Missing Link: Von der Logik des Überflusses und einer gekauften Zukunft

In unserer Reihe der Internet-Pioniere zieht es uns nach Australien. Wir sprechen mit Geoff Huston, der nicht nur das Netz in Australien mit aufgebaut hat.

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(Bild: Anton Balazh/Shutterstock.com)

Lesezeit: 26 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Er hat Australiens Universitäten ans Netz gebracht, fuhr mit Hardware quer durch seinen Kontinent und ist seit vielen Jahren Chefwissenschaftler von APNIC, Asiens vielgesichtiger IP-Address Registry. Die Fachwelt kennt und liebt seine bissigen Vorträge zur Entwicklung des Netzes und seiner Benutzer.

Im Gespräch mit heise online spricht Geoff Huston über die Protokollkriege in Down Under, den Kulturschock, den das Netz für Australiens Telco bedeutete, aber auch das Ende des BGP-Routing und die Unmöglichkeit, die Dominanz einer Handvoll Giganten der modernen Netzwelt zu brechen.

Unsere Serie deutscher und ausländischer Internetpioniere:

heise online: Sie haben Mitte der 70er Ihr Studium aufgenommen, die Informatik war in ihren Anfängen. Warum haben Sie Informatik gewählt?

Geoff Huston

(Bild: APAN)

Geoff Huston: Ich habe Reine Mathematik an der Australian National University studiert. Ich empfand Mathematik als anstrengend, weil sie einen ungeheuer kreativen Umgang mit lose definierten formalen Systemen erfordert, während einem die Informatik Kreativität mit streng definierten formalen Systemen abverlangt. Wenn man in einer Programmiersprache denken kann, ergibt sich alles andere von selbst.

Wir fanden es faszinierend, ein Programm zu schreiben und zu beobachten, wie es die Routine abarbeitete. Netzwerke waren noch kein Thema. Eine Theorie für Betriebssysteme gab es nicht. Unix war noch nicht wirklich geboren. Wir lernten die Theorie, nicht die Praxis der Informatik. Vielleicht war es gut, Handwerkszeug ohne einen exakten Bauplan zu bekommen. Mit Netzen bin ich erst fünf oder zehn Jahre später in Berührung gekommen.

Während sie für das Australian Academic and Research Network (AARN) arbeiteten?

Viel früher, als ich in den frühen 80er-Jahren an der Australian National University war. Die ANU begann damals, mehr und mehr kleine Computer zu kaufen. Das war der neue Trend in der Informationstechnik, weg von den Großrechnern. Natürlich wollte man die vielen kleinen auch alle verbinden. Dafür braucht man Technologie: Kabel, Konnektivität und Protokolle. Das ganze blähte sich enorm auf, denn wir sind in der Zeit Hersteller-basierter Netzwerkarchitekturen. IP auf allen Plattformen war Zukunftsmusik. Wir hatten etwas DECnet (Digital Equipment Corporation Netzprotokolle), etwas SNA (Systems Network Architecture, IBM), etwas von all den alten, archaischen, proprietären Systemen verschiedener Hersteller.

Ethernet kam gerade erst um die Ecke. Die ersten Sun Workstations waren zu haben. Es war eine aufregende Zeit. Meine erste Arbeit bestand darin, einen IBM PC dazu zu bringen, mit einer Sperry UNIVAC zu sprechen. Das hatte vorher, glaube ich, noch niemand versucht, warum auch? Es war eine reichlich esoterische Angelegenheit. Ich habe Kermit, ein von Computer-Hobbyisten intensiv genutztes Protokoll für diese Anwendung umgeschrieben.

Wie groß war das Uninetz?

Es war ein riesiger Campus mit 70 Gebäuden und einem Observatorium, das 1000 Kilometer entfernt im Hochland war. Das haben wir auch angeschlossen, weil wir das konnten. Am Ende habe ich ein Glasfasernetz für den Campus aufgebaut. Bridging (Netzwerke verbinden) war das große Ding damals. Ich habe überbrückt und Repeater eingesetzt. Zugleich war das die Zeit des beginnenden UUCP-basierten Nachrichtenaustauschs.

Piet Beertema in Amsterdam, Rick Adams, der Seismo in Virginia betrieb, und Robert Elz an der Uni Melbourne haben phantastische Dinge mit Dial-Up gemacht. Das hat mich sehr interessiert und da ich ein VAX/VMS-Mann war, adaptierte ich ein paar Unix Dienstprogramme für die VAX. Das Usenet war eine Goldgrube, aber auf der VAX hatte ich darauf keinen Zugriff. Also schrieb ich eine sehr krude Version von IP und programmierte eine VAX/VMS Version für Usenet-News, basierend auf den RFCs. Bänder mit dem Programm Usenet auf der VAX habe ich in die ganze Welt verschickt. Die Leute rissen mir das nur so aus den Händen.

Eine Frage zur Anbindung nach draußen. Australien nutzte eine Satellitenverbindung, dabei gab es doch alte Unterseekabel, wurden die nicht genutzt?

Das erste Seekabel war ANZCAN, es verband Australien, Neuseeland und Kanada. Darüber konnten parallel 50 Telefongespräche laufen, das war nicht mehr als ein paar Hundert Kilobit.

Nicht gerade viel …

Es war praktisch nichts, einfach das nackte Kupferkabel. Dann gab es Intelsat-Satellitenverbindungen. Die ersten Anbindungen darüber liefen über Modems und das Telefonnetz. Ich bin ziemlich sicher, dass Anrufe über das ANZCAN Kabel gingen. Wir brachten Digital Equipment dazu, die Anrufe zu sponsern. Ein oder zwei Jahre konnten wir die Leitung umsonst nutzen. Dann war Schluss – und wir mussten bezahlen. Zum Glück fiel das in die Zeit der US High Performance Computing Initiative – auch Al Gore-Programm genannt. Das war der Startschuss für das NSFnet, das sich um die Anbindung von US-Forschern, auch außerhalb der USA, kümmerte. Weil diese an Gastunis meist nicht angebunden waren, entschied die NASA, statt individueller Lösungen ein Gesamtarrangement zu machen. Man würde die Unis dieser Länder insgesamt an Bord bringen.

In einer bizarren Aufteilung der Welt kümmerte sich die NASA dabei um den Pazifik, das Energy Science Network bekam das Gros von Europa ab und die National Science Foundation den Rest der Welt. In den späten 80ern lag das Angebot der NASA auf dem Tisch, Australien über die University in Hawaii anzuschließen. Die Begeisterung in Australien war riesig. Bloß hatten wir keinerlei nationales Netz. Wir hatten 38, über den ganzen Kontinent verstreute, Institutionen mit UUCP-Verbindungen übers Telefonnetz.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Was ist passiert?

Das Angebot der NASA landete direkt auf den Tischen der Universitätspräsidenten. Normalerweise agieren die Universitäten kannibalistisch. Sie kooperieren nicht, sie konkurrieren und versuchen, sich aufzufressen. Dies war eines der wenigen Projekte, das sie zur Zusammenarbeit zwang. Sie erkannten, dass sie nicht einfach die verschiedenen Computer-Abteilungen der Unis zur Kooperation auffordern konnten.

Sie brauchten jemanden im Zentrum, damit alle vorankamen und sie schrieben eine Stelle dafür aus. Das war 1988. Ich saß da an der ANU und hatte mein Campus Netz gemacht und ich wollte mehr machen. Ich entschied, ich kann das, bewarb mich und bekam die Stelle. Ich begann also damit, wie bekomme ich das Geld zusammen und alles Andere, die Geräte, wie setzen wir die Organisation auf. Es war ein Aufbau aus dem Nichts.

Die Geburtsstunde des Australian Academic and Research Network?

Genau das. Wir fingen mit nichts an, veranstalteten eine Konferenz, einen Workshop und rechneten aus, dass das gar nicht so teuer war. Hans Eriksson, der als Gastforscher hier war und gerade NORDUnet aufgebaut hatte, berichtete von der skandinavischen Lösung des Protokollkrieges. X.25, DECnet, und TCP/IP – jeder wollte sein Protokoll durchsetzen. Aber NORDUnet entschied sich für Multi-Protokoll-Router, also Router, die mehr als IP sprachen. Ich habe sehr genau zugehört, und dann haben wir es genau so gemacht, mit einer einfachen sternförmigen Konfiguration. Jeder konnte sein Protokoll nutzen und auf der anderen Seite war der Link ins NASA-Wissenschaftsnetz.

Sie haben das für kleines Geld gemacht ...

Ja. Nach neun Monaten hatten wir eine dauerhafte Verbindung und dann begann eine wilde Hatz. Im Mai 1990 war jede Universität und jedes Institut am Netz. Wir hatten genug Geld, um die Rechnungen zu zahlen.

Wie wurde das finanziert?

Wir waren alle staatlich finanziert. Jede einzelne Uni gab rund 600.000 Dollar pro Jahr für die Telefonie aus. Das Internet kostete sie gerade mal 90.000 Dollar oder weniger. Wir waren ein Schnäppchen. Das Problem, wie beim NSFnet, – der Erfolg war katastrophal. Wir hatten der Telefongesellschaft den einen rudimentären Dienst genommen, die Sprachleitung. Mit der Digitalisierung bekam man in Australien 48 kbit/s. Alle waren auf diesen schmalen Leitungen zusammengepfercht. Wir fanden es klasse, aber es war lahm und innerhalb von sechs Monaten waren die Leitungen voll. Wir wieder zu den Chefs und baten um mehr Geld.