Missing Link: Zeit, Entropie und warum es uns vielleicht gar nicht gibt

Nichts prägt unser Leben so wie das Verstreichen der Zeit. Aber warum erinnern wir uns eigentlich an Vergangenes und können die Zukunft nicht vorhersehen?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 269 Kommentare lesen

(Bild: Africa Studio/Shutterstock.com/NASA/ESA/heise online)

Lesezeit: 39 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. Die neue Artikelreihe skizziert den derzeitigen Stand des Wissens und legt dar, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie von leerem Raum mit abstoßender Gravitation, der Entstehung des Universums aus dem Nichts und dem unsichtbaren Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen. In der neuen Folge geht es um das Phänomen Zeit, welches innig mit dem Universum verwoben ist, und was unsere schiere Existenz über das Schicksal des Universums verrät.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Zeit prägt unseren Alltag. Vom Aufstehen am Morgen mit einem 5-Minuten-Ei über verabredete Termine bis zur Deadline, von der Gleitzeit bis zur Überstunde, vom Zahnarzttermin bis zum Wartungsintervall, von der Volljährigkeit bis zum Rentenalter dreht sich fast alles um die Zeit. Vermutlich ist die Zeitmessung die älteste wissenschaftliche Disziplin überhaupt – der Wandel der Jahreszeiten mit seinem Einfluss auf Flora und Fauna war schon für unsere jagenden und sammelnden Vorfahren von elementarer Wichtigkeit.

Der jährliche Lauf der Sonne und der Gestirne bot hierfür eine natürliche Orientierung. Wohl spätestens mit dem Beginn des Ackerbaus erdachten die Menschen die ersten Sternbilder. Nach einer Theorie des russischen Historikers und Astronomen Alexander Gurshtein stammen die ältesten, heute noch gebräuchlichen Sternbilder des Tierkreises, also den Sternbildern entlang der Bahn der Sonne und Planeten am Sternhimmel, aus einer Ära etwa 5600 vor unserer Zeitrechnung – noch 3000 Jahre vor den sumerischen Erfindungen der Schrift und des Rades!

Lesen Sie aus dieser Reihe auch bei heise online:

Aus der Beobachtung der Bewegung von Sonne und Planeten entstand dann die Astronomie, damals noch unteilbar mit der Astrologie verbunden. Wenn die Sterne wussten, wann Jahreszeiten begannen, wann Regen und Trockenzeiten folgten, vielleicht waren sie ein Spiegel der Abläufe auf der Erde und konnten etwas über die Zukunft verraten? Denn die Zukunft liegt im Dunklen. Im Gegensatz zur Vergangenheit, die zwar schon nicht mehr real ist, aber zumindest noch in der Erinnerung existiert. Und die Zeit fließt stetig und unaufhaltsam in eine Richtung, von der Vergangenheit in die Zukunft. Aber – warum ist das eigentlich so?

Mit Isaac Newtons Grundgesetzen der Mechanik lassen sich alle Interaktionen zwischen Körpern in guter Näherung beschreiben (bei geringen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen, sonst braucht es die Relativitätstheorie). Das Interessante dabei ist, dass der Zeit dabei keine bestimmte Richtung zugeschrieben ist. Die Gleichungen funktionieren mit rückwärts laufender Zeit genauso gut wie vorwärts. Zum Beispiel der elastische Stoß zweier Billardkugeln: die weiße Kugel rollt heran und stößt die gleich schwere rote Kugel. Die weiße Kugel überträgt aufgrund der identischen Masse ihren gesamten Impuls an die rote Kugel – bei einem zentralen Stoß bleibt die weiße Kugel deshalb liegen und die rote rollt mit der ursprünglichen Geschwindigkeit der weißen Kugel in deren ursprünglicher Bewegungsrichtung weiter. Lässt man die Zeit rückwärts laufen, sieht der Vorgang exakt genau so aus, nur rollt nun die rote Kugel aus der Gegenrichtung heran, überträgt ihren gesamten Impuls an die weiße Kugel und bleibt selbst liegen, während die weiße Kugel sich in der ursprünglichen Richtung der roten Kugel weiter bewegt.

Etwas komplizierter ist ein nicht zentraler Stoß, bei dem die weiße Kugel abgelenkt wird und die rote sich im rechten Winkel zur Bewegungsrichtung der weißen Kugel entfernt – hier wird nur ein Teil des Impulses der weißen Kugel übertragen. Aber auch dieser Vorgang kann exakt umgekehrt werden: die beiden Kugeln rollen im rechten Winkel aufeinander zu, stoßen einander an, sodass die rote Kugel liegen bleibt und die weiße sich in Richtung der Summe beider Impulse (und damit abgelenkt von ihrer Annäherungsrichtung) weiterbewegt. Zugegeben, die Geschwindigkeiten, Richtungen und das Timing der beiden Kugeln müssen exakt stimmen, aber wenn man an irgendeinem Punkt nach der Kollision die Richtungen der Kugeln bei gleichen Geschwindigkeitsbeträgen präzise umkehrt, dann sagen die Gleichungen für den elastischen Stoß exakt voraus, dass die rote Kugel zur Ruhe kommt und die weiße dahin rollen wird, woher sie im Ursprungsexperiment gekommen war.