Missing Link: Zeit, Entropie und warum es uns vielleicht gar nicht gibt

Seite 2: Und wie sieht es mit der restlichen Physik aus?

Inhaltsverzeichnis

Gravitation: check. Ein fallen gelassener Gegenstand wird mit einer definierten Beschleunigung schneller – dreht man seine Bewegungsrichtung um, dann wird er mit derselben Beschleunigung nach oben steigend verzögert und kommt auf genau jener Höhe zur Ruhe, wo er im Ursprungsexperiment fallen gelassen wurde. Das ist auch der "Trick" hinter dem Versuch, bei dem der Experimentator eine schwere, an einem Seil hängende Kugel vor seiner Nase loslässt und die nach einmaligem Pendeln wieder genau vor seiner Nase zur Ruhe kommt. Auch die Planeten könnten ihre Bahnen exakt in der Gegenrichtung durchlaufen. Ihre Bewegung würde immer noch durch dieselben Gleichungen beschrieben.

Elektromagnetismus: check. Wie beim Fallexperiment kann die Bewegung zweier Ladungen, die sich anziehen oder abstoßen, umgedreht werden und die Bahn der Teilchen würde dann exakt rückwärts durchlaufen. Ein fließender Strom erzeugt ein Magnetfeld. Dreht man die Stromrichtung um, kehrt sich auch das Magnetfeld um, sonst ändert sich nichts. Ein sich änderndes elektrisches Feld erzeugt ein sich änderndes Magnetfeld, was umgekehrt genauso funktioniert. Auf diese Weise können Antennen mit Hilfe eines Wechselstroms Radiosignale aussenden, und nach dem umgedrehten Prinzip auch wieder empfangen und in Wechselstrom zurückverwandeln.

Optik: check. Licht kann denselben Weg, den es vorwärts geht, auch wieder zurück gehen, egal über welche Linsen und Spiegel man es schickt. Man kann ein von einem Prisma erzeugtes Spektrum mit einem zweiten Prisma wieder zu weißem Licht mischen. Sogar Interferenzmuster lassen sich wieder zu parallelen Wellenfronten entmischen; das ist das einem Hologramm zugrunde liegende Prinzip.

Quantenphysik: check mit Zusatzbemerkung. Zu jedem bekannten Prozess zwischen Elementarteilchen gibt es einen zeitlich symmetrischen Prozess. Elektronen können im Atom Photonen abgeben, wenn sie auf eine niedrigere Energiestufe springen (Emission) und umgekehrt von Photonen derselben Wellenlänge wieder das gleiche Energieniveau angehoben werden (Absorption). Geladene Teilchen können Photonen streuen (von Photonen gestoßen werden, ähnlich wie bei den Billardkugeln: Compton-Effekt), wie auch umgekehrt geladene Teilchen Photonen stoßen (inverser Compton-Effekt, ein Prozess, der zum Beispiel in Jets von Schwarzen Löchern Photonen gewöhnlicher Lichtwellenlängen durch Stöße mit im Magnetfeld beschleunigten Teilchen auf die Energie von Gammastrahlung kickt). Radioaktive Atomkerne können Neutronen oder Heliumkerne ausstoßen, die sie bei umgekehrten Prozessen während ihrer Entstehung eingefangen haben, und so weiter.

Allerdings reicht es hier bei einigen wenigen Vorgängen nicht, nur die räumliche Orientierung des Prozesses umzukehren (die Parität), sondern es muss auch die Ladung vertauscht werden. Man nahm früher an, dass es zu jedem quantenphysikalischen Prozess einen entsprechenden mit umgekehrter Ladung (also Antimaterie) und umgekehrter Parität gibt und nannte dies "CP-Invarianz" (C steht für "Charge", also Ladung, P für die Parität). 1964 fanden Cronin und Fitch dann einen Prozess beim Zerfall von "neutralen Kaonen", bei denen die CP-Invarianz verletzt ist. Kaonen gehören zu den Mesonen, das sind mittelschwere Teilchen, die aus einem Quark und einem Antiquark bestehen (das neutrale Kaon zum Beispiel aus einem Down und einem Anti-Strange; sein CP-Partner, das neutrale Anti-Kaon, dementsprechend aus einem Anti-Down und einem Strange). Neutrale Kaonen können sich in neutrale Anti-Kaonen umwandeln und umgekehrt, aber die Wahrscheinlichkeit beider Prozesse ist verschieden.

Seither wurden noch andere Prozesse bei Mesonen nachgewiesen, bei denen die CP-Invarianz verletzt wird, und ihre Verletzung ist sogar notwendig, um zu erklären, warum nach dem Urknall, als aus Strahlung Materie und Antimaterie entstanden, die entstandenen Teilchen sich bei kleineren Temperaturen nicht wieder vollständig zu Strahlung zurückverwandelt haben – eine winzige Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie muss existieren. Derzeit ist noch nicht klar, worin diese genau besteht – die experimentell bestätigten Mesonen-Prozesse reichen nicht aus, das Übergewicht der Materie zu erklären.

Und was hat dies mit der Umkehrbarkeit des Zeitablaufs an sich zu tun? Mathematisch gesehen ist eine Verletzung der Symmetrie zweier Komponenten (wie etwa CP) identisch zu einer Verletzung der Symmetrie der dritten (T). Die Verletzung der CP-Invarianz impliziert eine Verletzung der Zeitumkehr. Dreht man jedoch neben C und P auch die Zeitrichtung T um, dann existieren diese Prozesse wieder (CPT-Invarianz). Es ist bisher kein Experiment bekannt, bei dem die CPT-Invarianz verletzt ist. Insofern ist die Zeitumkehr auch in der Quantenwelt gegeben.

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Zu jedem elementaren physikalischen Prozess gibt es offenbar einen zeitsymmetrischen Prozess. Wenn wir Filme dieser isolierten Prozesse betrachten würden, könnten wir nicht unterscheiden, ob der Film vorwärts oder rückwärts läuft. Dennoch haben wir im Allgemeinen keine Schwierigkeit, Filme realer Situationen als vorwärts oder rückwärts abgespielt zu erkennen: Ein Apfel springt vom Boden hoch und bleibt an einem Zweig hängen; Scherben auf dem Boden beginnen zu wackeln, rutschen aufeinander zu, vereinigen sich zu einer Tasse, die auf einen Tisch hochspringt und dort zur Ruhe an einer Hand kommt, die sich entfernt; Rauch, der in einen Schornstein verschwindet; Billardkugeln, die aus allen Richtungen aufeinander zurollen und in einer dreieckigen Anordnung zur Ruhe kommen und eine einzelne Kugel wegstoßen: alle diese Szenen laufen ganz offensichtlich rückwärts.

Wieso eigentlich, wo doch alle Einzelprozesse zeitlich umkehrbar sind? Tatsächlich spricht physikalisch zunächst einmal nichts dagegen, dass sich in einem See die Wassermoleküle von allen Seiten unter einen am Boden liegenden Stein schieben und diesen vom Boden in Richtung der Wasseroberfläche emporschweben lassen, so dass er dort genau im richtigen Moment eintrifft, um von der Überlagerung zusammenlaufender Wasserwellen aus dem selbigen katapultiert zu werden und am Ufer zu landen. Oder dass Moleküle so miteinander stoßen, dass sie sich durch den engen Auslass einer Gasflasche zwängen und sich darin sammeln. Das Einzige, was dagegenspricht, ist die Wahrscheinlichkeit des Vorgangs, an dem eine riesige Zahl von Einzelprozessen synchron teilnehmen muss. Es müssten zahlreiche Kausalketten zufällig fein aufeinander abgestimmt zusammentreffen, um diese Vorgänge hervorzubringen, während im gewohnten Zeitablauf eine einzelne Kausalkette den Anstoß geben kann, von der weitere Ketten angestoßen werden, die sich wiederum weiter aufteilen usw.

Allein schon folgendes einfache Beispiel macht klar, über welche Wahrscheinlichkeits-Größenordnungen wir hier reden: Man stelle sich einen kleinen Behälter mit nur 100 Gasmolekülen vor, die alle in der einen Hälfte enthalten sind, durch einen Schieber von der anderen Hälfte getrennt. Wenn der Schieber entfernt wird, breiten sich die Teilchen rasch über das ganze Volumen des Behälters aus. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich alle Teilchen zufällig wieder in die eine Hälfte des Behälters begeben? Wie lange würde es dauern, bis das passiert?

Für jedes Teilchen ist die Chance 1/2, sich in der entsprechenden Hälfte aufzuhalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich alle 100 Teilchen in der einen Hälfte aufhalten, ist 1/2100 ≈ 10-30. Es gibt 2100 ≈ 1030 mögliche Verteilungen der Teilchen auf die beiden Hälften und nur eine davon hat sie alle in der einen Hälfte (und noch eine in der anderen). Hingegen gibt es schon 100 Kombinationen mit einem Teilchen in der einen und 99 in der anderen Hälfte. Bei zwei Teilchen in einer Hälfte sind es schon beinahe 5000 Kombinationen, bei fünf 75 Millionen und bei zehn 17 Billionen. Je mehr sich die Verteilung der 50:50-Marke nähert, desto mehr Kombinationen gibt es (1029 sind es für 50:50) und daher wird sich sehr rasch eine fast ausgeglichene Verteilung der Teilchen einstellen, einfach weil es viel mehr Möglichkeiten dafür gibt als für sehr unausgeglichene Verteilungen.

Die Anzahl der Kombinationen, k von n=100 Teilchen in einer Hälfte eines Behältnisses zu verteilen, und den Rest in der anderen Hälfte, steigt auf extrem hohe Werte, wenn k ungefähr der Hälfte der Teilchen entspricht. Da es viel mehr Kombinationen mit nahezu ausgeglichener Teilchenzahl in beiden Hälften des Behälters gibt, als sehr ungleichmäßige Verteilungen, ist zu erwarten, dass die Zahl der Teilchen in den beiden Hälften immer fast ausgeglichen ist.

(Bild: Autor)

Für 1000 Teilchen wird die Zahl der Kombinationen nicht nur sehr viel größer (etwa zur zehnten Potenz erhöht), sondern die Verteilung wird auch schmäler, so dass eine Abweichung von einer exakten Gleichverteilung noch unwahrscheinlicher wird. Für die gigantische Teilchenzahl von Gasmolekülen in einem Zimmer würde sich die Verteilung zu einem schmalen Strich zusammenziehen und schon geringe Druckunterschiede wären ohne äußere Einwirkung wie dem nach unten steigenden Gewichtsdruck des Gases oder Temperaturunterschieden äußerst unwahrscheinlich.

(Bild: Autor)

Lassen wir die Teilchen eine Million Mal pro Sekunde die Seite wechseln können, wie lange müssten wir darauf warten, dass sich alle Teilchen einmal in einer bestimmten Hälfte aufhalten? Ungefähr 2,3 Millionen Weltalter! Und die Zahl steigt rasch mit der Anzahl der beteiligten Teilchen. Bei 1000 Teilchen reden wir schon von 10301 möglichen Verteilungen und 2,3·1077 Weltaltern. In einem typischen Zimmer von 4 m×3 m×2,5 m befinden sich rund 1027 Luftmoleküle – die Wahrscheinlichkeit, dass der geneigte Leser sich plötzlich zufällig in einer Hälfte des Zimmers wiederfindet, die von einer spontanen Fluktuation der Aufenthaltswahrscheinlichkeiten der Luftmoleküle evakuiert wurde, ist daher mit 10-10²⁷ so klein, dass die in 3-mm-Buchstabenbreite ausgeschriebene Zahl der Nullen vor der ersten signifikanten Ziffer über 300 Millionen Lichtjahre lang wäre! Sie ist freilich größer als Null – darauf kommen wir noch zurück.

Die Physikdisziplin, die sich mit Prozessen einer großen Zahl von Teilchen beschäftigt, ist die Thermodynamik. Sie wurde zur Zeit der ersten Dampfmaschinen erdacht, um deren Grundlagen zu beschreiben und sie zu optimieren. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Eigenschaften von Gasen, die in Kolbenmotoren Arbeit verrichten – sei es Dampf in einer Dampfmaschine oder Verbrennungsgase in einem Ottomotor. Deren Dynamik unterliegt statistischen Prozessen, die sich nicht einfach zeitlich umkehren lassen. Wärme fließt beispielsweise stets vom wärmeren Reservoir zum kälteren. Wärme ist Bewegungsenergie von Teilchen, die sich auf eine größere Menge von Teilchen verteilen kann, sich jedoch in der Praxis niemals ohne zusätzlichen Energieaufwand von einer großen Teilchenmenge auf eine kleinere Teilmenge davon konzentrieren wird – nicht, weil es prinzipiell nicht möglich wäre, sondern weil dies absurd unwahrscheinlich ist.

Die Thermodynamik ist jene Disziplin der Physik, die sich der Zeitumkehr verweigert. Sie hat ein Maß dafür definiert, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmter Zustand von einem System angenommen wird, ein Begriff, der uns schon früher in dieser Artikelreihe begegnet ist: die Entropie. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik lautet (in einer von mehreren gleichwertigen Formulierungen): Die Entropie eines abgeschlossenen physikalischen Systems kann nicht abnehmen. Dass Wärme immer zum kälteren Reservoir fließt, ist eine alternative Formulierung des zweiten Hauptsatzes.

Gemeinhin wird Entropie als Maß für die "Ungeordnetheit" eines physikalischen Systems vorgestellt. Was genau ist damit gemeint? Wir hatten zuvor das Beispiel mit dem gasgefüllten Behälter genannt. Es gab hier 1030 verschiedene mögliche Verteilungen für die 100 Atome, in welcher der Hälften des Behälters sie sich aufhalten können, aber wir interessierten uns nur für genau eine davon. Jede einzelne Verteilung bezeichnen wir als einen Mikrozustand des Systems. Jedoch haben wir nur unterschieden zwischen dem Mikrozustand "alle Teilchen in einer bestimmten Hälfte" und "jede andere Verteilung" – letzterer ist in Wahrheit eine riesige Zahl von Mikrozuständen zusammengefasst in einem sogenannten Makrozustand.

Jedem Makrozustand (den wir passend wählen dürfen, je nachdem, was wir in einem konkreten Beispiel als hinreichend gleichwertig betrachten) können wir als Maß für sein "Ungeordnetsein" die Anzahl der in ihm enthaltenen Mikrozustände zuordnen. Um nicht mit riesigen Zahlenwerten hantieren zu müssen, wird diese Anzahl logarithmiert, üblicherweise mit dem natürlichen Logarithmus zur Basis e. Da Logarithmen der gleichen Zahl in verschiedenen Basen bis auf eine Konstante gleich sind, können wir in diesem Artikel als Entropiemaß auch einfach den Zehnerlogarithmus der Zahl der Mikrozustände verwenden, der für große Zahlen im Wesentlichen der Anzahl ihrer Nullen im Zehnersystem entspricht, also beispielsweise 30 für unser Beispiel mit 100 Gasteilchen und ca. 1030 Mikrozuständen. 301 für 1000 Teilchen und 1027 für ein großes, luftgefülltes Zimmer.

In der Physik stellt man dem natürlichen Logarithmus noch eine Konstante (Boltzmannkonstante) mit der Einheit Joules/Kelvin voran, Energie pro Temperatur. Beide Größen bestimmen die Entropie: ein Gas, dem mehr Platz geboten wird, hat mehr Mikrozustände möglicher Verteilung der Teilchen im Raum, und kühlt gleichzeitig ab, denn es treffen pro Sekunde weniger Teilchen auf die Fläche eines Temperatursensors, an den dementsprechend weniger Wärme in Form von Bewegungsenergie abgegeben werden kann – somit bleibt er kühler. Die Wärmemenge im Gas, das heißt die in den Gasteilchen steckende Bewegungsenergie gemessen in Joule, bleibt dabei aber unverändert (wenn man Verluste nach außen durch Wärmeisolation unterbindet), also steigt die Entropie, obwohl die Temperatur durch die Expansion des Gases fällt.

Umgekehrt kann ich die Entropie des Gases erhöhen, wenn ich ihm Wärme zuführe. Die Teilchen im Gas werden im Durchschnitt schneller und gewinnen an Bewegungsfreiheit, sie bewegen sich weiter und mit einem breiteren Spektrum an möglichen Geschwindigkeiten. Am deutlichsten wird das bei Phasenübergängen von fest (Teilchen schwingen um ihre mittlere Position in Kristallgittern) zu flüssig (Teilchen gleiten ungeordnet, aber gedrängt aneinander vorbei) zum Gas (Teilchen frei beweglich in allen Raumrichtungen). Je mehr Bewegungsfreiheit die Teilchen haben, desto mehr ungeordnete Mikrozustände können sie einnehmen. Daher steigt die Entropie mit der Temperatur.

Wenn die Entropie angeblich nur steigen kann, fragt es sich natürlich, wie es überhaupt zu geordneten Zuständen von Teilchen wie der Milchstraße, dem Sonnensystem oder dem Leben, insbesondere verkörpert durch den geneigten Leser respektive Leserin, kommen konnte. Natürlich kann Entropie lokal auch sinken – das beste Beispiel dafür ist ein Kühlschrank: Der pumpt Wärme in scheinbarer Verletzung des Zweiten Hauptsatzes aus einem kalten Hohlraum in eine warme Umgebung. Dahinter steckt allerdings eine Maschine, die ein Kühlmittel zunächst verdichtet, üblicherweise ein Gas, das unter Druck flüssig wird, was eine große Wärmemenge freisetzt. Die stammt aus dem Überschuss an Bewegungsenergie der Teilchen, wenn ihre Bewegungsfreiheit in der Flüssigkeit drastisch reduziert wird. Die so aufgeheizte Flüssigkeit ist wärmer als ihre Umgebung und kann diese Wärme über Kühlelemente an ihre Umgebung abgeben. Danach lässt man die Flüssigkeit wieder zu Gas expandieren, was dessen Temperatur stark fallen lässt, unter die Temperatur im zu kühlenden Raum. So kann dem Raum Wärme entzogen werden.

Natürlich läuft der ganze Prozess nur dann, wenn ein Motor in Form eines Kompressors das Kühlmittel in einem Kreislauf immer wieder komprimiert. Dabei verrichtet er Arbeit am Kühlmittel, die einen Teil der Wärmemenge ausmacht, welche an die Umgebung abgegeben wird. Dadurch steigt die Entropie in der Umgebung des Kühlschranks mehr, als sie in seinem Inneren fällt. Der Zweite Hauptsatz ist eine Aussage über abgeschlossene Systeme–- der Kühlschrank funktioniert aber nur, wenn er die Wärme an ein Reservoir abgeben kann, das groß genug ist, sich nicht bis auf die Temperatur des komprimierten Kühlmittels zu erwärmen. Und der Kompressor benötigt eine Energiequelle, es fließt also nicht nur Wärme hinaus aus dem System "Kühlschrank", sondern auch Energie hinein.

Leben beruht auf einem analogen Prinzip: Es schafft Struktur und Ordnung, indem es Energie aus der Umgebung aufnimmt (sei es Sonnenenergie bei pflanzlichem Leben oder die chemische Verbrennung von organischen Stoffen bei tierischem Leben, wie auch Bakterien und Pilzen). Die dabei ablaufenden chemischen Reaktionen bauen aus einfachen Bausteinen komplexe, langkettige Moleküle auf, und wandeln dabei leicht nutzbare Energie in nur schwer verwertbare Wärme um, die sich rasch in der Umgebung verteilt und deren Entropie erhöht – das ist der Hintergrund des Begriffs "Energieverbrauch", wo Energie doch eigentlich eine Erhaltungsgröße ist. Biologische Struktur kann nur entstehen, wenn eine Energiequelle genutzt wird, die selbst die Entropie ihrer Umgebung in weit größerem Maße erhöht, als das Leben sie senken könnte.

Leben wurde schon als fortwährende chemische Reaktion charakterisiert, die ihre eigene Entropie auf Kosten der Umgebung senkt. Und diese Reaktion optimiert sich dabei noch selbst. Hochorganisierte Lebensformen konnten nur durch die Evolution in so kurzer Zeit entstehen, die unter zufälligen Mutationen diejenigen statistisch begünstigte, die (meist durch bessere Anpassung an die Umwelt) eine höhere Reproduktionszahl aufwiesen. Eine Lektion, die uns die Natur derzeit in Form der Virus-Varianten der Coronapandemie erteilt. Alles dies geschieht unter Energieverbrauch und verletzt nicht den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.