Missing Link: Ist das Universum ein Donut?

Seite 4: Das Universum als Bretzel

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Das Universum kann also nicht flach und trotzdem kompakt sein? Doch, auch das ist denkbar: wenn es mehrfach mit sich selbst verbunden ist. Als Beispiel in zwei Dimensionen betrachte man ein Blatt Papier, das trivialerweise eine endliche Fläche hat und flach ist. Was passiert nun, wenn wir eine Topologie definieren, die jedem Punkt am rechten Rand den gegenüberliegenden Punkt am linken Rand zuordnet? Und jedem Punkt am oberen Rand den gegenüberliegenden am unteren? An der Geometrie haben wir nichts verändert, das Papier ist immer noch flach, aber es hat nun keine Begrenzung mehr. Würden wir eine Linie über den rechten Rand hinaus zeichnen, käme die Linie am linken Rand wieder ins Blatt hinein. Wie bei manchen Computerspielen, bei denen eine Spielfigur, die den Bildschirm an einem Rand verlässt, am gegenüberliegenden Rand wieder in das Bild hineinkommt. Im Prinzip könnte man diese Geometrie erreichen, wenn man das Papier zu einer Rolle aufwickelte (dann wäre die Winkelsumme eines Dreiecks immer noch 180°, da das Papier nicht verzerrt wird) und die Enden der Rolle dann zu einem Ring zusammen böge, einem Torus, der Form eines Donuts (wenn man die Enden gegeneinander verdreht, kann man auch ein Bretzel daraus formen, das ist topologisch dasselbe).

Das Zusammenbiegen geht allerdings im dreidimensionalen Raum nicht ohne Verzerrung und das Papier büßte dabei seine geometrische Flachheit ein: man denke sich zwei parallele Striche um den Röhrenumfang, die beim Zusammenbiegen des Torus in seinem Inneren näher nebeneinander verlaufen als am äußeren Umfang. Das ist aber nicht der Fall, wenn man das Papier nicht wirklich, sondern nur mathematisch in beiden Achsen aufrollt, indem man eben nur die Nachbarschaften der Randpunkte definiert. Trotzdem nennt man eine solche Mannigfaltigkeit einen flachen 2-Torus (2 wegen der zwei Dimensionen der Papieroberfläche – die Dicke des Papiers ignorieren wir). Den gibt es zwar nicht im euklidischen Raum, aber mathematisch ist er wohldefiniert.

Das Universum als Torus, hier reduziert auf drei Dimensionen (2-Torus) mit der in euklidischer Geometrie unvermeidlichen Krümmung entlang der Waagerechten, die bei einem flachen 2- oder 3-Torus nicht gegeben ist. Das Universum wird nur von der Außenfläche des Torus gebildet und ist daher hier zweidimensional.

(Bild: Bryan Brandenburg, CC BY-SA 3.0)

Unser Universum ist kein Blatt Papier, sondern räumlich dreidimensional. Es gibt aber auch für diesen Fall eine passende Mannigfaltigkeit, den flachen 3-Torus, auch 4-dimensionaler Hypertorus genannt. Hier denke man sich einen Würfel oder Quader, bei dem gegenüberliegende Seiten jeweils benachbart sind. Man kann also nicht nur beim Überschreiten des rechten Rands nach links gelangen oder beim Passieren des oberen Rands nach unten, sondern auch beim Queren des hinteren Rands nach vorne. Diese Eigenschaft kann man sich gut verbildlichen, aber nicht, wie so eine Mannigfaltigkeit von außen besehen aussähe, das vierdimensionale Pendant des dreidimensionalen 2-Torus. Aber sich das Volumen des flachen 3-Torus vorzustellen, reicht uns fürs Weitere.

Eine der Eigenschaften des flachen 3-Torus ist, dass es drei Achsen gibt, entlang derer ein Lichtstrahl nach einer Umrundung des Torus wieder am Ausgangspunkt endet, nämlich entlang von Linien, die die Außenflächen des Quaders senkrecht schneiden (im Zentrum des Quaders, und nur da, kommen noch die 4 Raumdiagonalen hinzu). Dies bedeutet, dass eine Person im Inneren des flachen 3-Torus entlang dieser Sichtlinien ihren Hinterkopf sähe. Entlang anderer Achsen, entlang derer das Licht 2 oder mehr Umläufe benötigte, um zum Ursprungsort zurückzukehren, sähe man sich weiter entfernt. Eine Art Spiegelkabinett, nur ohne Spiegelungen. Und ohne Spiegel.

Neben dem 3-Torus gibt es übrigens nur 5 andere (orientierbare) kompakte Mannigfaltigkeiten, darunter zwei Varianten der Würfelgrundform, bei denen zwei gegenüberliegende Seiten um 90° oder 180° gegeneinander verdreht verbunden sind, sowie zwei Versionen einer Säule mit sechseckiger Grundfläche (Prisma), deren Boden und Deckfläche um ein oder zwei Sechstel (ein oder zwei Sechseck-Kanten) gegeneinander verdreht verbunden sind und ansonsten sind jeweils gegenüberliegende Seiten der Säule miteinander verknüpft.

Oben: Ein hexagonales Prisma, dessen vorderes Ende (dunkelgrau) mit seinem hinteren Ende (hellgrau) unter einer Verdrehung von 1/6 verbunden ist, wie auch gegenüberliegende Seitenflächen miteinander. Wenn das Universum diese Topologie hätte, mit einem halben Durchmesser des sichtbaren Universums in der x-y-Ebene und 1/10 davon in der verdrehten Längendimension, dann sollte die Struktur der kosmischen Hintergrundstrahlung Muster zeigen wie die im unteren Bild gezeigte Simulation.

(Bild:  Levin, Scannapieco, Silk)

Wäre unser Universum eine kompakte Mannigfaltigkeit mit einer Kantenlänge kleiner als der Durchmesser des durch das Weltalter gegebenen Horizonts, so bestünde die theoretische Möglichkeit, unsere Milchstraße und ihre Nachbargalaxien, wie zum Beispiel die Andromedagalaxie, an anderen Orten des Himmels wiederzufinden. Aufgrund der Milliarden Jahre langen Lichtlaufzeit dann mutmaßlich wesentlich jünger und schwierig wiederzuerkennen, wenn sie denn überhaupt über die große Distanz aufgelöst werden könnten. Eine Suche danach wäre wohl aussichtslos. Anders sieht es aus, wenn man nach Ähnlichkeiten in der Hintergrundstrahlung sucht, die sich an verschiedenen Stellen des Himmels wiederholen sollten.

2015 hat die PLANCK-Kollaboration unter anderem nach solchen sich wiederholenden Mustern am Himmel gesucht und zwar für zwei mögliche Topologien: derjenigen eines 3-Torus sowie der einer "Platte" mit unendlicher Oberfläche und endlicher Dicke, bei der die Außenflächen miteinander verbunden sind, sodass man nach dem Durchqueren der einen Außenfläche aus der gegenüberliegenden Fläche wieder in die Platte hinein käme (quasi das 3-dimensionale Pendant eines zu einer Rolle aufgerollten, unendlich langen Blatt Papiers). Die Suche nach Mustern dieser Modelle sollte aber auch andere Topologien erkennen, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Gefunden haben sie – nichts. Weder in den Temperatur- noch in den Polarisationsmustern fanden sie mit einer Konfidenz von 99% irgendwelche Strukturen mit mehr als 15° Ausdehnung, die einander zuzuordnen wären. Somit schließen sie mit 99% Konfidenz aus, dass das Universum eine kompakte Mannigfaltigkeit mit einer Kantenlänge von weniger als 97% des Durchmessers des beobachtbaren Universums – oder 88,7 Milliarden Lichtjahre in mitbewegter Entfernung – ist. Das schließt natürlich nicht aus, dass der kosmische Donut um ein Mehrfaches größer sein kann – das lässt sich leider nicht falsifizieren.

In einer neueren (November 2021) Arbeit von Ralf Aurich et al. argumentieren die Autoren hingegen, dass die kosmische Hintergrundstrahlung eigentlich Abhängigkeiten bei jedem Winkelabstand zeigen müsse. Dies folge aus simulierten Karten der Hintergrundstrahlung für ein unendliches Universum. Deren generierten die Autoren 100.000 Stück. Tatsächlich geht in den PLANCK-Daten jedoch die durchschnittliche Korrelation zwischen Orten der Hintergrundstrahlung, die mehr als 70° voneinander am Himmel entfernt sind, auf nahezu 0 zurück (folgendes Bild).

Das Diagramm stellt die laut Simulationen erwartete und die von PLANCK beobachtete Korrelation der Temperaturunterschiede in der Hintergrundstrahlung über große Winkel einander gegenüber. Werte nahe 0 (gepunktete waagerechte Linie) bedeuten keine Korrelation, positive Werte bedeuten Korrelation (gleichgerichtetes Verhalten), negative Werte Antikorrelation (gegenläufiges Verhalten), die auch eine Form der Korrelation ist. Die schwarze gestrichelte Kurve markiert den erwarteten Verlauf. Die dunklen und hellen Zonen, die sie umgeben, sind die 1σ- und 2σ-Fehlerintervalle. Außer bei 40° und 120° zeigt die Simulation Korrelationen über den gesamten Winkelbereich bis zum maximalen Abstand von 180°.
Die von PLANCK gemessene Winkelabhängigkeit, dargestellt durch die blaue durchgezogene Linie, bleibt jedoch zwischen 70° und 150° nahe bei 0 (unkorreliert) und hält sich für große Teile des Graphen nur in der 2σ-Umgebung des erwarteten Graphen auf, das heißt die Wahrscheinlichkeit, dass die Messung lediglich durch zufällige Messfehler vom erwarteten Graphen abweicht, liegt nur zwischen 5% und 32%.

(Bild:  Aurich, Buchert, France, Steiner)

Ein 3-Torus könne aber genau solche Korrelationen unterdrücken. Die Autoren simulierten 3-Tori von 0,5 und 3 Hubble-Radien Kantenlänge (wir erinnern uns, dass der Hubble-Radius derjenige Abstand ist, in welchem die aktuelle Expansionsgeschwindigkeit des Universums die Lichtgeschwindigkeit erreicht, das sind rund 14,5 Milliarden Lichtjahre) und ermittelten die mittlere Punkt-zu-Punkt-Korrelation über Winkel von 0 bis 180°. Und siehe da, die grau gepunktete Kurve für einen Torus mit drei Hubble-Radien liegt näher an der von PLANCK gemessenen Kurve als diejenige für das unendliche Universum.

Hier ist als weiterer Graph die Simulation der winkelabhängigen Korrelationen für einen 3-Torus mit einer Seitenlänge von 3 Hubble-Radien (3·14,5=43,5 Milliarden LJ) dargestellt, gepunktete Linie umgeben von 1σ- und 2σ-Fehlerintervallen. Die PLANCK-Messungen werden hiervon wesentlich besser angenähert, sie bleibt überwiegend in der 1σ-Umgebung und der Bereich mit geringer Korrelation wird gleichfalls besser approximiert. Nur bei Winkeln von 40° - 60°, 90° - 110° und über 150° wird der 2σ-Bereich betreten und bei 50° kurz verlassen. Das Diagramm spricht also eher für einen 3-Torus als Topologie des Universums als für ein unendlich ausgedehntes Universum.

(Bild:  Aurich, Buchert, France, Steiner)

Demnach könnte das Universum ein 3-Torus mit einer Kantenlänge von 43,5 Milliarden Lichtjahren sein. Das negative Ergebnis der PLANCK-Kollaboration erklären die Autoren damit, dass die von dieser Gruppe gesuchten Strukturen beim Durchlaufen durch die ungleichmäßig in Filamenten und Voids verteilte Materie bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden könnten (Sachs-Wolfe-Effekt). Ihre Ergebnisse seien hingegen statistischer Natur und somit robuster.

Ist das Universum also ein Donut? Vielleicht, aber man hat schon bessere approximierte Kurven gesehen und wünscht sich eine oder besser mehrere unabhängige Bestätigungen sowie eine Auseinandersetzung mit möglichen Alternativerklärungen. Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen nun einmal außergewöhnlicher Evidenz.

Leider sind wir also noch lange nicht so weit wie der alte Eratosthenes bei der Vermessung der Welt und die Chance steht nicht schlecht, dass wir ihre Größe und Form nie werden ermitteln können. Aber wenigstens unternehmen ein paar kluge Köpfe den Versuch. Vielleicht warten sie ja irgendwann mit einer Überraschung auf.

Quellen:

(mho)