Missing Link: Von der Logik des Überflusses und einer gekauften Zukunft

Seite 2: Niemand wollte OSI

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Sie wurden auch Provider für externe Nutzer ...

Viele Firmen, die irgendwie mit den Universitäten zu tun hatten, kamen zu uns und sagten, hey, wir haben gehört, ihr habt dieses coole Zeug. Wir machen auch Forschung und wir würden gerne Sachen hin und her schicken können. Und wir sagten, okay, zahlt Euren Beitrag wie alle und wir schalten Euch auf. Wir waren nach wie vor zu zweit und arbeiteten wie die Verrückten. Geld für mehr Personal war nicht drin. Aber wir verdoppelten die Geschwindigkeit und dann verdoppelten wir sie wieder. Wir kamen an die Grenzen der Satellitenkapazität in Hawaii. Also verbanden wir uns direkt zur Westküste und gingen dort direkt ins Netz der NASA. Wir wurden Australiens größter Kunde für internationalen Datenverkehr. Das Netz hatte abgehoben.

Wann wurde nur noch TCP/IP genutzt?

Wir fühlten uns nicht ernsthaft an OSI gebunden. Es gab keine praktischen Implementierungen. Niemand wollte es. Wir machten DECnet und X.25. DECnet boten wir seit 89/90, die letzte erfolgreiche Version, Phase 4 hatte nur 16 Bit-Adressen. NASA und andere machten eine Reihe von Handständen, um diese Adresslimitierungen zu umgehen. Aber 1991 wollte niemand mehr DECnet Phase 5 und es verschwand genauso wie X.25. Nachdem alle Anwendungen zu TCP/IP umgezogen waren, machten die anderen Protokolle keinen Sinn mehr. Wir haben das nicht abgeschaltet.

Dann wurde es zu groß, und Telstra, der Erzfeind kaufte.

Sie waren nicht der Feind. Wir waren so rasch expandiert. Wir hatten einen E1 Circuit.(Eine E1-Leitung bündelt 32 64-kbit/s-Kanäle für insgesamt 2,048 Mbit/s.) Dann brauchten wir mehr. Wir wollten zwei E1, drei E1 Circuits. Die Telefongesellschaft sah sich die Bestellungen an, und teilte mit, dass sie dafür enorme Investitionen in ein ziemlich überlastetes Kabelnetz tätigen müsste. Zugleich würden wir die Kapazität, die sie extra beim Kabelnetzprovider einkauften, immer nur für ein Jahr bestellen. Würden wir nicht mehr bestellen, hätten sie plötzlich Probleme, weil wir ja keinen Telefonverkehr hätten, um die Leitungen auszulasten. Man teilte uns also mit, dass man uns diese Leistung nicht mehr verkaufe. Wir seien ein zu großer Kunde.

Sie waren der größte Kunde …

Ja. Telstra wollte aber ein anderes Arrangement. Innerhalb der Firma erkannte man die Zeichen. Die eigenen frühen Versuche mit X.25 Netzen waren krachend gescheitert. Wir hatten als erster ISP in Australien dagegen 200 der größten Kunden. Regierungseinrichtungen, große Privatkunden, einfach alle. Und die Telefongesellschaft fand, das sei doch eigentlich unser Job. Ich habe später herausgefunden, dass intern drei Gruppen an einem Internet-Produkt arbeiteten, die sich in Grabenkämpfen verschlissen. Daher konnten sie kein Produkt herausbringen. Aber einer sagte schließlich, wenn wir eine Internet-Plattform kaufen, sind wir unser Problem los. 1995 kauften sie also einfach unser gesamtes Netz und die Präsidenten der Unis waren hocherfreut.

Wie viel hat Telstra bezahlt?

3,5 Millionen Dollar, ein Schnäppchen. Es hätten 300 Millionen sein sollen. Aus heutiger Sicht vermutlich mehr. Wir wussten nicht, was wir wert waren. Wir waren naiv.

Sie gingen mit zu Telstra, haben Sie überlegt, an der Uni zu bleiben?

Ich hatte meinen ursprünglichen ANU-Posten nie offiziell aufgegeben. Also hätte ich zurückgehen können, das Campus-Netz als Administrator betreuen – eine eher langweilige Perspektive. Also ging ich zur Telefongesellschaft, mit der festen Absicht, sie von innen zu zerstören. Denn für mich war klar zu der Zeit, die Telefonie war erledigt. Das war einfach eine Anwendung von vielen und das alte Vermittlungsnetz war nutzlos geworden. Die Telefongesellschaft sah sich als Mittler zwischen A und B, als Schaltkreis zwischen Telefonen. Ich erklärte, es gibt nur ein A-Ende, da sitzt der Kunde. Das andere Ende? Das bin ich, das Internet. Diese Vorstellung hat Anfälle und Paranoia im Unternehmen ausgelöst.

Aber das Wachstum ging weiter ...

Das Internet ging durch die Decke. Ich habe alle zwei oder drei Wochen mehr Kapazität auf internationalen Leitungen bestellt und den Kabelleuten ging das Material aus. In den Wirtschaftszeitungen erschienen Artikel, Telstra würde das Internet verstopfen. Das Ergebnis war, dass der CEO eine Direktive ausgab, die besagte, dass er mir seine Glasfaserleute schicke und ich über alle Assets der Firma verfügen könne, nur bitte, ich sollte Telstra aus den Schlagzeilen holen. Auf die Art bauten wir unser Glasfasernetz enorm aus und verteilten Router, passten sie an die Strecken an und warfen die ganzen SDH Switches raus. Was blieb, war der akute Engpass bei der Anbindung an den Rest der Welt. Das lag daran, dass es nicht mehr Unterseekabel gab, also gingen wir wieder über Satelliten. Das war wirklich Mist. Es ist einfach zu langsam.

Überdies musste man da immer Up-and-Down-Link kaufen. Ich wollte eigentlich nur ein paar 45 MB Leitungen in eine Richtung. Ich habe also BGP sozusagen missbraucht für uni-direktionale Satelliten-Verbindungen, kein Rückkanal. Ich wurde immer gefragt, wie ich so feststellen kann, dass es Probleme gibt. Meine Antwort lautete, wenn man BGP clever einsetzt und den Verkehr in einer großen Schleife über den Satelliten zurück ins Kabel führt, weiß man sehr wohl, wenn die Leitung tot ist. Die Telefonleute waren nachgerade entsetzt. Sie argumentierten, man könne das Management eines Interface nicht einem Protokoll aus einem höheren Layer überlassen, aber BGP funktionierte einfach (lacht).

Ein echter Kulturkampf ...

Unser Job war es, Kosten einzusparen. Der Job der Telefongesellschaft war es, Kosten zu generieren. Ich wollte einfach den kürzesten Weg übers Glasfasernetz ohne Redundanz auf der Transportebene. Der Kulturschock für die Telefonieleute war wirklich greifbar.

Aber da waren Sie schon weg ...

Ich bin 2004 gegangen. Zu der Zeit war ein Großteil des Unternehmens verschwunden. Voice-Dienste waren tot, wir waren eine Data Company. Wie bei jeder großen Firma spielten leider die Kunden nicht wirklich eine Rolle. Im Mittelpunkt stand der Kampf zwischen den Abteilungen, ein mörderischer Krieg: Business und Consumer gegen Technik gegen Regierungsdienstleistungen. Es gab eine Zeit, da hatten wir sieben unterschiedliche Datenplattformen und gaben sinnlos viel Geld aus. Meine Widersacher waren nicht mehr nur die Telefonleute, sondern auch Cisco. Wir waren ein Riesenkunde und Cisco hatte alle Netzwerkleute des Planeten aufgekauft. Wenn man mit denen diskutierte ...

Wie Google heute ...

Genau. In der Diskussion mit Google zieht man vermutlich auch den Kürzeren, aus genau demselben Grund. Cisco erklärte damals, dass wir MPLS brauchen, VPNs und natürlich Quality of Service. Ich war jeweils dagegen. Beharrlich wurde vorgetragen, man müsse das Netzwerk mit allerlei sinnlosen Features auszuschmücken. Letztlich ging es aber nur ums Geld. Irgendwann kam ich mir vor, wie jemand, dem niemand zuhört und bin gegangen. Ich hatte 1993 bei der Gründung von APNIC mitgeholfen, war 98/99 dessen Vorsitzender. Auch bei der Internet-Society Australien war ich aktiv. Telstra war ein Arbeitsplatz, und ein reichlich toxischer dazu, aber mit den Internetorganisationen zu arbeiten, war Fun. Das waren alte Freunde. Ich ging also zu meinen Freunden und arbeitete für die Adressleute. Ich kümmerte mich dort um die Erforschung von Netzen.