Missing Link: Von der Logik des Überflusses und einer gekauften Zukunft

In unserer Reihe der Internet-Pioniere zieht es uns nach Australien. Wir sprechen mit Geoff Huston, der nicht nur das Netz in Australien mit aufgebaut hat.

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(Bild: Anton Balazh/Shutterstock.com)

Lesezeit: 26 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Er hat Australiens Universitäten ans Netz gebracht, fuhr mit Hardware quer durch seinen Kontinent und ist seit vielen Jahren Chefwissenschaftler von APNIC, Asiens vielgesichtiger IP-Address Registry. Die Fachwelt kennt und liebt seine bissigen Vorträge zur Entwicklung des Netzes und seiner Benutzer.

Im Gespräch mit heise online spricht Geoff Huston über die Protokollkriege in Down Under, den Kulturschock, den das Netz für Australiens Telco bedeutete, aber auch das Ende des BGP-Routing und die Unmöglichkeit, die Dominanz einer Handvoll Giganten der modernen Netzwelt zu brechen.

Unsere Serie deutscher und ausländischer Internetpioniere:

heise online: Sie haben Mitte der 70er Ihr Studium aufgenommen, die Informatik war in ihren Anfängen. Warum haben Sie Informatik gewählt?

Geoff Huston

(Bild: APAN)

Geoff Huston: Ich habe Reine Mathematik an der Australian National University studiert. Ich empfand Mathematik als anstrengend, weil sie einen ungeheuer kreativen Umgang mit lose definierten formalen Systemen erfordert, während einem die Informatik Kreativität mit streng definierten formalen Systemen abverlangt. Wenn man in einer Programmiersprache denken kann, ergibt sich alles andere von selbst.

Wir fanden es faszinierend, ein Programm zu schreiben und zu beobachten, wie es die Routine abarbeitete. Netzwerke waren noch kein Thema. Eine Theorie für Betriebssysteme gab es nicht. Unix war noch nicht wirklich geboren. Wir lernten die Theorie, nicht die Praxis der Informatik. Vielleicht war es gut, Handwerkszeug ohne einen exakten Bauplan zu bekommen. Mit Netzen bin ich erst fünf oder zehn Jahre später in Berührung gekommen.

Während sie für das Australian Academic and Research Network (AARN) arbeiteten?

Viel früher, als ich in den frühen 80er-Jahren an der Australian National University war. Die ANU begann damals, mehr und mehr kleine Computer zu kaufen. Das war der neue Trend in der Informationstechnik, weg von den Großrechnern. Natürlich wollte man die vielen kleinen auch alle verbinden. Dafür braucht man Technologie: Kabel, Konnektivität und Protokolle. Das ganze blähte sich enorm auf, denn wir sind in der Zeit Hersteller-basierter Netzwerkarchitekturen. IP auf allen Plattformen war Zukunftsmusik. Wir hatten etwas DECnet (Digital Equipment Corporation Netzprotokolle), etwas SNA (Systems Network Architecture, IBM), etwas von all den alten, archaischen, proprietären Systemen verschiedener Hersteller.

Ethernet kam gerade erst um die Ecke. Die ersten Sun Workstations waren zu haben. Es war eine aufregende Zeit. Meine erste Arbeit bestand darin, einen IBM PC dazu zu bringen, mit einer Sperry UNIVAC zu sprechen. Das hatte vorher, glaube ich, noch niemand versucht, warum auch? Es war eine reichlich esoterische Angelegenheit. Ich habe Kermit, ein von Computer-Hobbyisten intensiv genutztes Protokoll für diese Anwendung umgeschrieben.

Wie groß war das Uninetz?

Es war ein riesiger Campus mit 70 Gebäuden und einem Observatorium, das 1000 Kilometer entfernt im Hochland war. Das haben wir auch angeschlossen, weil wir das konnten. Am Ende habe ich ein Glasfasernetz für den Campus aufgebaut. Bridging (Netzwerke verbinden) war das große Ding damals. Ich habe überbrückt und Repeater eingesetzt. Zugleich war das die Zeit des beginnenden UUCP-basierten Nachrichtenaustauschs.

Piet Beertema in Amsterdam, Rick Adams, der Seismo in Virginia betrieb, und Robert Elz an der Uni Melbourne haben phantastische Dinge mit Dial-Up gemacht. Das hat mich sehr interessiert und da ich ein VAX/VMS-Mann war, adaptierte ich ein paar Unix Dienstprogramme für die VAX. Das Usenet war eine Goldgrube, aber auf der VAX hatte ich darauf keinen Zugriff. Also schrieb ich eine sehr krude Version von IP und programmierte eine VAX/VMS Version für Usenet-News, basierend auf den RFCs. Bänder mit dem Programm Usenet auf der VAX habe ich in die ganze Welt verschickt. Die Leute rissen mir das nur so aus den Händen.

Eine Frage zur Anbindung nach draußen. Australien nutzte eine Satellitenverbindung, dabei gab es doch alte Unterseekabel, wurden die nicht genutzt?

Das erste Seekabel war ANZCAN, es verband Australien, Neuseeland und Kanada. Darüber konnten parallel 50 Telefongespräche laufen, das war nicht mehr als ein paar Hundert Kilobit.

Nicht gerade viel …

Es war praktisch nichts, einfach das nackte Kupferkabel. Dann gab es Intelsat-Satellitenverbindungen. Die ersten Anbindungen darüber liefen über Modems und das Telefonnetz. Ich bin ziemlich sicher, dass Anrufe über das ANZCAN Kabel gingen. Wir brachten Digital Equipment dazu, die Anrufe zu sponsern. Ein oder zwei Jahre konnten wir die Leitung umsonst nutzen. Dann war Schluss – und wir mussten bezahlen. Zum Glück fiel das in die Zeit der US High Performance Computing Initiative – auch Al Gore-Programm genannt. Das war der Startschuss für das NSFnet, das sich um die Anbindung von US-Forschern, auch außerhalb der USA, kümmerte. Weil diese an Gastunis meist nicht angebunden waren, entschied die NASA, statt individueller Lösungen ein Gesamtarrangement zu machen. Man würde die Unis dieser Länder insgesamt an Bord bringen.

In einer bizarren Aufteilung der Welt kümmerte sich die NASA dabei um den Pazifik, das Energy Science Network bekam das Gros von Europa ab und die National Science Foundation den Rest der Welt. In den späten 80ern lag das Angebot der NASA auf dem Tisch, Australien über die University in Hawaii anzuschließen. Die Begeisterung in Australien war riesig. Bloß hatten wir keinerlei nationales Netz. Wir hatten 38, über den ganzen Kontinent verstreute, Institutionen mit UUCP-Verbindungen übers Telefonnetz.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Was ist passiert?

Das Angebot der NASA landete direkt auf den Tischen der Universitätspräsidenten. Normalerweise agieren die Universitäten kannibalistisch. Sie kooperieren nicht, sie konkurrieren und versuchen, sich aufzufressen. Dies war eines der wenigen Projekte, das sie zur Zusammenarbeit zwang. Sie erkannten, dass sie nicht einfach die verschiedenen Computer-Abteilungen der Unis zur Kooperation auffordern konnten.

Sie brauchten jemanden im Zentrum, damit alle vorankamen und sie schrieben eine Stelle dafür aus. Das war 1988. Ich saß da an der ANU und hatte mein Campus Netz gemacht und ich wollte mehr machen. Ich entschied, ich kann das, bewarb mich und bekam die Stelle. Ich begann also damit, wie bekomme ich das Geld zusammen und alles Andere, die Geräte, wie setzen wir die Organisation auf. Es war ein Aufbau aus dem Nichts.

Die Geburtsstunde des Australian Academic and Research Network?

Genau das. Wir fingen mit nichts an, veranstalteten eine Konferenz, einen Workshop und rechneten aus, dass das gar nicht so teuer war. Hans Eriksson, der als Gastforscher hier war und gerade NORDUnet aufgebaut hatte, berichtete von der skandinavischen Lösung des Protokollkrieges. X.25, DECnet, und TCP/IP – jeder wollte sein Protokoll durchsetzen. Aber NORDUnet entschied sich für Multi-Protokoll-Router, also Router, die mehr als IP sprachen. Ich habe sehr genau zugehört, und dann haben wir es genau so gemacht, mit einer einfachen sternförmigen Konfiguration. Jeder konnte sein Protokoll nutzen und auf der anderen Seite war der Link ins NASA-Wissenschaftsnetz.

Sie haben das für kleines Geld gemacht ...

Ja. Nach neun Monaten hatten wir eine dauerhafte Verbindung und dann begann eine wilde Hatz. Im Mai 1990 war jede Universität und jedes Institut am Netz. Wir hatten genug Geld, um die Rechnungen zu zahlen.

Wie wurde das finanziert?

Wir waren alle staatlich finanziert. Jede einzelne Uni gab rund 600.000 Dollar pro Jahr für die Telefonie aus. Das Internet kostete sie gerade mal 90.000 Dollar oder weniger. Wir waren ein Schnäppchen. Das Problem, wie beim NSFnet, – der Erfolg war katastrophal. Wir hatten der Telefongesellschaft den einen rudimentären Dienst genommen, die Sprachleitung. Mit der Digitalisierung bekam man in Australien 48 kbit/s. Alle waren auf diesen schmalen Leitungen zusammengepfercht. Wir fanden es klasse, aber es war lahm und innerhalb von sechs Monaten waren die Leitungen voll. Wir wieder zu den Chefs und baten um mehr Geld.

Sie wurden auch Provider für externe Nutzer ...

Viele Firmen, die irgendwie mit den Universitäten zu tun hatten, kamen zu uns und sagten, hey, wir haben gehört, ihr habt dieses coole Zeug. Wir machen auch Forschung und wir würden gerne Sachen hin und her schicken können. Und wir sagten, okay, zahlt Euren Beitrag wie alle und wir schalten Euch auf. Wir waren nach wie vor zu zweit und arbeiteten wie die Verrückten. Geld für mehr Personal war nicht drin. Aber wir verdoppelten die Geschwindigkeit und dann verdoppelten wir sie wieder. Wir kamen an die Grenzen der Satellitenkapazität in Hawaii. Also verbanden wir uns direkt zur Westküste und gingen dort direkt ins Netz der NASA. Wir wurden Australiens größter Kunde für internationalen Datenverkehr. Das Netz hatte abgehoben.

Wann wurde nur noch TCP/IP genutzt?

Wir fühlten uns nicht ernsthaft an OSI gebunden. Es gab keine praktischen Implementierungen. Niemand wollte es. Wir machten DECnet und X.25. DECnet boten wir seit 89/90, die letzte erfolgreiche Version, Phase 4 hatte nur 16 Bit-Adressen. NASA und andere machten eine Reihe von Handständen, um diese Adresslimitierungen zu umgehen. Aber 1991 wollte niemand mehr DECnet Phase 5 und es verschwand genauso wie X.25. Nachdem alle Anwendungen zu TCP/IP umgezogen waren, machten die anderen Protokolle keinen Sinn mehr. Wir haben das nicht abgeschaltet.

Dann wurde es zu groß, und Telstra, der Erzfeind kaufte.

Sie waren nicht der Feind. Wir waren so rasch expandiert. Wir hatten einen E1 Circuit.(Eine E1-Leitung bündelt 32 64-kbit/s-Kanäle für insgesamt 2,048 Mbit/s.) Dann brauchten wir mehr. Wir wollten zwei E1, drei E1 Circuits. Die Telefongesellschaft sah sich die Bestellungen an, und teilte mit, dass sie dafür enorme Investitionen in ein ziemlich überlastetes Kabelnetz tätigen müsste. Zugleich würden wir die Kapazität, die sie extra beim Kabelnetzprovider einkauften, immer nur für ein Jahr bestellen. Würden wir nicht mehr bestellen, hätten sie plötzlich Probleme, weil wir ja keinen Telefonverkehr hätten, um die Leitungen auszulasten. Man teilte uns also mit, dass man uns diese Leistung nicht mehr verkaufe. Wir seien ein zu großer Kunde.

Sie waren der größte Kunde …

Ja. Telstra wollte aber ein anderes Arrangement. Innerhalb der Firma erkannte man die Zeichen. Die eigenen frühen Versuche mit X.25 Netzen waren krachend gescheitert. Wir hatten als erster ISP in Australien dagegen 200 der größten Kunden. Regierungseinrichtungen, große Privatkunden, einfach alle. Und die Telefongesellschaft fand, das sei doch eigentlich unser Job. Ich habe später herausgefunden, dass intern drei Gruppen an einem Internet-Produkt arbeiteten, die sich in Grabenkämpfen verschlissen. Daher konnten sie kein Produkt herausbringen. Aber einer sagte schließlich, wenn wir eine Internet-Plattform kaufen, sind wir unser Problem los. 1995 kauften sie also einfach unser gesamtes Netz und die Präsidenten der Unis waren hocherfreut.

Wie viel hat Telstra bezahlt?

3,5 Millionen Dollar, ein Schnäppchen. Es hätten 300 Millionen sein sollen. Aus heutiger Sicht vermutlich mehr. Wir wussten nicht, was wir wert waren. Wir waren naiv.

Sie gingen mit zu Telstra, haben Sie überlegt, an der Uni zu bleiben?

Ich hatte meinen ursprünglichen ANU-Posten nie offiziell aufgegeben. Also hätte ich zurückgehen können, das Campus-Netz als Administrator betreuen – eine eher langweilige Perspektive. Also ging ich zur Telefongesellschaft, mit der festen Absicht, sie von innen zu zerstören. Denn für mich war klar zu der Zeit, die Telefonie war erledigt. Das war einfach eine Anwendung von vielen und das alte Vermittlungsnetz war nutzlos geworden. Die Telefongesellschaft sah sich als Mittler zwischen A und B, als Schaltkreis zwischen Telefonen. Ich erklärte, es gibt nur ein A-Ende, da sitzt der Kunde. Das andere Ende? Das bin ich, das Internet. Diese Vorstellung hat Anfälle und Paranoia im Unternehmen ausgelöst.

Aber das Wachstum ging weiter ...

Das Internet ging durch die Decke. Ich habe alle zwei oder drei Wochen mehr Kapazität auf internationalen Leitungen bestellt und den Kabelleuten ging das Material aus. In den Wirtschaftszeitungen erschienen Artikel, Telstra würde das Internet verstopfen. Das Ergebnis war, dass der CEO eine Direktive ausgab, die besagte, dass er mir seine Glasfaserleute schicke und ich über alle Assets der Firma verfügen könne, nur bitte, ich sollte Telstra aus den Schlagzeilen holen. Auf die Art bauten wir unser Glasfasernetz enorm aus und verteilten Router, passten sie an die Strecken an und warfen die ganzen SDH Switches raus. Was blieb, war der akute Engpass bei der Anbindung an den Rest der Welt. Das lag daran, dass es nicht mehr Unterseekabel gab, also gingen wir wieder über Satelliten. Das war wirklich Mist. Es ist einfach zu langsam.

Überdies musste man da immer Up-and-Down-Link kaufen. Ich wollte eigentlich nur ein paar 45 MB Leitungen in eine Richtung. Ich habe also BGP sozusagen missbraucht für uni-direktionale Satelliten-Verbindungen, kein Rückkanal. Ich wurde immer gefragt, wie ich so feststellen kann, dass es Probleme gibt. Meine Antwort lautete, wenn man BGP clever einsetzt und den Verkehr in einer großen Schleife über den Satelliten zurück ins Kabel führt, weiß man sehr wohl, wenn die Leitung tot ist. Die Telefonleute waren nachgerade entsetzt. Sie argumentierten, man könne das Management eines Interface nicht einem Protokoll aus einem höheren Layer überlassen, aber BGP funktionierte einfach (lacht).

Ein echter Kulturkampf ...

Unser Job war es, Kosten einzusparen. Der Job der Telefongesellschaft war es, Kosten zu generieren. Ich wollte einfach den kürzesten Weg übers Glasfasernetz ohne Redundanz auf der Transportebene. Der Kulturschock für die Telefonieleute war wirklich greifbar.

Aber da waren Sie schon weg ...

Ich bin 2004 gegangen. Zu der Zeit war ein Großteil des Unternehmens verschwunden. Voice-Dienste waren tot, wir waren eine Data Company. Wie bei jeder großen Firma spielten leider die Kunden nicht wirklich eine Rolle. Im Mittelpunkt stand der Kampf zwischen den Abteilungen, ein mörderischer Krieg: Business und Consumer gegen Technik gegen Regierungsdienstleistungen. Es gab eine Zeit, da hatten wir sieben unterschiedliche Datenplattformen und gaben sinnlos viel Geld aus. Meine Widersacher waren nicht mehr nur die Telefonleute, sondern auch Cisco. Wir waren ein Riesenkunde und Cisco hatte alle Netzwerkleute des Planeten aufgekauft. Wenn man mit denen diskutierte ...

Wie Google heute ...

Genau. In der Diskussion mit Google zieht man vermutlich auch den Kürzeren, aus genau demselben Grund. Cisco erklärte damals, dass wir MPLS brauchen, VPNs und natürlich Quality of Service. Ich war jeweils dagegen. Beharrlich wurde vorgetragen, man müsse das Netzwerk mit allerlei sinnlosen Features auszuschmücken. Letztlich ging es aber nur ums Geld. Irgendwann kam ich mir vor, wie jemand, dem niemand zuhört und bin gegangen. Ich hatte 1993 bei der Gründung von APNIC mitgeholfen, war 98/99 dessen Vorsitzender. Auch bei der Internet-Society Australien war ich aktiv. Telstra war ein Arbeitsplatz, und ein reichlich toxischer dazu, aber mit den Internetorganisationen zu arbeiten, war Fun. Das waren alte Freunde. Ich ging also zu meinen Freunden und arbeitete für die Adressleute. Ich kümmerte mich dort um die Erforschung von Netzen.

APNIC war die zweite der regionalen Internet Adress Registries (RIRs). Können Sie etwas über den Start berichten?

Als die NSF begann, Geld in das sich entwickelnde US-Internet zu pumpen, rieb sich das US-Verteidigungsministerium, das sich bislang darum gekümmert hatte, die Hände. Es kündigte an, man ziehe sich aus der Finanzierung zurück. Das war’s mit dem ARPANET. (lacht). Damit stand die Frage im Raum, was mit der Verwaltung von Namen und Nummern passieren sollte. In Europa entstand ein kleines Rennen zwischen Brian Carpenter am CERN und Rob Blokzijl und Daniel Karrenberg in Amsterdam und Rob und Daniel beschlossen dann einfach, mit Kollegen aus Frankreich, Italien und Deutschland zu kooperieren. Man teilte Adressen zu und traf sich ein paar Mal im Jahr zum Erfahrungsaustausch.

Als wir das für Asien in die Hand nehmen mussten, sah sich David Conrad, der im Pazifik-Projekt der NASA arbeitete, das RIPE Projekt an und sagte, das können wir hier in Japan auch machen. Ausgerechnet Japan? Die Vorstellung, Teil des japanischen regionalen Internets zu sein, behagte mir nicht so recht (lacht). Das galt übrigens in beide Richtungen. Die Amerikaner hatten eine Bedingung gemacht: die ITU musste draußen gehalten werden.

Die Internationale Fernmeldeunion sollte keine Rolle spielen …

Genau. Wenn asiatische Länder sich im Bereich Kommunikation auf etwas verständigen wollten, war die ITU sozusagen die klassische Antwort. Man entwarf ein paar Empfehlungen und brachte die bei der UN Vertragsorganisation (ITU) ein. Für die Amerikaner war das ein No-Go. Das lag im Wesentlichen an den Erfahrungen von AT&T mit dem ITU-Prozess. Als das Internet kam, übte AT&T Druck auf Bill Clinton und Ira Magaziner aus, die ITU auf jeden Fall draußen zu halten. Die Maßgabe für uns war also, organisiert Euch, aber ohne ITU. Also machten wir das und die Kosten dafür sind ja auch sehr überschaubar.

Waren das die goldenen Zeiten des Internets und sind die vorbei?

Es ist schwer, mit Moore’s Gesetz zu leben. Was ich dieses Jahr mache, ist nächstes Jahr nur noch halb so gut, denn mein Problem hat sich verdoppelt und verdoppelt sich kontinuierlich. Keine Investition hält länger als fünf Jahre, weil die digitale Landschaft in einem permanenten Wandel ist. Wir wissen heute, dass die Welt der Telefonie dem Gesetz der Knappheit folgte. Telefone waren teuer, Kapazitäten begrenzt. Mit Ausnahme von AT&T konnten nur Regierungen die Netze betreiben.

Heute leben wir in einer Welt unerschöpflicher digitaler Ressourcen, nur die Agilsten können Schritt halten. Eigentlich haben nur die vier oder fünf Monster – Google, Amazon, Microsoft, Facebook – Schritt gehalten. Alle anderen waren zu konservativ. Die Meister des Überflusses sind nicht die Carrier. Es sind die Plattformen, die Anbieter von Anwendungen. Sie umgeben uns mit ihren Rechenzentren, die nur noch einen Steinwurf von uns entfernt sind, und es gibt eigentlich kein Netz mehr. Es gibt kein BGP.

Kein BGP? Wirklich?

Nein, es gibt kein Routing, keine Routing-Sicherheit. DNS ist das neue BGP und ich mache mir viele Gedanken über DNS-Sicherheit. Dieses auf den Kopf gestellte Netz resultiert einfach aus der Tatsache, dass Überfluss so anders funktioniert als Knappheit. Ich bringe den Nutzer nicht zum Computer, sondern ich umgebe den Nutzer mit vielen Computern. Nur ein paar Player haben es geschafft, das bis zum Ende zu durchdenken. Regierungen sind leider nicht darunter.

Das Verhältnis zwischen Unternehmen, Regulierern und Märkten, ist völlig verzerrt. Vor so einer Situation stand man das letzte Mal in der goldenen Zeit des US-Wirtschaftswunders (Gilded Age, 19. Jahrhundert). Die führte zur amerikanischen Dominanz im Automotive Sektor und begründete letztlich die politische und wirtschaftliche Vormacht der USA für ein ganzes Jahrhundert. Genau das wiederholen wir im Moment. Ich habe viel Sympathie für die EU, aber man muss um einiges agiler sein und nicht nur fürs nächste Jahr denken, sondern auf zehn Jahre hinaus. Wenn ich das zu meiner politischen Leitschnur mache, bekomme ich eine Idee, wie Google dahin gekommen ist, wo es heute steht.

Gibt es eine Handhabe gegen die Konzentration in der digitalen Welt?

Nein.

Nein?

Tja, das ist die schlichte Standardantwort. Wir haben wirklich keine Ahnung, wie wir damit umgehen sollen. Als wir das letzte Mal in dieser Situation waren, in den 1890ern, war die US-Regierung noch mächtig genug, den Sherman Act einführen, um die Monopole kartellrechtlich einzuhegen. Keine Regierung heute kann das noch. Der Versuch, Google abzuschalten, wäre zum Scheitern verurteilt.

Unsere Werkzeuge passen nicht mehr. Das Modell ist so neuartig. Bei all den Dingen, mit denen wir uns befassen, sei es die Dominanz von Google oder die Tatsache, dass eine Menge Software so schlecht ist, dass man es schon illegal nennen kann, oder sei es das ganze Internet der Dinge – die Welt dreht sich auf eine seltsame Weise. Es gibt keine Kontrolle mehr. Weiß ich, wo das hinführt (lacht)? Ich habe keine Ahnung. Aber es verdoppelt sich jedes Jahr, also gewöhnen Sie sich besser daran und vertrauen Sie darauf, dass sich das irgendwie von selbst lösen wird. Denn einen anderen Grund, doch noch auf ein gutes Ende zu hoffen, als den schieren Glauben daran, sehe ich nicht.

Sie haben DNS-Sicherheit angesprochen, und es tobt ein Kampf zwischen Regierungen und Plattformen über Verschlüsselung. Welche Folgen hatte bislang Australiens Anti-Verschlüsselungsgesetz, der Assistance and Access Act, der Provider zur Entschlüsselung verpflichten will?

Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich nutze Apple Private Data Relay und natürlich geht alles über https. Außerdem packe ich eine Menge Dinge auf Cloudflare. Meine Daten sind nicht in Australien, sie sind in aller Welt. Wenn Australiens Regierung sagt, man werde das national lösen, sage ich, mein Ansatz ist global. Nach Snowden und Wikileaks ist die Frage doch, wer steht eigentlich auf wessen Seite. Das Argument Vertraulichkeit war mir immer etwas suspekt, denn eigentlich schützt Google Daten vor Apple und Apple schützt sie vor Google. Wenn man auf einem Apple Gerät einen Chrome Browser öffnet, befindet man sich sozusagen in Feindesland. (lacht)

Man muss sich mit allen Mitteln wappnen, um Apple daran zu hindern, die Daten zu stehlen. Es geht also häufig vor allem darum, dass die Giganten das über unseren Köpfen ausfechten, und wir bekommen es nicht einmal mit. Wenn der Reichtum dieses Jahrhunderts in den Daten statt in harter Währung liegt, dann haben diese Unternehmen gewonnen, und zwar mit großem Abstand. Niemand hat so viele Daten wie sie und man kann sich kaum vorstellen, wie man das ändern will. Ich bewundere die EU mit ihrem Grundsatz, dass man selbst Herr seiner Daten ist. Aber das kommt 30 oder 40 Jahre zu spät. Vielleicht ist das ein Problem, das meine Kinder lösen werden.

Wir haben alte Giganten sterben sehen. Werden unsere Kinder Google, Facebook, Apple sterben sehen?

Gute Frage. Ohne genau Namen und Marken zu kennen, Standard Oil oder Esso, die Giganten von 1890 sind noch da. J.P. Morgan hat immer noch Säcke von Geld. Wenn man mal alle Wettbewerber aufgekauft oder auf seinem Weg zermalmt hat, wenn man seine Dominanz untermauert hat, ist es nicht zu Ende. Im Film Chinatown fragt Jack Gittes den bösen Industriemagnaten Noah Cross, ‘Warum tun sie das, was können sie noch kaufen, was sie nicht schon jetzt haben können?’ Und Cross sagt: ‘Die Zukunft.’ Das ist es, was die Typen 1890 getan haben und was Google heute tut. Sie haben die Zukunft gekauft. Google macht sich nicht wirklich Sorgen wegen Apple und umgekehrt. Sie haben einen Nichtangriffspakt.

Übrigens, ist ihnen aufgefallen, dass Apples ursprüngliches Geschäftsmodell darauf basierte, uns jedes Jahr mit neuer phänomenaler Technologie zu überraschen? Das neue iPhone ist aber von dem des letzten Jahres kaum zu unterscheiden. Die Fähigkeit, uns zu überraschen, ist verschwunden. Statt sich die Mühe zu machen, eine neue Version des ultimativen Gadgets anzubieten, die das existierende Gerät primitiv erscheinen lässt, will man jetzt seine Position sichern, in dem man die Zukunft kauft. Man ist unangefochtener Marktführer. Google hat die Daten. Klar wird KI ein paar Veränderungen bringen, aber da spielt man mit. Unsere Hoffnung, diese Vormachtstellung zu brechen, ist aber so aussichtslos wie 1890. Die Antwort ist, man muss sich arrangieren und das haben wir getan. Ich fürchte, zumindest für meine Generation, heißt es, ihr habt das aufgebaut, jetzt müsst ihr damit leben. Viel Glück!

Geoff, vielen Dank für das Gespräch.

(bme)