Missing Link: Zeit, Entropie und warum es uns vielleicht gar nicht gibt

Seite 3: Gravitation ist andersrum

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Und Planeten, Sterne, Galaxien? Auf wessen Kosten geht die Entstehung solcher wohlstrukturierten Objekte? Interessanterweise ist die Entropie eines Planetensystems oder einer Galaxie größer als die der formlosen Gas- und Staubwolke, aus der sie entstanden sind. Wie jetzt, gibt es etwas Strukturloseres als eine Gaswolke? Sprach ich nicht vorhin davon, dass ein Gas umso mehr Entropie hat, je weiter es sich verteilt? Ja – das stimmt aber nur, wenn keine Gravitation im Spiel ist.

Sterne, Planeten und auch ganze Galaxien entstehen durch den Kollaps großer Staub- und Gaswolken. Die Stoßwelle einer nahen Supernova kann beispielsweise eine interstellare Wolke lokal verdichten, die sich zuvor im Gleichgewicht zwischen der eigenen Gravitation und der Abstoßung durch den Druck der gelegentlich kollidierenden Teilchen befand. Somit kann sie dafür sorgen, dass die Gravitation die Oberhand gewinnt und die Wolke an dieser Stelle kollabiert. Daraus entstehen dann zahlreiche Sterne mit Planetensystemen.

Der gravitative Kollaps schmälert zwar die Bewegungsfreiheit der Teilchen, erhöht aber ihre Geschwindigkeiten, weil er virtuelle Lageenergie ("potenzielle Energie") in reale kinetische Energie transformiert. Ich muss Arbeit verrichten, um eine Masse gegen die Schwerkraft hochzuheben und kann die in der Masse gespeicherte Lageenergie zurückgewinnen, wenn ich sie wieder fallen lasse, wie etwa das Wasser einer Talsperre, das in einem Wasserkraftwerk Turbinen antreibt. Kollidieren Teilchen in der kollabierenden Wolke zu immer größeren Partikeln, Asteroiden und Planetoiden, so wird gleichsam Wärmeenergie frei – Planetoiden schmelzen auf, Sterne erhitzen sich in ihrem Inneren gar so weit, dass die Kernfusion zündet. Die Umsetzung der Lageenergie in Bewegungsenergie und zuletzt Wärme und Strahlung erhöht fortwährend die Entropie.

Je dichter die Materie unter dem Einfluss der Gravitation gepackt ist, desto höher ist ihre Entropie. Wahre Entropiemonster sind die Schwarzen Löcher. Schwarze Löcher müssen eine Entropie haben, obwohl sie aus externer Sicht nichts als ein Gravitationsfeld sind, denn wenn etwas in ein Schwarzes Loch fällt, verschwindet es aus dem messbaren Bereich des Universums, aber nach dem Zweiten Hauptsatz kann die Entropie nicht verloren gehen. Hawking, Bekenstein und andere haben berechnet, dass die Entropie eines Schwarzen Lochs einem Viertel seiner Oberfläche gemessen in Planck-Einheiten entspricht (die Planckfläche ist 2,6·10-70 m²) - schon ein einziges supermassereiches Schwarzes Loch von mehreren Millionen Sonnenmassen, wie jenes im Zentrum unserer Milchstraße, hat demnach eine Entropie, die 100-mal höher ist, als derjenige Entropieanteil aller Teilchen im beobachtbaren Universum, welcher nicht durch Gravitation verursacht wird!

Die Energie, die von der Gravitation freigesetzt wird, stammt letztlich aus der Expansion des Universums, welche dafür gesorgt hat, dass die Materie im Weltall zunächst auf große Abstände verteilt wurde. Dies ist unter dem Einfluss der Gravitation ein Zustand geringer Entropie. In Richtung Zukunft wächst die Entropie hingegen zunehmend. Sterne produzieren Wärme, große Sterne kollabieren zu Schwarzen Löchern, diese zerstrahlen irgendwann zu Hawking-Strahlung (welche nochmals 30 Prozent mehr Entropie hat als die Schwarzen Löcher, aus denen sie hervorging), das Weltall expandiert fortwährend und verdünnt alles, was darin enthalten ist. Alles dies steigert die Entropie.

Damit erklärt sich der sogenannte "thermodynamische Zeitpfeil": Die Zeit fließt in Richtung zunehmender Entropie. Case closed? Mitnichten: wenn man die Zeitrichtung mit einer Zunahme der Entropie erklärt und daraus folgert, dass die Entropie mit der Zeit zunimmt, ist man offenbar einem Zirkelschluss aufgesessen. Wenn die Entropie nur wachsen kann, wenn also jede zufällige Veränderung eines nicht maximal ungeordneten Zustands mit größter Wahrscheinlichkeit in einen noch ungeordneteren führt – wieso sollte die Entropie dann nur in einer Richtung auf der Zeitachse zunehmen?

Versuchen wir einmal, wie es der Philosoph Huw Price in seinem Buch "Time’s Arrow and Archimedes' Point" anregt, einen "atemporalen" Blick auf die Zeit zu richten, einen Blick von "nirgendwann", wie er sich ausdrückt. Betrachten wir sie wie eine der drei Raumdimensionen als Achse ohne eine bestimmte Vorzugsrichtung. Starten wir auf dieser Zeitachse an einem Punkt mit niedriger Entropie, der dem aktuellen Zustand des Universums entsprechen möge. Benachbarte Punkte ergeben sich aus dem Startpunkt durch eine Entwicklung nach den Regeln physikalischer Gesetze. Diese Gesetze sind bezüglich einzelner Prozesse zeitlich symmetrisch.

Was zeichnet die eine Richtung der Zeitachse gegenüber der anderen aus? Per Definition nichts – es gibt keinen Grund, warum die Entwicklung in einer Richtung zu fortwährend höherer Entropie führen sollte, in der anderen jedoch zu fortwährend niedrigerer. Im Gegenteil: wenn wir uns zufällig an einem hoch gelegenen Ort befinden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass benachbarte Orte tiefer liegen, und zwar ist diese Wahrscheinlichkeit umso größer, je höher unser Ort gelegen ist. Was fehlt, ist eine Zusatzbedingung: Eine fortwährende Zeitrichtung setzt ein bereits vorhandenes Entropiegefälle voraus, einen Berg, an dessen Hang wir uns befinden. Wie ließe sich so etwas begründen?

Eine auf Ludwig Boltzmann himself zurückgehende und später weiterentwickelte Möglichkeit geht davon aus, dass die Entropie langfristig konstant ist und nur durch zufällige Fluktuationen mal größer und mal kleiner wird. Von kleiner zu großer Entropie hin läuft die Zeit mal vorwärts, um dann bei der nächsten unvermeidlichen Abnahme wieder rückwärts zu laufen. Über sehr große Zeiträume auf einer endlosen Zeitachse können sich durch Zufall beliebig lange Phasen von Entropiezunahme ergeben, auch solche, die lange genug währen, ein Universum wie das unsrige mit Beobachtern hervorzubringen, die sich Gedanken über den Zeitpfeil machen können.

In einem beschleunigt expandierenden Universum, für das wir das unsrige, von Dunkler Energie erfüllte zurzeit halten, gibt es, wie in einem vorangegangenen Teil der Reihe erläutert, einen kosmologischen Horizont, durch den getrennt zwei Teilchen nicht mehr zusammenkommen können. Die Quantentheorie sagt voraus, dass sich spontan Paare aus Teilchen und Antiteilchen bilden können, die aber aufgrund der Nichtlokalität der selbigen nicht notwendig am selben Ort entstehen müssen, sondern auch über einen Abstand von mehr als dem kosmologischen Ereignishorizont getrennt sein können. Durch diesen nach einer Arbeit von Gary W. Gibbons und Stephen Hawking benannten Gibbons-Hawking-Effekt entsteht in expandierenden Universen mit einem kosmologischen Ereignishorizont ein Pendant zur Hawking-Strahlung Schwarzer Löcher (wo die Teilchen am Ereignishorizont des Schwarzen Lochs getrennt werden).

Aus den so entstehenden Teilchen könnten sich größere Strukturen aufbauen, bis hin zu einem kompletten Universum, einem "Boltzmann-Universum". Das wäre zwar extrem unwahrscheinlich, aber auf einer unendlich langen Zeitachse tritt auch der unwahrscheinlichste Fall, der nicht absolut ausgeschlossen ist, unvermeidlich irgendwann einmal auf, und wiederholt sich in einem Universum mit der Heisenbergschen Unschärferelation sogar unendlich oft. Wäre das eine plausible Theorie für den Ursprung des Zeitpfeils und der Entstehung der Strukturen im Universum?

Nicht wirklich, und zwar aus einem statistischen Argument heraus. Denn ein Universum wäre nicht die sparsamste Erklärung für das, was wir um uns herum beobachten. Kleine Schwankungen der Entropie sind um viele Größenordnungen wahrscheinlicher als große. Die spontane Entstehung eines Universums mit hunderten Milliarden von Galaxien aus einer statistischen Fluktuation der Entropie ist viel unwahrscheinlicher als die Entstehung einer einzelnen Galaxie. Wiederum ist die Entstehung eines Planetensystems wahrscheinlicher als die einer Galaxie mit hunderten Milliarden Sternen und Planeten. Und mehr als die Sonne und die Erde bräuchte es doch nicht, um den Menschen und seine Umwelt hervorzubringen. Trotzdem sehen wir einen gestirnten Nachthimmel. Ein Widerspruch?

Tatsächlich reicht noch deutlich weniger, um unsere Beobachtungen zu erklären. Nur eines ist mit Descartes sicher: Cogito, ergo sum – ich denke, also bin ich. Und ich habe eine Wahrnehmung. Computerbildschirm oder Handy mit diesem Text. Sessel, Sofa, Bürostuhl, Sitzplatz in Bus oder Bahn oder wo auch immer ich sitze. Umgebung, Erinnerungen. Aber letztlich spielt sich das alles nur in meinem Kopf ab: Die Wahrnehmungen werden mir von den Nerven in den Sinnesorganen vermittelt, diese sind buchstäblich meine einzigen Drähte zur Außenwelt, aus denen ich mir ein inneres Abbild der Umgebung forme. Oder zu formen glaube. Ich könnte genauso gut ein Gehirn im Tank sein, dem die Sinneseindrücke nur vorgespielt werden. Oder – ein Gehirn ohne Tank, spontan aus im Vakuum herumfliegenden Teilchen entstanden, ein sogenanntes Boltzmann-Hirn, das sich seine Umgebung mit Stuhl, Computer, Erde, Sonne und nächtlichem Sternhimmel mitsamt allen Erinnerungen daran, was es über die Welt zu wissen glaubt, nur einbildet. Das vielleicht nur einen Sekundenbruchteil existiert und sich dann wieder so spontan auflöst, wie es entstanden ist.

Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten so eines Ereignisses in einem überschaubaren Stück Universum wäre irrsinnig klein. Eine Schätzung beläuft sich auf 10-10⁶⁹, eine andere auf eine Entstehung alle 1010⁵⁰ Jahre. So unwahrscheinlich dies wäre – alle unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass unser Universum ewig existieren wird, und in einem unendlich langen Zeitraum wird sich alles sicher ereignen, was nicht völlig unmöglich ist. Und das unendlich oft. Hingegen ist die Phase, in der Sterne leuchten und Leben, so wie wir es kennen, möglich ist, nur endlich lang. Und macht somit nur einen unendlich kurzen Bruchteil der Existenzdauer des Universums aus. Wenn wir also in Unkenntnis unserer biologischen Existenz tippen müssten, ob wir reale, biologische Personen oder eine zum Boltzmann-Hirn materialisierte statistische Fluktuation der Entropie sind, täten wir gut daran, letzteres anzunehmen, so absurd das klingen mag.

Aus dieser statistischen Zwickmühle herauszukommen, ist schwerer als man denkt. Statistische Abwägungen sagen uns, dass es für jedes Boltzmann-Hirn mit perfekter Simulation einer plausiblen Wahrnehmung und Erinnerung mit allen Details eine viel größere Anzahl von ihnen mit mehr oder weniger großen Defekten geben müsste, deren Wahrnehmungen ein ziemlicher Murks wären. Und dann wäre es natürlich unwahrscheinlich, dass gerade wir den Riesen-Dusel hätten, ein perfektes Boltzmann-Hirn erwischt zu haben. Dennoch: Unter der Voraussetzung der gegebenen Beobachtungen wäre ein Boltzmann-Hirn in einem ewig expandierenden Universum die wahrscheinlichste und sparsamste Erklärung für unsere Wahrnehmungen. Und dann wäre unser thermodynamischer Zeitpfeil womöglich nur eine vorübergehende Episode einer um einen Maximalwert der Entropie schwankenden Fluktuation.

Thomas Gold, einer der Vertreter des Steady-State-Universums, schlug in den 1960ern vor, dass das Universum nach dem Erreichen eines Zustands der maximalen Entropie und Ausdehnung seinen Zeitablauf umkehren würde, um danach zu kollabieren und sich rückwärts wieder zu einem Urknall hin zu entwickeln. Photonen würden wieder in ihre Sterne zurückkehren, diese innerlich aufheizen und in ihrem Inneren Atomkerne zerbrechen lassen. Am Ende würden sie zu Gaswolken auseinanderfliegen und sich das Gas im Raum verteilen, der beständig schrumpfte, immer kleiner würde, bis er die Materie in einem Big Crunch zu einem Punkt zusammenquetschen würde – worauf das Spiel von neuem begänne. Für Zeitgenossen der Kontraktionsphase des Gold-Universums erschiene der gegenüber unserer Zeit umgekehrte Zeitablauf hingegen völlig normal in Richtung steigender Entropie abzulaufen, weil ihre Wahrnehmung ebenso wie unsere auf Prozessen beruhen müsste, die auf Energieverbrauch bei steigender Entropie aufbauen. Für sie wäre unsere Zeitrichtung die falsche. Wir wären ihre zeitlichen Geisterfahrer.

Wäre so ein Modell plausibel? Aus unserer Sicht, mit steigender Entropie nicht – es gibt für uns keinen Grund anzunehmen, dass die Entropie plötzlich beginnen sollte zu fallen, nur weil das Universum aufhört zu expandieren (wonach es nicht aussieht). Auch in einem schrumpfenden Universum sollte die Entropie steigen, denn mit dem Schrumpfen verkürzt sich die Wellenlänge der Photonen und sie werden heißer. Sterne würden auch in einem kollabierenden Universum keine Photonen aufsaugen und sich zu Gaswolken zurückentwickeln. Beim schlussendlichen Big Crunch würden mitnichten die Bedingungen des Urknalls wiederhergestellt, auch wenn es den Anschein erweckt. Dafür würde schon die in Kollapsrichtung wirkende, die Entropie steigernde Gravitation sorgen. Am Ende würde alles in einem riesigen Schwarzen Loch mit maximaler Entropie enden.

Anders sieht es aus, wenn man als Randbedingung voraussetzt, dass das Universum an beiden Enden eine niedrige Entropie hat. Aus atemporaler Sicht könnte die Entropie einfach eine Art Badewannenform haben (mit niedriger Entropie am Rand und hoher am Boden) und sich die Zeit von beiden Enden in Richtung Zentrum entwickeln, wo sie sich im thermodynamischen Gleichgewicht treffen – dort käme die Zeit gewissermaßen zum Stillstand. Zwar könnte man nun solche Universen an ihren niederentropischen Enden gewissermaßen zusammenkleben und behaupten, ein solches Universum bestehe ewig. In Wahrheit hätte man aber nur einen Haufen Universen postuliert, die alle untereinander und von ihren jeweils gegenüberliegenden Hälften kausal entkoppelt wären, und genauso gut nebeneinander existieren könnten. Eine fortwährende Entwicklung oder Zyklizität der Universen wären durch nichts begründet. Vor allem ist eine solche Annahme vollkommen willkürlich und durch keinerlei Beobachtung oder logische Schlussfolgerung aus solchen legitimiert.

Tatsächlich gibt es eine plausiblere Hypothese, die nicht nur den Anfangszustand des Universums bei niedriger Entropie erklärt, sondern nebenbei auch das Problem der Boltzmann-Hirne löst. Angenommen, unser Universum entwickelt sich hin zu einem Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts, in dem nicht mehr viel passiert außer zufälligen Fluktuationen. Wenn nun aus den Fluktuationen kein Boltzmann-Hirn, sondern etwas viel Einfacheres hervorginge, ein winziges Planck-Volumen mit einer immens hohen Vakuumenergiedichte (falsches Vakuum) – so hoch, dass sofort eine kosmologische Inflation einsetzte. Von außen besehen würde sich eine solche Region mit immens negativem Druck sofort in einen Ereignishorizont hüllen und vom umgebenden Raum abkoppeln, ein submikroskopisches Schwarzes Loch, das sich umgehend in Hawking-Strahlung auflösen würde. Das wäre in seiner winzigen Dimension so unspektakulär, dass man es nicht einmal bemerken würde, wenn es im eigenen Zimmer passierte. In seinem Inneren würde jedoch explosionsartig neuer Raum, neue Vakuumenergie und somit ein komplettes Universum entstehen, vollständig abgekoppelt von unserem Universum. Eine Art Baby-Universum mit seinem eigenen Leben.

Wie schaut es mit der Entropie eines Baby-Universums aus? Die ist zu Beginn klein, schon weil das Baby-Universum in der Größenordnung eines Planck-Volumens (~10-105 m³) starten würde. Da in ihm ein falsches Vakuum mit abstoßender Gravitation herrscht (wir sprachen darüber), wüchse es rasch und dabei muss die Entropie zunehmen, denn das Universum bekommt mehr mögliche Mikrozustände, genau wie ein expandierendes Gas. Man kann ausrechnen, dass die Entropie des beobachtbaren Universums während seiner Inflationsphase von 1012 auf 1088 anwuchs (heute beträgt sie etwa 10101). Ein spontan entstehendes Baby-Universum würde also mit niedriger Entropie starten – das ist genau die gesuchte Randbedingung für die Entstehung des Zeitpfeils!

Wie die Boltzmann-Hirne wäre auch ein solcher Vorgang sehr unwahrscheinlich, aber aufgrund seiner Simplizität wahrscheinlicher als die zufällige Entstehung einer komplexen Struktur wie der eines Boltzmann-Hirns. In einem ewigen Universum würde er sich unendlich oft abspielen und wäre damit den Boltzmann-Hirnen gleichmächtig (im Sinne von: Es gibt von der einen Sorte nicht unendlich viel mehr als von der anderen). Da in neuen Universen wieder Leben und die Evolution von Intelligenz möglich sind, wären damit auch biologische Hirne den Boltzmann-Hirnen gleichmächtig und somit unsere Existenz als biologische Wesen wieder eine realistische, ja erwartete Möglichkeit.

Zudem bietet dieses Modell eine Erklärung dafür, warum es uns gibt – jedes Baby-Universum wäre ein neues physikalisches Experiment zur Erzeugung einer Welt, die am Ende der Inflation mit sehr verschiedenen Naturgesetzen und -konstanten enden kann, welche in den allermeisten Fällen nicht zur Entstehung von Sternen, Planeten und intelligentem Leben geeignet sein dürften. Nur in extrem seltenen Ausnahmefällen mag dies der Fall sein, aber wie gesehen führt eine unendliche Zeit zum sicheren Eintreten auch der unwahrscheinlichsten Ereignisse. Insofern muss irgendwann zwangsläufig ein Universum entstehen, in dem es uns gibt, weil es uns geben kann, egal wie unwahrscheinlich unsere Existenz sein mag.

Und natürlich können nur die Gewinner dieser kosmischen Lotterie über ihre eigene Existenz nachdenken – dies ist das anthropische Prinzip, welches aussagt, dass unsere Existenz unausweichlich bedingt, dass unser Universum mit den richtigen Voraussetzungen ausgestattet sein musste, um uns hervorzubringen, weil ansonsten niemand da wäre, der sich darüber wundern könnte. So wie wir eben nicht zufällig, sondern notwendig auf einem Planeten leben, der ideal für die Entstehung von Leben geeignet war. Daraus können wir nichts über die Häufigkeit solcher Planeten (oder solche Universen) schließen. Unser Standpunkt ist notwendigerweise extrem voreingenommen.

Natürlich sind Baby-Universen eine unbelegbare Hypothese, auch wenn sie aus plausiblen Annahmen geschlussfolgert werden können, und viele Physiker halten dies alles für sinnfreie Gedankenspielereien, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben. Zum Beispiel, weil das anthropische Prinzip nichts zu berechnen und nichts vorherzusagen erlaubt, was übliche Anforderungen für eine wissenschaftliche Theorie sind. Es hat jedoch auch niemand eine bessere Erklärung dafür, warum die Zeit in einer bestimmten Richtung fließt und sich Dinge beständig zu mehr Entropie hin entwickeln. Ich jedenfalls finde es faszinierend, welche logischen Abgründe sich angesichts von Ewigkeiten im Universum auftun und wie aus der Existenz des Zeitpfeils gar ein Multiversum folgen könnte.

Quellen:

(mho)