Missing Link: Sommerzeit ade

Winter is coming, plötzlich wird es eine Stunde früher dunkel. Dabei wäre es diesmal vielleicht besser gewesen, die "Sommerzeit" beizubehalten, um zu sparen.

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Uhren verschiedener Zeitzonen an einem ehemaligen Juwelier

Uhren am ehemaligen Standort des Juweliers Grüttert in Bremen. Das Durcheinander zeigt, sie wurden schon länger nicht mehr gewartet.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 20 Min.
Inhaltsverzeichnis

An diesem Wochenende wurden wieder die Uhren umgestellt, die Sommerzeit ist zuende, abends wird es eine Stunde früher dunkel als in den vergangenen sieben Monaten. Und zwar mancherorts noch dunkler als in den kälteren Monaten der vergangenen Jahre, denn laut einer in diesem Jahr wegen der Energiekrise erlassenen Verordnung der Bundesregierung sollen Baudenkmäler und Gebäude abends nicht von außen beleuchtet werden.

Eigentlich sollte die Zeitumstellung in Europa schon 2019 abgeschafft werden, doch das ist nicht passiert. Angesichts der Coronavirus-Pandemie, des Kriegs Russlands gegen die Ukraine und der darauf folgenden Energiekrise hatte die saisonale Zeitumstellung keine höhere Priorität. Offenbar auch nicht für die deutsche Bundesregierung, die auf eine ausführliche Anfrage von heise online dazu in dieser Woche, wie ihr Standpunkt dazu aussieht, lediglich knapp mit allgemeinen Hinweisen zur rechtlichen Lage der gegenwärtigen Zeitordnung antwortete.

Aber vielleicht wäre es gerade wegen der Energiekrise besser gewesen, wenn die Sommerzeit im kommenden Winter beibehalten wäre. Diese Meinung vertrat kürzlich die Energie-Expertin Aoife Foley von der Queen's University Belfast. Der abendliche Energiebedarf sei zwischen 17 und 19 Uhr am größten. Diese Spitze könne gemildert werden, wenn die Zeit nicht umgestellt würde. Zudem könnten die privaten Haushalte dann jährlich umgerechnet etwa 460 Pfund einsparen. Auch wenn es in der Normalzeit morgens eine Stunde heller sei, schalteten die Menschen dennoch das Licht an, weil die Tage oft trübe seien. Die Sommerzeit sei zunächst im Ersten Weltkrieg eingeführt worden, um im Sommer Energie einzusparen. Nun gehe es darum, im Winter zu sparen, schrieb sie auf Twitter.

In der Tat wurde die Zeitumstellung in Deutschland erstmals mitten im Ersten Weltkrieg eingeführt, hier einmal erweist sich der Krieg in Heraklits Sinne als "Vater aller Dinge". Der 1. Mai 1916 begann damals am 30. April 1916 um 23 Uhr, am 1. Oktober 1916 wurde die Uhr wieder zurückgestellt. Während des Krieges stellte auch Frankreich die Uhr um, das auf diese Weise ebenso wie das Deutsche Reich insbesondere Kohle für die Beleuchtung einsparen wollte. Andere Länder folgten diesem Beispiel. In neuerer Zeit schafften Großbritannien und Irland 1968 die Sommerzeit ab, um sich Europa anzugleichen, führten sie aber 1972 wieder ein. Vorangegangen waren Italien und Griechenland in den Jahren 1966 und 1971. 1980 wurden sowohl in der BRD als auch in der DDR die Uhren am 6. April des Jahres von 2 Uhr MEZ auf 3 Uhr die MESZ gestellt. 1978 schon hatte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Sommerzeit einzuführen und auf ein Okay aus der DDR gewartet, damit die Teile Deutschlands nicht zwei unterschiedliche Zeitzonen bekommen.

Der Bundestag hatte die Bundesregierung 1978 auch aufgefordert, zwei Jahre nach der Einführung der sommerlichen Zeitumstellung einen Erfahrungsbericht zu der Zeitumstellung abzugeben. Dem folgte die Regierung im April 1982, als sie unter anderem schrieb, die damals so bezeichnete Deutsche Bundesbahn habe wegen der kurzen Vorlaufzeit erhebliche Schwierigkeiten gehabt, die zu "beträchtlichem Arbeits- und Kostenaufwand" geführt habe. Auch die Lufthansa benötige wegen der Flugpläne und der dafür nötigen Absprachen mit anderen Fluggesellschaften und anderen Beteiligten eine längere Vorlaufzeit. Der Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe hatte seinerzeit hingegen keine besonderen Schwierigkeiten zu vermelden.

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Für die Deutsche Bahn und ihre 120.000 Uhren ist die Zeitumstellung inzwischen zur Routine geworden, wie sie selbst schreibt. Zur Umstellung in die Sommerzeit fehlt den Zügen, die zwischen 1.59 und 3 Uhr unterwegs sind, eine Stunde, S-Bahnzüge, die nur innerhalb dieser Stunde unterwegs wären, fallen aus. Das sieht für die Bahn unkompliziert aus – anders als im Oktober. Zum Ende der Sommerzeit halten zwischen 2.59 und 2 Uhr Züge in der um eine Stunde längeren Nacht an einem geeigneten Bahnhof. S-Bahnen, deren Abfahrtszeit zwischen 2 und 3 Uhr liegt, müssen in dieser Nacht zweimal abfahren – einmal vor und einmal nach der Umstellung der Uhren. Dazu wird entsprechend mehr Fahrzeuge und auch mehr Personal gebraucht.

An ihren Bahnhöfen betreibt die Bahn 17.000 Uhren, vor allem für die Fahrgäste. 6000 Uhren werden per Funksignal gesteuert, 2500 Mutteruhren steuern Uhren, die mit dieser zusammenhängen. Das ist übrigens der Grund, warum die Sekundenzeiger auf Uhren an Bahnhöfen kurz vor der vollen Minute innehalten. Diese Ruhepause dient dem ständigen Abgleich aller Uhren innerhalb eines Uhrensystems.

"Die gesetzliche Zeit wird von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt dargestellt und verbreitet", heißt es in dem Gesetz über die Zeitbestimmung vom 25. Juli 1978. Die PTBA sendet über den Langwellensender DCF77 die mit Hilfe von Atomuhren bestimmten Signale für die Nummern von Minute, Stunde, Kalendertag, Wochentag, Kalendermonat und die beiden letzten Ziffern des Kalenderjahres. Diese Signale können in einem Umkreis von 2000 km um den Sender in Mainflingen bei Hanau empfangen werden, von Rundfunk- und Fernsehstationen, von den Uhren der Deutschen Bahn, Schaltuhren in der Energieversorgung und Verkehrsregelung und eben auf den vielen Funkuhren in den Privathaushalten. Smartphones und Tablets wiederum bekommen die gültige Uhrzeit von Time-Servern im Internet. Das Mikrowellengerät in der Küche kann vermutlich nicht Zeitsignale empfangen, da muss mal wieder die Betriebsanleitung hervorgekramt werden.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die PTBA schickt ihre Signale minütlich und daher für uns im normalen Alltag meist nicht so ersichtlich herum. Zweimal im Jahr aber rücken sie in unser Bewusstsein, denn seit 1980 gilt bei uns die Regel, dass die Uhren im Frühjahr vor und im Herbst zurückgestellt werden. So wie die Straßencafés es mit ihren Stühlen und Tischen machen, wie eine Faustregel für Menschen besagt, die sich nicht merken können, wann die Uhren vor- und wann sie zurückgestellt werden.

Die Funksignale sendete die PTBA schon Anfang der 1980er Jahre über den Langwellensender DCF77. Ein "Zeitzeichengleichlaufregler" überwachte die angeschlossenen Hauptuhren und Uhrenanlagen, die wiederum Nebenuhren steuerten. Allerdings waren damals nicht wie heute alle Uhren an das Zeitdienstnetz angeschlossen. Laut dem Bericht der Bundesregierung betraf das bei der Deutschen Bundesbahn eine "hohe Zahl" solcher Uhren, weshalb ein "verhältnismäßig hoher personeller Aufwand" nötig gewesen sei, um alle Uhren innerhalb kurzer Zeit umzustellen. Als einen Behelf gab es Automaten, die die Zeitumstellung anstelle der Menschen vornahmen. Kostenpunkt 150 bis 1000 DM.

Einen solchen Automaten hatten die allermeisten Menschen in West- wie in Ostdeutschland Anfang der 1980er Jahre nicht, sie stellten ihre Uhren von Hand auf Sommerzeit um. In der Folge ging ein Drittel von ihnen später schlafen, ergab ein Gutachten, das die Bundesregierung damals in Auftrag gegeben hatte. Insbesondere Schulkinder waren demnach vermehrt unausgeschlafen, da sie wegen der verlängerten Helligkeit schwerer ins Bett zu bewegen waren. In Umfragen hatten damals 4 Prozent angegeben, sie würden während der Sommerzeit viel weniger schlafen, 27 Prozent etwas weniger, 2 Prozent etwas mehr und 66 Prozent hatten gemeint, für sie habe sich nichts geändert.

1981 ermittelten Infratest und Emnid für die Bundesregierung in repräsentativen Umfragen, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung die Sommerzeit begrüßt habe. Ein Hauptargument war für die meisten seinerzeit, dass ihnen der Tag länger erscheine und sie dadurch länger im Freien aktiv bleiben könnten. Der Energie-Effekt hingegen erschien marginal. Nach den damaligen Modellrechnungen ergab sich laut Bundesregierung eine geringe Energie-Einsparung, beim Strom etwa 0,15 Prozent. Allerdings gehe von der Einführung der Sommerzeit ein "gewisser Signaleffekt" aus, da die Bevölkerung damit häufig den Gedanken an Energieeinsparung verbinde.

Bis heute ist umstritten, ob der sommerliche Verschub des Tages nach hinten tatsächlich einen energetischen Nutzen bringt. Das deutsche Umweltbundesamt hatte 2018 angegeben, dass die Deutschen wegen der Zeitumstellung im Sommer tatsächlich abends seltener das Licht anschalten, im Frühjahr und Herbst werde jedoch morgens mehr geheizt, denn die Sonne wärme eine Stunde später als gewöhnlich.

Die EU-Kommission meinte 2018 ebenso, die gewünschten Energieeinsparungen seien marginal – und stieß eine Online-Konsultation unter der EU-Bevölkerung an, unter der sogleich die Server ächzten. Zuvor hatte im Herbst 2017 eine Bürgerinitiative in Finnland 70.000 Unterschriften gegen die Zeitumstellung gesammelt, was das EU-Parlament veranlasst hatte, die EU-Kommission aufzufordern, die Zeitumstellung zu überprüfen.

In der Konsultation, die vom 4. Juli bis 16. August 2018 lief, ergab sich, dass die meisten Menschen in Deutschland und Europa meinten, die Zeitumstellung sollte abgeschafft werden. 4,6 Millionen Menschen hatten an der Umfrage der EU-Kommission teilgenommen, 84 Prozent von ihnen wollten die Uhren nicht mehr umstellen. 3,1 Millionen der Meinungsbekundungen stammten aus Deutschland, wo das Thema die Menschen innerhalb der EU offenbar am meisten umtreibt. Das wurde auch deutlich in einer Umfrage in einer Meldung auf heise online zur Zeitumstellung vor gut einer Woche. Daran haben knapp 29.000 Leser von heise online teilgenommen und damit wesentlich mehr als sonst an dieser Art Umfrage.

Durch das augenscheinlich einheitliche Meinungsbild zieht sich ein Riss, denn selbst wenn die Uhr nicht mehr im Frühjahr und Herbst umgestellt würde, wäre noch nicht klar, welche Zeitregelung eingeführt werden sollte. In der EU-Konsultation hatten 56 Prozent der gesamten Teilnehmenden angegeben, sie bevorzugten die "dauerhafte Sommerzeit", während 32 Prozent die dauerhafte Normalzeit haben wollten. Dieser EU-Durchschnitt entsprach ungefähr der Meinungsverteilung in Deutschland. Von den Teilnehmern aus Portugal, Zypern und Polen waren hingegen mehr als 70 Prozent für die dauerhafte Sommerzeit, am anderen Ende traten vor allem Menschen aus Finnland, Dänemark und den Niederlanden zu 45 bis 48 Prozent für die dauerhafte Normalzeit ein.

In einer repräsentativen Umfrage für den "Focus" sprachen sich im Herbst 2018 rund 51 Prozent der gut 1000 Teilnehmer aus Deutschland dafür aus, die Sommerzeit dauerhaft zu belassen, 42 Prozent wollten die dauerhafte Normalzeit. Für die erste Variante hatte sich seinerzeit der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausgesprochen, der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meinte, er könne sich "zwölf Monate Sommerzeit" gut vorstellen.

In der Umfrage auf heise online hatten sich 61 Prozent der 29.000 Teilnehmenden dafür ausgesprochen, dauerhaft zur Normalzeit zurückzukehren, 27 Prozent möchten eine dauerhafte Sommerzeit und 10 Prozent sind mit der gegenwärtigen Regelung einverstanden. Allerdings ist diese Umfrage ähnlich wie die EU-Konsultation nicht nach den Anforderungen der Statistik repräsentativ, es wurde keine Stichprobe herangezogen, die die Grundgesamtheit abbildet. Wer an der heise-Umfrage und an der Konsultation teilgenommen hatte, tat dies aus einem bestimmten Antrieb heraus, nicht weil er zufälligerweise dazu befragt wurde; diese Menschen könnte das Thema wohl mehr umtreiben als andere, die möglicherweise aber eine andere Meinung dazu haben.