Missing Link: Forschung zum Thema "Religion und digitale Medien"

Seite 2: Konversionsgeschichten schaffen "Glaubwürdigkeit"

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Rodenhausens Analysen zeigen, dass im theologisch konservativen subreddit r/TrueChristian auch Posts mit Konversionsgeschichten oder religiösen Erfahrungen hohe scores bekommen, "wenn die Leute sehr ausführlich geteilt haben, wie sie einen Kontakt mit Gott hatten. Es ist interessant, dass es in dieser Community sehr geschätzt wird, zu erzählen, wie Gott in ihrem Leben einen Unterschied gemacht hat, wie sie zu Gott gefunden haben." Bei r/OpenChristian dagegen bekommen eher Posts im Kontext von Black Lives Matter und Anti-Rassismus hohe scores, "in dieser Community sehe ich einen hohen social justice Aktivismus".

Konversionsgeschichten finden sich aber auch unter Influencern: So erzählen Lisa und ihr Partner – inzwischen Ehemann – Lukas Repert in einem Beitrag von Y-Kollektiv (Funk) auf YouTube, dass sie vor ihrer Hochzeit keinen Sex miteinander haben wollten. Beide aber hätten früher mit anderen Partnern Sex gehabt; Lisa mit ihrem früheren Freund, was sie noch heute bereue, und Lukas sagt sogar, er sei früher ein Arschloch gewesen, vor seiner Bekehrung (ab 14:26).

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"Diese Art von Konversionserzählungen – früher war ich ein schlechter Mensch, habe viel gesündigt, heute bin ich geläutert – finden wir im evangelikalen Bereich häufiger", sagt Neumaier.

Das funktioniert auch andersherum. Rodenhausen: "Umkehrt hat man in diesem progressiven Forum auch oft eine gemeinsame Geschichte von 'ich bin im konservativen vielleicht sogar fundamentalistischen Umfeld aufgewachsen und jetzt betreibe ich diese 'deconstruction of faith'' – und dann aber beschreibt man so eine Verlorenheit, man will all das nicht mehr, womit man aufgewachsen ist, aber trotzdem will man irgendwie seinen Glauben behalten."

Im April 2018 begann die Evangelische Landeskirche einen christlichen Youtube-Kanal mit der Medizinstudentin Jana Highholder @janaglaubt: Die damalige Medizinstudentin (jetzt ist sie Ärztin) vertrat immer mal wieder sehr konservative Überzeugungen, zum Beispiel über ihr Familienbild. So sagte sie, sie wünsche sich einen Partner, mit dem sie zwar auf Augenhöhe diskutieren könne, aber der die Entscheidung dann nach außen trage, und sie gab außerdem bekannt, dass sie sich jemand unterstellen könne, der sie liebt.

Das rief einige Kritik hervor, und gut zwei Jahre, 185 Videos und 22.000 Abonnenten später stellte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) das Projekt ein. (Highholder betreibt seitdem eigene Kanäle.) Das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik (GEP) hatte das Projekt gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland im Auftrag der EKD verantwortet. Die Coronakrise allerdings führte zu finanziellen Einbußen, darum habe man die Finanzierung letztlich einstellen müssen, sagt Thomas Dörken-Kucharz vom GEP, der das Projekt damals betreut hatte.

"Die Kirchen haben ja auch kein Geheimrezept für die allergelungendste digitale Kommunikation in der Schublade", sagt Anna Neumaier. Möglicherweise gebe es dort eher noch größere Herausforderungen als in Wirtschaftsunternehmen, man brauche mehr Zeit zur Realisierung oder müsse mehr Genehmigungsschleifen drehen.

Statt einzelner Projekte gibt es nun, mit "yeet!", ein evangelisches Content-Netzwerk. Damit sind ganz unterschiedliche Social-Media-Aktivisten vernetzt, zum Beispiel Ellen und Steffi Radtke, die online über ihren Alltag als lesbisches Pastorinnenehepaar erzählen: @andersamen. "Sehr erfolgreich", sagt Dörken-Kucharz.

"Viele Trends, über die man in der Religionswissenschaft und der Religionsforschung schon vorher debattiert hat – Säkularisierung, Individualisierung, Eventisierung, Subjektivierung und so weiter – finden sich online wieder. Das Internet ist ein passendes Medium für diese Entwicklungen", sagt Neumaier, es ist aber nicht deren Verursacher: Dies alles ist natürlich weder einzigartig fürs Internet noch davon irgendwie angestoßen."

Aber gibt es bestimmte Konsequenzen für die Nutzer? "Ich glaube, das ist eine spannende Frage für die Zukunft", sagt Neumaier. Und "die zweite große Frage ist: Wie wird diese Entwicklung die religiöse Landschaft auch insgesamt, also auch jenseits des Internets, weiter verändern?"

(bme)