Missing Link: Vom Großen Gesetz des Friedens und der zweitältesten Demokratie

Seite 2: Frieden und Diplomatie als Leidenschaft und Stärke

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Als im 16. Jahrhundert die ersten Europäer – damals selbst noch monarchisch regiert – im Nordosten Amerikas auftauchten, konnten die Haudenosaunee demnach bereits auf eine Jahrhunderte alte Tradition demokratischer Meinungsbildung zurückblicken. Die Franzosen zeigten sich davon indessen wenig beeindruckt, sondern machten sie sich sogleich zu Feinden und gaben ihnen den Namen, unter dem sie in der westlichen Welt heute noch am bekanntesten sind: Iroquois – Irokesen.

Der Ursprung dieses Wortes ist unklar, scheint aber auf einen abfälligen Ausdruck aus der Sprache der mit den Franzosen verbündeten Algonkin zurückzugehen, der so etwas wie "Giftschlangen" bedeuten könnte. Darin mag zwar ein gewisser Respekt für ihre Kampfkraft mitschwingen. Der feindselige Blick der Franzosen auf die Föderation dürfte aber auch dazu beigetragen haben, dass Frieden und Diplomatie als die eigentlichen Leidenschaften und Stärken der Leute vom Langhaus lange Zeit übersehen wurden.

Mittlerweile jedoch wird dies sogar von ihren einstigen indigenen Feinden anerkannt. So findet Robin Wall Kimmerer, selbst Angehörige der einst mit den Haudenosaunee verfeindeten Potawatomi, in ihrem bemerkenswerten Buch Geflochtenes Süßgras lobende und geradezu bewundernde Worte für das diplomatische Geschick der Langhausleute.

Deren Name bezieht sich übrigens nicht in erster Linie darauf, dass sie lange Häuser bauten, in denen die Abkömmlinge einer Clan-Mutter zusammenlebten. Vielmehr diente das Langhaus dem Friedensstifter als Modell für das Zusammenleben der fünf Nationen, mit den Seneca und Mohawk als Wächtern der Eingänge im Westen und Osten, den Onondaga in der Mitte als Hüter des zentralen Feuers und den Oneida und Cayuga als "jüngeren Brüdern" dazwischen. Um die Nationen nach und nach von dieser Vision vom großen Langhaus zu überzeugen, brauchte der Friedensstifter Unterstützung. Zu seinen wichtigsten Verbündeten bei der Durchsetzung dieser Vision vom großen Langhaus wurden der Onondaga-Häuptling Hiawatha und Jigonhsasee, eine Frau, die an der Kreuzung der Kriegspfade lebte und in deren Hütte die vorbeiziehenden Krieger friedlich speisen und sich ausruhen konnten.

Die drei lebten zu einer Zeit, die von extremer Gewalt geprägt war. Oren Lyons, Faithkeeper der Onondaga Nation, verglich im Jahr 2015 die damaligen Verhältnisse mit denen im Kosovo, den er kurz zuvor besucht hatte. Bis in die Familien hinein hätte der Hass die Menschen gespalten. Blutige Fehden führten zu immer wieder neuen Vergeltungsfeldzügen, deren ursprünglichen Grund bald niemand mehr kannte. Der Hass nährte sich selbst.