Neue Screeningmethode: Molekularer Fingerabdruck aus Blutplasma

Die Idee, aus einzelnen Tropfen Blut viele Krankheiten zu diagnostizieren, ist alt – und ging bereits schief. In München versucht man sich nun mit KI an Plasma.

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Forscher Tarek Eissa im Labor

Forscher Tarek Eissa: Der Doktorand ist Erstautor der Studie.

(Bild: © Thorsten Naeser / MPQ / Attoworld)

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Viele Menschen lassen sich nur ungern Blut abnehmen, doch für übliche Blutuntersuchungen ist genau das notwendig – und zwar in ausreichender Menge. Fläschchen um Fläschchen füllt sich dann beim Arzt. Entsprechend begeistert reagierte die Medizinbranche, als das Start-up Theranos Anfang der 2010er behauptete, dank einer neuartigen Analysemaschine namens Edison zahlreiche Tests "mit nur einem Tropfen Blut" durchführen zu können. Selbst ein eigenes Mini-Gefäß namens "Nanotainer" hatte man patentieren lassen. Inzwischen ist klar, dass das alles nur ein Hype und sogar Betrug war: Dem himmelhohen Aufstieg mit Milliardenbewertung folgte ein übler Absturz, der mit Haftstrafen für die Gründer endete.

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Doch gestorben ist die Idee, mit geringen Mengen Blut zahlreiche Tests durchzuführen, noch immer nicht. So arbeitet ein Forscherteam in Jena an einem lasergestützten Verfahren, mit dem aus einer einzigen Blutprobe ein passendes Antibiotikum für den Patienten ermittelt werden soll. Das neue optische Verfahren benötigt laut der Forscher an der Uniklinik Jena nur zwei bis dreieinhalb Stunden für eine Bakterienanalyse. Nicht so flott und viel spezialisierter als die Theranos-Idee, aber im Experiment zuverlässig. Einen breiteren Ansatz verfolgt jedoch ein Team an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Dort möchte man mit nur einem Tropfen Blut – siehe Theranos – sogar ein bevölkerungsweites Gesundheitsscreening durchführen.

Dabei kommt ein Verfahren aus der Infrarotspektroskopie zum Einsatz, die sogenannte Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie, kurz FTIR ("Plasma infrared fingerprinting with machine learning enables single-measurement multi-phenotype health screening", Cell Reports Medicine). Die Probe ist allerdings nicht verdünnt, sondern besteht aus Plasma. Kooperiert hat die LMU dazu mit dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) und dem Helmholtz Zentrum München. Dabei wird der FTIR-Output in einen Rechner eingelesen, der mittels maschinellem Lernen (ML) zuvor gelernt hat, was eine "kranke" Probe ist und welche Diagnosen dazu gehören. Das LMU-Team arbeitet im Rahmen des Projekts Attoworld und ist dort Teil der Forschungsgruppe Broadband Infrared Diagnostics, kurz BIRD. Sie hat bereits eine Methode entwickelt, eine Art molekularen Fingerabdruck aus Plasma zu erstellen. Helmholtz München übernimmt das Verfahren nun für eine groß angelegte Bevölkerungsstudie.

Bereits 5000 Proben aus Blutplasma wurden mittels FTIR gecheckt. Dabei wird eine Korrelation zwischen bekannten Werten, die für Erkrankungen oder Diagnosen stehen, mit der Probe ermittelt. "Ein mehrstufiger Computeralgorithmus ist nun in der Lage, zwischen verschiedenen Gesundheitszuständen zu unterscheiden, darunter anormale Blutfettwerte, verschiedene Blutdruckveränderungen und Typ-2-Diabetes", so die LMU in einer Pressemitteilung. Dazu gehöre überraschenderweise außerdem Prädiabetes, eine Diabetes-Vorstufe, die sonst gerne von Ärzten übersehen wird.

Das Prinzip funktioniert allerdings nur, wenn ausreichend Probenmaterial samt passender Befunde vorhanden sind. Nur so ist ein Training der ML-Algorithmen möglich, der genau genug ist. Beim aktuellen Vorhaben konnte das LMU-Team und seine Kollegen Blutplasma-Proben Tausender Teilnehmer im Rahmen der sogenannten KORA-Studie verwenden, einem "umfassenden repräsentativen Gesundheitsforschungsprojekt im Raum Augsburg". Das Helmholtz-Projekt versucht, Zusammenhänge von Gesundheit, Krankheit und den Lebensumständen der Bevölkerung zu erfassen. Im Mittelpunkt stehen dabei Diabetes, Herzkreislauf- und Lungenerkrankungen ebenso wie Umweltfragestellungen, heißt es dazu bei der Plattform DigiMed Bayern.

Der Traum von Theranos-Gründerin Elisabeth Holmes, derzeit einsitzend im Prison Camp Bryan nordwestlich von Houston, scheint auf absehbare Zeit jedenfalls tatsächlich erfüllbar: "Mit einem einzigen Tropfen Blut und Infrarotlicht steht ein leistungsfähiges Werkzeug zur Verfügung, die Gesundheit im Auge zu behalten, Probleme effizienter zu erkennen und die Gesundheitsversorgung weltweit zu verbessern", so das LMU-Team. Man sehe "weitreichende Anwendungsmöglichkeiten". Der Algorithmus konnte laut der Gruppe sogar Personen herausfiltern, die gesund waren und über den Untersuchungszeitraum von mehreren Jahren auch gesund blieben – und so als Positivbeispiel dienen könnten, um zu untersuchen, was genau sie richtig gemacht haben.

(bsc)