Missing Link: Internet für alle – eine Revolution von unten (Vera Heinau)

Seite 3: Individual Network

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Sie haben auch ein Verzeichnis für WWW-Seiten aufgebaut, was war da der Hintergrund?

1996 wollte das DFN gerne einen sogenannten „Kommunikationseinstiegspunkt“ schaffen, in erster Linie für die Mitglieder, aber solche Sachen waren dann ja auch offen. Unsere Aufgabe war es, eine Art Tor zum deutschen Web zu kreieren, unter www.entry.de. Sobald die Zahl der Webserver explodierte, war das natürlich nicht mehr gefragt. Aber zu Anfang war das ganz übersichtlich. Wir selbst waren mit der FU zum Beispiel erst der dritte Webserver in Deutschland.

Welches waren die ersten beiden?

Ich bin nicht sicher, aber das Belwü war früh dran und auch die TU München.

Wie funktionierte das Indivdiual Network (IN), wie hing es mit den Berliner Mailboxen zusammen?

Das hing alles zusammen. Die Leute, die die Berliner Mailboxen betrieben haben, wollten natürlich mehr als Mail und News, sie wollten Internet und das war für Private schwer zu organisieren. Es gab zunächst einen losen Vorläufer des späteren INBerlin.de Vereins, und es gab ähnliche Gruppierungen im Norden von Deutschland, in Oldenburg und Kiel. Ziel war überall, die Studierenden zu vernetzen, es waren alles Uni-Standorte. Zugleich wollte man das Angebot für normale Menschen offen halten. Denn für die gab es damals nichts, kommerzielle Angebote für private User waren nicht in Sicht.

Die konnten nicht bei Eunet, bei Xlink oder gar der Telekom anklopfen...

Nein, Privatleuten boten die nichts an. Aber wir sahen den Bedarf. Es gab Leute, die das haben wollten. Wir haben also mit Eunet gesprochen, die fanden die Idee vom Internet für private Nutzer sehr gut. Sie haben aber auch darauf bestanden, dass wir als juristische Person auftreten können. Das war die Initialzündung für den Individual Network Verein als Dach. Die ganzen lokalen Gruppen wurden Mitglieder. Es war ganz lustig. Bei einem der vorangegangenen Berliner Treffen waren die lokalen Gruppen aus dem Norden einfach mal gemeinsam einmarschiert, völlig unangemeldet, man kannte sich auch nur vor Mails. Sie haben gesagt, sollen wir uns nicht zusammen tun, um Leitungen zu teilen und ähnliches. Und so kam es 1991 zum ersten Abkommen.

Wie war das Verhältnis zwischen den beiden frühen Internetstandorten Dortmund und Karlsruhe und dem Norden so?

Die Uni Dortmund und Uni Karlsruhe haben sich schon als die Macher, als die Pioniere verstanden. Wir, die Berliner und auch die Nord-Kollegen waren erst mal die Underdogs. Wir hatten eben noch nicht so die Erfahrungen mit Internet, also abgesehen von den Mailboxen, und waren ganz heiß darauf und redeten uns die Köpfe heiß, wie machen wir das jetzt. Die haben das schon professioneller aufsetzen können, einfach weil sie Leute speziell für Internet eingestellt und bezahlt haben. Hier im Norden war es insgesamt stärker von privaten Akteuren getrieben, es gab da auch noch das MausNetz. Deren Mailboxen waren miteinander verknüpft, hatten aber vielfach keine zuverlässige Anbindung in die UUCP-Netze und das Internet. Und die waren auch interessiert, genau solche Gateways zu schaffen.

Können Sie sich erinnern, was IN-Berlin.de als erste Server hatte?

IN-Berlin hat sich ja aus den Mailboxen heraus gegründet und da gab es Privatleute, die privat finanziert schon diese Server hatten. Der Ralf Moritz hatte beruflich mit Hardware zu tun und hat hobbymäßig eine Mailbox betrieben und gesponsert. Er hatte übrigens als einziger Berliner auch privat eine Fernleitung. Später hat man über die Vereinsumlage Hardware angeschafft. Als der Verein gegründet wurde, habe ich mich mehr auf mein Engagement beim Individual Network konzentriert.

Der Dachverband wurde 2000 aufgelöst, aber die lokalen Gruppen bestehen teils noch.
Bei INBerlin.de kann man ja sogar noch heute eine Internetverbindung für fünf Euro kaufen. Ist das nicht ein Anachronismus oder wird das noch genutzt?

Es wird tatsächlich noch benutzt. Fünf-Euro Internet-Mitglieder dürfte es zwar nicht mehr viele geben. Die Leute haben heute andere Internetzugänge, viele über ihre Arbeitgeber. Was IN-Berlin.de aber für manche interessant macht, ist, dass man als Mitglied in den Vereinsräumen mit Rechnern rumbasteln und mal ein Netzwerk aufsetzen kann. Es gibt auch heute noch junge Leute, die das gerne mal ausprobieren – und nicht mehr so viele Administratoren, die einen so einfach an ihr Netzwerk lassen.

Was waren die größten Hürden für das IN? Geld, Maschinen, Konnektivität?

Wir hatten keine einheitlichen Maschinen. Was genutzt wurde, hing in den jeweiligen Regionalgruppen davon ab, wer bereit war, Arbeit reinzustecken. Der hat entschieden, was da angeschafft würde. Man wollte ja niemandem zumuten, sich nur aus Prinzip in ein System einzuarbeiten, das er nicht kannte. Die Server waren praktisch alles Linux Maschinen. Zu Anfang war die größte Hürde, den Providern zu vermitteln, was wir wollten. Es war nicht so, dass sie dagegen waren. Aber das Konzept privater Internetverbindungen war für sie neu. Ein heikler Punkt war, dass wir einerseits Uni-Mittel nutzten, andererseits aber eben auch normale User versorgen wollten. Die Uni Dortmund-Leute fanden das super, hatten aber ursprünglich eben auch in erster Linie Firmen versorgt. Die saubere rechtliche Konstruktion war der Knackpunkt.