Missing Link: Spiele der XX. Olympiade München 1972 – der Anschlag
Seite 3: Der Angriff
Beide Gruppen bekamen freilich nicht mit, wie die acht aus ihren Sporttaschen Kalaschnikows zogen und die Türschilder in der Connollystr. 31 lesen. Asiatische Namen wurden von den Männern übergangen, bei Apartment 1 mit jüdischen Namen schlugen sie zu. Die Tür war zugezogen, aber nicht verriegel. Die Männer drangen ein, es fällt ein Schuss, der den Trainer Moshe Weinberg verletzte.
Weinberg wurde gezwungen, einige Männer zu einem weiteren Zimmer zu bringen. Er schaffte es, sie an den Zimmern der Frauen und Ärzte zum Apartment der Gewichtheber zu lotsen. Weinberg stürzte sich alsdann auf einen der beiden Männer und wurde erschossen, ebenso der Mittelgewichtler Josef Romero, der sich auf den anderen Mann stürzte. Insgesamt konnten die Terroristen neun lebende Israelis in ihre Gewalt bringen.
"Anfängerfehler"
Um 5:25 Uhr war die Polizei vor Ort. "Issa", der Anführer des Terrorkommandos, übergab ein englisches Schreiben, in dem die Freilassung von 234 Gefangenen gefordert wurde, die in israelischen Gefängnissen einsaßen. Außerdem zwei deutsche Namen: Andreas Baader und Ulrike Meinhof, die im Juni inhaftiert worden waren. Alle 236 sollten bis neun Uhr freigelassen werden, sonst würde man die Geiseln erschießen.
Nach anderen Untersuchungen standen 328 Peronen auf der Liste, aus Deutschland jedoch nur eine, "ULRIKA MEINHOF". Etwa um 6:30 Uhr erfuhren die ranghöchsten Behördenvertreter vor Ort, der bayerische Innenminister Bruno Merk und der deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher von dem Anschlag, fast zeitgleich kam die Nachricht in Israel an. Dort meldete sich die Eliteeinheit Sajret Matkal vom israelischen Geheimdienst Mossad nach wenigen Minuten einsatzbereit. Ihr Kommandeur Ehud Barak drang telefonisch darauf, den Einsatz seiner Leute freizugeben, da die deutsche Polizei zu unerfahren sein. "Keine Chance, dass sie das schaffen. Sie werden alle möglichen Anfängerfehler machen, die jeder macht, wenn er nicht gut ausgebildet ist."
Das Gegenteil vertrat Verteidigungsminister Moshe Dayan: "Die deutsche Armee braucht uns nicht. Sie verfügt über eine auf solche Einsätze trainierte Sondereinheit. Wenn sie den Auftrag bekommt, die Sportler zu befreien, dann wird sie das tun." Beide waren sich mit Premierministerin Golda Meir einig, dass in jedem denkbaren Fall keine Gefangenen aus israelischen Gefängnissen freikommen dürfen. Mit Terroristen wird nicht verhandelt, Konzessionen werden nicht gemacht.
Die Polizeipannen
Um sieben Uhr war die Nachricht vom Überfall im Olympischen Dorf die Spitzenmeldung in den deutschen Radionachrichten. In München trat ein Krisenstab zusammen, der in Verhandlungen mit "Issa" die Frist verlängern sollte, in Bonn richtete Bundeskanzler Brandt einen Appell an die arabischen Staaten, alles zu versuchen, dass die Geiseln unversehrt bleiben.
Gleichzeitig untersuchten Polizei- und Bauspezialisten, ob eine Erstürmung des Gebäudes durchgeführt werden könnte. Negativ: alles fester Beton und gesicherte Lüftungsschächte, in der engen Straße sei das Haus leicht zu verteidigen. Noch übler: Vom Flachdach des zentralen Sendezentrums waren die Appartements für die Kameras gut einsehbar, auch die Sportfotografen mit ihren extremen Brennweiten zogen auf das Dach und fotografierten die bemützten Terroristen ebenso wie Polizeikräfte in Trainingsanzügen, die versuchten, sich anzuschleichen.
Dass die TV-Sendungen nicht unterbrochen wurden, die Fotografen nicht abgezogen wurden und die Sichtkorridore nicht verhängt wurden, gehörte zu den großen Polizeipannen. So sahen Millionen in aller Welt, wie sich Polizisten tapsig anzuschleichen versuchten und möglichst leise auf dem Kies-bedeckten Dach zu gehen. Einem fiel der Kugelschutz klappernd herunter, dem anderen der aufgesetzte Helm. Die Freiwilligen fühlten sich wie "Bergsteiger in Badelatschen auf dem Himalaya", sagte später einer von Ihnen. Überdies war das Schussfeld begrenzt: In 100 Metern Entfernung drängten sich die Schaulustigen; auf den Balkonen guckten Sportler anderer Delegationen zu, was da passierte.