Mit Mikroben gegen den Klimawandel: Wie sie aus CO₂ neue Chemikalien herstellen

Das US-Unternehmen LanzaTech hat seine Ethanol-produzierenden Mikroben so umgerüstet, dass sie aus dem Klimagas weitere Basischemikalien herstellen können.​

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LanzaTechs erste kommerzielle Ethanolanlage verwertet Synthesegas aus einem Stahlwerk der chinesischen Shougang Group.

(Bild: LanzaTech)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Das Bakterium Clostridium autoethanogenum ist eine vielseitige kleine Chemiefabrik und zu Großem bestimmt. Es kann nämlich aus den Industrieabgasen Kohlendioxid (CO₂), Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff Basischemikalien herstellen. Das US-Unternehmen LanzaTech hatte den Organismus in den vergangenen Jahren bereits erfolgreich dazu gebracht, in zwei kommerziellen Anlagen jeweils 50.000 Tonnen Ethanol pro Jahr zu produzieren. Dann rüstete sie ihn mit Entwicklungspartnern von der Northwestern University im Bundesstaat Illinois gentechnisch so um, dass er nun auch Aceton und Isopropanol im 150-Liter-Pilotmaßstab herstellen kann.

Aceton dient als Lösungsmittel für Kunststoffe, dem Reinigen von Werkzeugen und zum Entfernen von Nagellack. Isopropanol wiederum ist ein weitverbreitetes Desinfektionsmittel und Antiseptikum, verhindert also Wundinfektionen mit lebensbedrohlichen Immunreaktionen.

Allerdings "fallen beim Produktionsprozess von Aceton und Isopropanol aus Erdöl oder Erdgas pro hergestelltem Kilogramm Aceton oder Isopropanol 1,85 bis 2,55 Kilogramm CO₂-Emissionen an", sagt Michael Köpke, Direktor für Synthetische Biologie bei LanzaTech. Die neuen Gas-Fermentationsverfahren für die beiden Substanzen vermeiden nicht nur den Einsatz von fossilen Kraftstoffen. "Unser Prozess hat auch einen negativen CO₂-Fußabdruck von minus 1,17 bis 1,79 Kilogramm CO₂, das heißt, er entfernt CO₂ aus der Atmosphäre", so Köpke.

Diese Lebenszyklus-Analyse sowie die Veränderungen am Produktionsbakterium hat LanzaTech gemeinsam mit seinen Northwestern-Projektpartnern im Fachjournal Nature Biotechnology veröffentlicht. Die Chemikalienproduktion per Gas-Fermentation ist demnach im Vergleich mit dem Fermentieren von Zuckern etwa aus Mais günstiger, obendrein ertragreicher, benötigt keine Anbauflächen und ist unabhängig von Rohstoffpreisen.

Hinzu kommt, dass "wir unsere Anlagen für verschiedene Produkte nutzen können, anders als in der Chemieindustrie, wo Anlagen speziell für einen Prozess gebaut werden", sagt Köpke. "Wir können also nach einer Fermentation, die Ethanol erzeugt, den Prozess neu starten und dann Aceton produzieren."

Michael Köpke leitet bei LanzaTech die Entwicklung von chemikalienproduzierenden Mikroorganismen.

(Bild: LanzaTech)

Doch zunächst mussten die Wissenschaftler das anaerobe, also ohne Sauerstoff auskommende Bakterium C. autoethanogenum gentechnisch so neu verdrahten, dass es statt Ethanol die neuen Substanzen herstellt. "Wir haben nach Enzymen gesucht, die die neuen Chemikalien aus der gemeinsamen Vorstufe Acetyl-Coenzym A herstellen können", erklärt Michael Jewett, der an der Northwestern University das Center for Synthetic Biology leitet. Das Coenzym ist das gemeinsame Zwischenprodukt aller drei Gasfermentationspfade für CO, CO₂ und Wasserstoff. Dann schleusten die Forscher die genetische Bauanleitung für die Enzyme in das Bakteriengenom ein.

Allerdings produzierte der Organismus zunächst nur wenig Aceton und zu viele unerwünschte Nebenprodukte. Der neue Produktionspfad hatte Wechselwirkungen mit dem ursprünglichen Stoffwechsel verursacht. Die verantwortlichen Enzymgruppen mit herkömmlichen Methoden aufzuspüren, hätte aufgrund des langsamen Wachstums des Bakteriums sechs bis 12 Monate gedauert. Den Northwestern-Forschern gelang es, den Prozess mit einer neuen zell-freien Methode auf wenige Wochen zu beschleunigen.

Nach dem Ausknocken der korrespondierenden Gene wandelten die Bakterien statt nur ein Prozent des CO2 satte 90 Prozent zu Aceton um. Ein noch weiter abgewandelter C. autoethanogenum -Stamm kann das Aceton dann zu Isopropanol reduzieren.

Was das "Futter" für LanzaTechs Bakterien angeht, sind diese ziemlich flexibel. "Unser Organismus kann Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Wasserstoff verwenden", sagt Köpke. Die Bakterien arbeiten dann am effektivsten, wenn sie nicht allein CO₂ als Kohlenstoffquelle bekommen, sondern auch Wasserstoff als Energiequelle. Dann setzen sie bis zu 100 Prozent des Kohlenstoffs in die Produkte um.

Deshalb eignet sich sogenanntes Synthesegas besonders gut als Futter, weil es sowohl CO2 als auch Wasserstoff enthält. Dazu enthält es auch noch Kohlenmonoxid, das die Bakterien kombiniert mit dem Wasserstoff ebenfalls umsetzen können. Sie setzen die Gase in allen Verhältnissen um, und dazu auch einzeln. Liegt nur Kohlenmonoxid vor, kann das Bakterium mithilfe von Kohlenmonoxid-Dehydrogenase CO und Wasser zu CO₂ und Wasserstoff umsetzen. Dann ist der Chemikalien-Ertrag deutlich geringer, aber der CO₂-Fußabdruck insgesamt immer noch negativ.

Das Bakterium Clostridium autoethanogenum stellt aus CO2 und anderen Abgasen Basischemikalien wie Ethanol, Aceton und Isopropanol her.

(Bild: Prof. Shi-You Ding (Michigan State University))

Synthesegas fällt etwa bei Stahlwerken in großen Mengen an und wird meist einfach in die Luft geleitet. Deshalb steht eine LanzaTech-Großanlage direkt an einer Stahlhütte der chinesischen Shougang Group und bekommt deren Abgase zur Fermentation zugeleitet. Die zweite, ebenfalls in China errichtete Anlage verwertet Abgase aus der Metallverarbeitung. Die Mikroben könnten aber auch andere Abgasmischungen nutzen, darunter auch CO₂-haltiges Biogas.

"Wir denken, dass wir den Prozess innerhalb des nächsten Jahres auf die kommerzielle Ebene bringen können", sagt Köpke. Das bedeutet eine Produktion in großen 500.000-Liter-Tanks, in denen jeweils pro Jahr 50.000 Tonnen der Chemikalien produziert werden können. Im Vergleich zu traditionellen Raffinerien sei das zwar klein, sagt Köpke, aber deren Größe sei für den kommerziellen Erfolg gar nicht nötig. Die kleineren, mit herkömmlichen Bioethanol-Anlagen vergleichbaren Produktionsstätten lassen sich dezentral neben den Rohstoffquellen, also den abgasproduzierenden Fabriken errichten. Als Vergleich: Die weltweiten Produktionsmengen für Aceton betragen mehr als 7,5 Millionen Tonnen und für Isopropanol 2,25 Millionen Tonnen, für Ethanol 97,5 Millionen Tonnen.

Während LanzaTech an der Hochskalierung seiner Aceton- und Isopropanolproduktion arbeitet, haben seine Mikroorganismen etwa 100 weitere Basischemikalien mit negativem CO₂-Abdruck im Labormaßstab produziert. Darunter ist das etwa in der Kosmetik wichtige Octanol, bei dem LanzaTech mit dem Chemie-Riesen BASF kooperiert.

(jle)