Missing Link: Hans Blumenberg als Denker der Technik

Seite 3: Geschlossene Regionen

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Beispiele für die Ablage der Karteikarten

(Bild: Deutsches Literaturarchiv Marbach)

Blumenberg konstatiert, dass die Geschichte der Technik genau so wie jene der Kunst, Literatur oder Wissenschaft dazu tendiert, "geschlossene Regionen" zu bilden, die ihrer jeweils eigenen Logik folgen. "So macht ... die Lösung eines bestimmten konstruktiven Problems zugleich die Mängel erkennbar, die noch zu bewältigen sind, und stellt damit die Aufgaben für künftige konstruktive Lösungen". Leserinnen und Leser von Niklas Luhmann dürften hier an seinen Begriff der operationalen Geschlossenheit denken. Aber offenbar hat Blumenberg diesen konkurrierenden Universaldenker weitgehend ignoriert.

In Anknüpfung an diese Überlegungen zur Geschlossenheit der Technik und ihrer Geschichte schreibt Blumenberg, dass die "Kulturkritik unserer Tage, die vom technischen Optimismus bis zur Dämonisierung der Technik reicht, kaum einen erkennbaren Einfluß auf den Technisierungsprozeß selbst" habe – ein Debattenbeitrag, der angesichts laufender Diskussionen zur Digitalisierung nichts von seiner Aktualität verloren hat.

Wie Niklas Luhmann hat Blumenberg über Jahrzehnte einen Zettelkasten mit zehntausenden Notizen gepflegt. Und wie dieser hat Blumenberg das Aufkommen von PCs zwar noch erlebt, aber nicht für die eigene Schreibarbeit und Wissensorganisation genutzt.

Zudem haben beide Denker, obwohl aufmerksame Beobachter technischer Entwicklungen, die Digitaltechnik in ihren Texten nur punktuell behandelt. Blumenberg nimmt vor allem den Status in den Blick, der den rechnenden Maschinen zugestanden wird – und dem, was die Maschinen mechanisieren und automatisieren.

Er zitiert in diesem Zusammenhang Gilberte Périer (1620-1687), die Schwester von Blaise Pascal (1623-1662). Diese betont im Hinblick auf die Pascalsche Rechenmaschine, dass diese Berechnungen durchführe, "ohne irgendeine Regel der Arithmetik zu kennen, und zwar mit einer unfehlbaren Sicherheit" und "ohne vernünftiger Überlegungen zu bedürfen".

Ist es denn ein Teil der Vernunft, der hier auf die Maschine ausgelagert wurde? Oder verhält es sich andersherum: nämlich dass dasjenige, was sich von einer Maschine durchführen lässt, eben dadurch als nicht der Vernunft zugehörig disqualifiziert wird? Für die letztgenannte Ansicht führt Blumenberg Arthur Schopenhauer (1788-1860) ins Feld: "Daß die niedrigste aller Geistestätigkeiten die arithmetische sei, wird dadurch belegt, daß sie die einzige ist, welche auch durch eine Maschine ausgeführt werden kann".

Hans Blumenberg hat sich intensiv mit der Leistung des Nikolaus Kopernikus (1473-1543) und deren Bewertungen und Folgen auseinandergesetzt. Diese Arbeit gipfelte in der umfassenden Untersuchung "Die Genesis der kopernikanischen Welt" von 1975, das Blumenberg selbst als seine wichtigste Veröffentlichung einstufte.

Sigmund Freud nannte in seinem berühmten Vortrag von 1917 die Etablierung des von Kopernikus vorgestellten heliozentrischen Weltbildes eine "narzisstische Kränkung" des Menschen. Blumenberg hingegen demonstriert, dass es sich nicht so einfach verhält, wie die naheliegend erscheinende und weithin zitierte Interpretation Freuds suggeriert.

So sei Kopernikus' Leistung nicht durch umstürzende Absichten, vielmehr durch den Wunsch motiviert gewesen, "das astronomische Weltmodell mit der metaphysischen Weltüberzeugung in Einklang zu bringen".

Der Blumenberg-Forscher Franz Josef Wetz schreibt: "Nur unter Zuhilfenahme zusätzlicher Konstruktionen war es damals möglich, dieses Weltbild zu halten; doch gefährdeten diese Zusatzannahmen die vollkommene Ordnungsgestalt des antiken und mittelalterlichen Kosmos."

Zudem zeigt Blumenberg, dass es durchaus nicht zwangsläufig ist, aus der metaphorisch verstandenen Vertreibung des Menschen aus der Mitte des Kosmos eine Degradierung zu folgern. Franz Josef Wetz bringt es auf den Punkt: "Bedenkt man nämlich, daß in der ... aristotelischen Kosmologie der gestirnte Himmel für vollkommener gehalten wurde als die Erde, so darf deren Verwandlung in einen 'Stern unter Sternen' gerade nicht als Erniedrigung, sondern muß sogar als Erhöhung angesehen werden".