sowie Waren- und Währungsfälschung.

"Finanzkriminalität, die mithilfe von Computertechnologie begangen wird, ist für Kriminelle besonders attraktiv", betont Europol. Sie trage dazu bei, Geldflüsse zu verschleiern sowie schnellere und größere Gewinne zu erzielen. Die Cyber-Komponente biete schwerer und organisierter Kriminalität "einen größeren Pool an Angriffszielen", die oft auch gleich mehrfach zu Opfern werden könnten. Parallel bringe die Digitalisierung Kriminelle dazu, Technologien zu entwickeln, die einerseits die Anonymität der Täter und andererseits die Zusammenarbeit untereinander ermöglichten.

Verschlüsselte Messaging-Apps, Marktplätze im Darknet, Kryptowährungen und andere Technologien zum Schutz der Privatsphäre verschleierten die Identität von Verbrechern, verweisen die Autoren auf das viel beschworene "Going Dark"-Szenario. Demnach macht vor allem die zunehmende durchgehende Verschlüsselung von Kommunikationsdiensten Ermittler blind und taub.

Eine US-Expertengruppe kam aber schon 2016 zu dem Schluss, dass dieses Schreckbild nicht sonderlich stichhaltig ist. Die Geschäftsmodelle der Mehrzahl der Betreiber von sozialen Netzwerken beruhen ihr zufolge auf unverschlüsselten Nutzerdaten für personalisierte Werbung. Das Internet der Dinge bringe ferner eine Flut an Bild-, Video- und Audiodaten mit sich, die häufig in Echtzeit abgefangen werden könnten. Europäischen Sicherheitsbehörden ist es zudem bei mehr oder weniger gut verschlüsselten Diensten wie EncroChat, Sky ECC und Anom gelungen, Kommunikation im großen Stil abzuschöpfen.

Als weiteren Digital-Turbo für die Finanz- und Wirtschaftskriminalität hat Europol Crime-as-a-Service (CaaS) ausgemacht. Dabei werden kriminelle Dienste wie das Ausspähen oder Abfangen von Daten angeboten, bestellbar übers Internet. Mit diesem Ansatz sei es kinderleicht, heißt es in der rund 50-seitigen Studie, illegale digitale Produkte und technische Dienstleistungen auch von Kriminellen im Rahmen eines einschlägigen Geschäftsmodells zu mieten oder zu kaufen.

CaaS ermöglicht es Europol zufolge auch nicht besonders technikaffinen Straftätern, illegale Aktivitäten durchzuführen, die eigentlich IT-Kenntnisse erforderten. Über den Online-Bestellservice für individuelle Dienstleistungen kommen Hacker für kurzzeitige Aufträge zusammen. Tätergruppen bilden so keine festen und hierarchisch strukturierten großen Netzwerke mehr und sind damit für die Polizei schwerer identifizierbar. Die EU-Strafverfolger zeichnen hier ein ähnliches Bild wie das Bundeskriminalamt, das CaaS in seiner aktuellen Cybercrime-Einschätzung ebenfalls als große Bedrohung darstellt.

"Missing Link"

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Auch die unter dem Stichwort FinTech bekannten "rasanten technologischen Fortschritte im Finanzsektor" sehen Kriminelle als Chance für ihr sinistres Treiben, ist dem Bericht zu entnehmen. Die Finanztechnologie sei prinzipiell ein Sammelbecken für bessere Dienstleistungen in dem Sektor. Sie treibe Innovationen voran, stärke die finanzielle Inklusion und senke die Betriebskosten. FinTech sei daher mittlerweile in das traditionelle Bankwesen sowie in Systeme nicht-klassischer Finanzinstitutionen fest integriert. Zugleich biete aber auch diese Technologie "viele Möglichkeiten für kriminellen Missbrauch". Beispiele nennen die Verfasser nicht.

Andere Entwicklungen im Finanzwesen haben zur Einführung von Online-Banking oder sogenannter App-basierter Neobanken wie N26 oder Revolut geführt, bei denen es sich um Online-Finanzinstitute ohne Filialen handelt. Solche Einrichtungen erfreuten sich immer größerer Beliebtheit, ist Europol nicht entgangen. Sie wüchsen oft schnell – aber auch "auf Kosten ordnungsgemäßer Compliance-Prozesse, wodurch die Gefahr einer unverhältnismäßig hohen Zahl von Finanzbetrugs- und Geldwäschedelikten besteht". In diesem Zusammenhang sei bereits in allen Mitgliedstaaten die Nutzung digitaler Zahlungen für Geldwäschezwecke beobachtet worden.