Missing Link: Hongkong – Geburt und Sterben des freien Internets

Nach den deutschen Internetpionieren stellen wir Internetgründer aus anderen Teilen der Welt und des Netzes vor. Folge eins: Charles Mok – Hongkong.

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(Bild: NicoElNino/Shutterstock.com)

Lesezeit: 44 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Charles Mok wird nicht müde zu unterstreichen, dass es ein weltweites Phänomen ist, dass Regierungen sich die Kontrolle über das Internet zurückholen. In Hongkong aber hat er den Trend als ISP der ersten Stunden am eigenen Leib erlebt. Nach Unternehmensgründung und erstem Firmenverkauf hat der Hongkonger versucht, politisch das freie Netz – und das freie Hongkong – zu retten, und sich sehr bewusst auf die Seite der Zivilgesellschaft gestellt.

2020 kam der große Knall und der Rückzug aus dem Legislativrat von Hongkong (LegCo), dem er acht Jahre angehört hat. Er habe für seine neue Tätigkeit ein "freieres Umfeld" gebraucht, sagt er im Interview mit heise online. Er forscht heute in Stanford und ist Mitglied im Vorstand der internationalen Internet Society.

Transkript des Interviews auf Englisch / English transcript.

Unsere Serie deutscher Internetpioniere:

heise online: Eine Vorabfrage, Sie sind in Hongkong geboren und zur Schule gegangen. Heute leben Sie in Kalifornien. Wann haben Sie Hongkong verlassen?

Charles Mok: Ich arbeite seit Mai 2021 am Cyber Policy Center der Stanford Law School. Ich forsche dort zu den Themen Internet, Politik und die Entwicklungen des Cyberspace in Asien. Ich beschränke mich nicht auf Hongkong und China.

War ihr Ausstieg aus dem Hongkonger Parlament, dem LegCo, ein Grund für ihre Abreise?

Charles Mok

Ich habe mein Amt im LegCo im Dezember 2020 niedergelegt. Tatsächlich war ich zu der Zeit bereits auf dem Absprung aus der Politik. Ich habe vor meiner Tätigkeit als Abgeordneter in der IT-Industrie gearbeitet und dann habe ich mich zivilgesellschaftlich engagiert. Ich hatte fest vor, noch einmal etwas ganz anderes zu machen. Natürlich wäre, was ich jetzt tue, im aktuellen Klima Hongkongs nicht in der Form möglich. Ich habe also wohl schon nach einem etwas offenerem Umfeld Ausschau gehalten. Allerdings ist für mich der Sprung von Hongkong in die USA fast so etwas wie ein Heimkommen. Denn ursprünglich war ich ja 1994 aus den USA nach Hongkong zurückgegangen. Die Stelle in Stanford, die man mir angeboten hat, kam mir also gerade recht, um mich an die geplanten Arbeiten zu machen.

Wie sieht ihr langfristiger Plan aus? Ist eine Rückkehr nach Hongkong noch eine Option?

Ich werde ein paar Jahre hier bleiben. Aber ich reise viel. Gerade habe ich mir die spannenden Entwicklungen der digitalen Ökosysteme in Japan und Taiwan angeschaut und die dortigen Transformationsprozesse. Ich interessiere mich in erster Linie für die politischen und regulatorischen Schritte, aber die Transformationsprozesse innerhalb der Regierung und der Wirtschaft sind ja damit verknüpft. Während meiner Abgeordnetentätigkeit konnte ich kaum reisen. Der Zeitplan dafür ist einfach zu dicht, es ist ein bisschen wie in der Schule. Daher genieße ich jetzt die Möglichkeiten, die mein neuer Job mit sich bringt.

Können Sie auch nach Hongkong reisen?

Das sollte leicht möglich sein. Aber sagen wir mal, es ist auch eine Entscheidung, ob man gerade jetzt hinfahren will oder nicht.

Seit wann nutzen Sie das Internet?

Ich bin in Hongkong aufgewachsen und zur Schule gegangen. In den späten Siebzigern gab es dort keine Computer an den Schulen. In meiner Highschool-Zeit gab es zwei Mitschüler, deren Familien sich einen Commodore oder Atari leisten konnten. Ich erinnere mich, dass wir die bei Besuchen in Augenschein genommen haben. Obwohl die betreffenden Mitschüler darauf nicht nur spielten, fanden wir das aber irgendwie noch wenig beeindruckend. Meine erste Begegnung mit dem Internet hatte ich, als ich anfing, Elektrotechnik an der Purdue Universität in den USA zu studieren. Ich belegte gleich im ersten Jahr einen Programmierkurs und hatte anfangs wirklich keinen blassen Schimmer. Denn ich hatte vorher noch nie mit einer Tastatur gearbeitet, wenn man mal von einer klassischen Schreibmaschine absieht. Wir arbeiteten an virtuellen Terminals, die mit einem Host verbunden waren. Wir nutzten bereits UNIX und der Host war ans Internet angeschlossen, anders als der Atari bei meinen Hongkonger Freunden. Das war 1983, also vor 40 Jahren.

Wie haben Sie das Internet am Anfang genutzt?

Ich habe versucht, meinen Freunden, die sich an anderen US-Unis eingeschrieben hatten, E-Mails zu schicken. Später auch Freunden in Hongkong. Aber meine ersten E-Mails gingen nach New York oder New Jersey (lacht). Es ist schon ziemlich lustig, dass wir uns anfangs erst mal unsere E-Mail-Adressen per Brief mitgeteilt haben. Damals war das mit den E-Mail-Adressen ja nicht so einfach. Die simplen E-Mail-Adressen (name@domain.tld), das gab es erst später. Wir mussten die Hosts auf dem Weg zwischen Sender und Empfänger nacheinander eintragen. Man hat praktisch die Route für die E-Mail durch Trial-and-Error herausbekommen. Wir nutzen UUCP (Unix to Unix Copy Protokoll). Wir haben uns auch schon mal angerufen, um gemeinsam herauszufinden, wie wir uns die E-Mails schicken konnten.

Haben Sie dann innerhalb der Elektrotechnik IT als Spezialisierung gewählt?

Ich studierte Computer und Elektrotechnik, so hieß das damals. Meinen Schwerpunkt habe ich mehr auf die Software, und nicht die Hardware, gelegt.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Warum haben Sie sich für dieses Studienfach entschieden?

Gute Frage. Es war keine sehr reflektierte Entscheidung. Wenn ich mich mit den Studierenden von heute vergleiche, dann sind die viel besser vorbereitet. Wir hatten nicht viel Ahnung, was uns erwartet. Heute planen die Studierenden schon von Anfang an, welchen Master sie machen wollen und welche Universität dafür am besten ist. Sie überlegen, welche Berufsmöglichkeiten sie damit haben. Ich wusste nicht, was aus mir wird, wenn ich mal fertig bin. Und natürlich gab es kaum Vorbilder für uns und wir hatten längst die nicht Informationsfülle, aus der die Studierenden heute schöpfen, wenn sie sich für ein Studium entscheiden. Es war eine einfachere Zeit. Manchmal möchte ich Studierenden sagen, sie sollen einfach loslegen und nicht versuchen, alles vorher durchzuplanen. Was wir in den 80ern definitiv nicht geahnt haben, war, wie wichtig Computer und Informationstechnologie für das Leben der Menschen später werden würde. Es gab wirklich sehr wenige, die überhaupt versucht haben, Vorhersagen über die Bedeutung der Spielzeuge zu machen, an denen wir da herumbastelten.