Myst wird 30: Das Grafik-Adventure, das ein Genre zerstörte​ ​

Seite 4: Abschließende Ratschläge

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Welche Variante empfehle ich also? Nun ... Wer "von damals" wunderschöne Erinnerungen an "Myst" hat und sich diese nicht verderben will, greift am besten zum neuesten Remake. Es entfernt viele Schwächen des Originals und hievt die Stärken des Klassikers auf einen zeitgemäßen Stand, den albernen 3D-Männchen zum Trotz.

Diese Empfehlung gilt generell auch für Spieler, für die "Myst" ganz neu ist. Wer ein bisschen Old School zocken mag, zieht womöglich "RealMyst" vor. Diese Version verströmt gepflegten Retro-Charme, ohne total altbacken zu wirken. Rechnen Sie aber von vornherein damit, häufig das Hint-System zurate ziehen zu müssen. Switch-Besitzer haben eh keine Alternative.

Ganz heftig abgeraten sei von der "Myst"-Urfassung. Was vor 30 Jahren neu und faszinierend wirkte, ist heute spieltechnisch eine Zumutung und grafisch eher ... nun ... tryst.

In einem Interview haben die Miller-Brüder geschätzt, dass die Hälfte der Käufer des Ur-Spiels auf der Hauptinsel hängen geblieben sein dürften. Mindestens drei Millionen Spieler haben also nicht einmal ein Fünftel von "Myst" gesehen, bevor sie frustriert das Handtuch warfen.

Selbst die neuesten "Myst"-Versionen verlangen ihren Spielern viel Beobachtungsgabe und Geduld ab, ganz zu schweigen von Nachsicht. So bietet beispielsweise eines der "Zeitalter" einen wesentlichen Hinweis für die Lösung eines Puzzles auf einer anderen Insel. Dumm nur für Spieler, die zuerst auf der zweiten Insel gelandet sind und jetzt dort feststecken.

Das fragliche Puzzle, der "Maze Runner", ist ein unterirdisches Labyrinth. Wer nicht in einem anderen Zeitalter ein Spielzeug in die Hand genommen und dabei gewissenhaft notiert hat, welche Geräusche es bei welchen Aktionen macht, findet sich plötzlich in einem klaustrophobischen Vehikel wieder, dessen einzige Steuerungsmöglichkeiten zwei Hebel und ein Knopf sind (bei Ur-"Myst" und "RealMyst" gibt es keine Hebel, nur fünf Knöpfe).

Ohne einen greifbaren Hinweis zur Lösung bleibt Spielern nichts anderes übrig, als durch viel Nachdenken und hartnäckiges Ausprobieren einen Ausweg zu finden. Und selbst wer den Weg kennt, braucht zur Durchquerung des Labyrinths mindestens 7 Minuten, die sich anfühlen wie eine Stunde.

Wenn Sie diese Vorstellung abschreckt, sind Sie und "Myst" vermutlich nicht füreinander bestimmt. Freuen Sie sich stattdessen darüber, vor 30 Jahren nicht an genau dieser Stelle im Spiel eine halbe Stunde lang festgehangen zu sein, um dann verzweifelt mit Kuli auf Karopapier eine Karte des Labyrinths anzulegen, dabei einen blöden Fehler zu begehen, sich hoffnungslos zu verlaufen, einen neuen Versuch zu machen und nach vier weiteren Spielstunden endlich am Ausgang zu stehen und so völlig mit den Nerven fertig zu sein, dass Sie Ihren Triumph über die Technik nicht einmal mehr genießen konnten.

Nicht umsonst sehen selbst eingefleischte "Myst"-Fans das "Maze-Runner"-Labyrinth als absoluten Tiefpunkt des Spiels. Rand Miller hingegen war zumindest 2016 immer noch stolz darauf.

In einem Interview von 1995 erzählt Rand Miller, ihm hätten Spieler berichtet, dass "Myst" sie bis in ihre Träume begleitet habe. Er wertete das als Kompliment. Ich kann bestätigen: Auch ich habe von "Myst" geträumt. Dabei handelte es sich allerdings um klaustrophobische Albträume, in denen ich in einem unterirdischen Labyrinth feststeckte.

Es sei aber dazugesagt, dass "Myst" mich auch positiv geprägt hat: Robyn Millers Ambient-Soundtrack ist bis heute ein Favorit und steht erfreulicherweise auch auf den meisten Streaming-Plattformen zur Verfügung – wie es sich für "Myst" gehört, sowohl in der Urfassung als auch in einer Remastered-Version mit Bonustracks.

(dahe)