Neuer Antikörper neutralisiert zahlreiche Corona-Varianten​

Das in Mäusen getestete Abwehrmolekül erkennt einen nicht mutierenden Bereich des Erregers und setzt ihn über einen neuartigen Mechanismus außer Gefecht.​

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(Bild: RossHelen / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Das munter mutierende Sars-CoV-2-Virus entzieht sich durch die Veränderungen am Spike-Protein immer wieder unserer Immunabwehr. Denn die Antikörper, die es als Antwort auf Impfstoffe und durchgemachte Infektionen produziert, passen bei neuen Varianten oft nur schlecht. So kommt es häufig zu Durchbruchsinfektionen. Teilweise steckt man sich innerhalb weniger Wochen erneut an. Hinzu kommt, dass auch therapeutische Antikörper ihre frühere Wirksamkeit immer mehr verlieren.

Deshalb suchen Wissenschaftler nach Antikörpern, die auf breiter Fläche gegen sämtliche Varianten wirksam sind – und zwar sowohl gegen aktuelle als auch zukünftig auftauchende Versionen. Einen ersten Erfolg konnte kürzlich die Forschungsgruppe von Frederick Alt am Boston Children’s Hospital an der Harvard Medical School vorweisen. Wie sie im Fachjournal "Science Immunology" schreibt, neutralisierte ihr SP1-77 getaufter Antikörper in Mausversuchen sämtliche bisherige dominanten Coronastämme von Alpha und Beta über Gamma und Delta bis hin zu allen Omikron-Varianten.

Das schaffte er mit einem gänzlich neuen Wirkmechanismus. Er bindet nämlich nicht wie die bisherigen Antikörper an die Oberfläche des Spike-Proteins, um so das Andocken des Virus an die ACE2-Rezeptoren der Körperzellen zu verhindern. Denn diese Spike-Bindungsstelle verändert sich durch Mutationen eben immer wieder deutlich.

Vielmehr visiert der neue SP1-77-Antikörper – über sämtliche Varianten hinweg – einen bisher unveränderten, im Fachjargon auch "konserviert" genannten Bereich weiter unten auf den Spike-Stengeln an. Diese Stelle ist dafür verantwortlich, dass sich die in die Zellen aufgenommenen Viren dort auch entfalten können.

Denn die Erreger gelangen, bildlich gesprochen, nicht einfach durch eine aufgehende Tür ins Zellinnere. Stattdessen stülpt sich die Zellmembran nach innen und umgibt das Virus wie eine Seifenblase, die ins Zellinnere driftet. Darüber schließt sich die Zellmembran dann wieder. Wie weitere Zellbiologen des Bostoner Kinderkrankenhauses mit Strukturbiologen von der Duke University in Durham, North Carolina, herausfanden, verhindert der SP1-77-Antikörper, dass die Viren aus den Bläschen (Endosomen) freikommen und sich in der Zelle vermehren können.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

"Das Virus steckt fest, weil der Antikörper die Verschmelzung der Virenmembran mit der Endosom-Membran verhindert", sagt Tom Kirchhausen vom Boston Children’s Hospital, der mit seinem Kollegen Alex Kreuzberger die Wirkweise mit einem Bildgebungsverfahren für lebende Zellen bestätigt hat. Das Virus kann also sein Genom nicht mehr in die Zelle freigeben, sondern wird im Endosom abgebaut und entsorgt. Es ist also ein bisschen so, als ob ein Einbrecher zwar in den Hausflur gelangt, dort aber eingeschlossen wird, bis die Polizei kommt.

Um solche Breitband-Antikörper zu finden, modifizierten die Forscher um Alt und Erstautorin Sai Luo das Erbgut von Mäusen und setzten sie anschließend der Spike-Version des ursprünglichen Sars-CoV-2-Stammes aus. Durch die Modifikation erzeugte das Immunsystem der Nager, genauer gesagt ihre B-Zellen, Antikörper, die stark den menschlichen Abwehrmolekülen ähnelten. Die Erbgutänderungen sorgten zudem auch für eine größere Antikörpervielfalt, um die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, etwas Passendes zu finden.

Antikörper haben eine "Y"-förmige Struktur, deren Stamm und Äste aus jeweils zwei parallelen Ketten bestehen. Die Stamm-Ketten sind mit den inneren Astketten verbunden und bilden zusammen die schweren Ketten. Die beiden äußeren Astketten nennt man leichte Ketten. Beide Astketten, schwere wie leichte, enthalten stark variable Regionen: diese werden bei jeder einzelnen B-Zelle aus verschiedenen Segmenten frei kombiniert. Die Rekombination ermöglicht mithilfe weiterer Neuorganisationsmechanismen hunderte Millionen unterschiedlicher Antikörper mit individuellen Antigen-Bindestellen.

Die Harvard-Forscher fügten je einen humanen Genabschnitt für die variable Region der schweren und leichten Kette ins Mausgenom ein. Zudem löschten sie sämtliche Maus-Gene für die schweren Ketten, damit die eingefügten Gene bevorzugt abgelesen und umgesetzt werden, erklärt Alt. Von insgesamt 96 getesteten Antikörpern erwiesen sich nur SP1-77 und enge Verwandte über verschiedene Virusvarianten hinweg als erfolgreiche Neutralisierer. In Tests mit sogenannten Pseudoviren, also nicht vermehrungsfähigen Viruspartikeln, setzte er Alpha, Beta, Gamma, Delta und frühere wie alle aktuellen Omikron-Stämme außer Gefecht.

Die Ergebnisse müssen erst noch im Menschen bestätigt werden. Die Forscher hoffen aber, dass ihr inzwischen patentierter Antikörper dann dabei helfen kann, bessere Covid-19-Behandlungen und auch Impfstoffe zu entwickeln. Zum Beispiel wäre es denkbar, ein Proteinstück, das mit dem Andockbereich von SP1-77 auf dem Spike-Stengel übereinstimmt, zum Immunisieren zu verwenden, sagen Luo und Alt. Mithilfe ihrer neuen Mausmodell-Klasse wollen sie zudem auch Antikörper gegen neu auftretende Pathogene aufspüren.

(vsz)