Nicht nur Wasser: "Außerirdisches Leben könnte auf anderen Molekülen beruhen"

Seite 2: Wie weit können wir "Leben" abstrahieren?

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Sind die Raumfahrtagenturen offen für eine umfassendere Suche nach Leben?

Die NASA geht dieser Frage mit der 2026 startenden Dragonfly-Mission zur Oberfläche des Saturn-Mondes Titan nach. Diese soll nicht nach Leben selbst suchen, sondern nach präbiotischer Chemie. Titan ist ein Eismond mit vielen interessanten organischen Molekülen. Er hat flüssiges Methan und Kohlenwasserstoff-Seen. Anstelle eines Wasserkreislaufs, wie die Erde ihn hat, hat Titan einen Kohlenwasserstoff-Kreislauf.

Darüber hinaus finanziert die NASA auch meine Postdoc-Stelle – im Rahmen eines fünfjährigen, millionenschweren Zuschusses, der mehrere Institutionen umfasst – über die Frage: Welche Biosignaturen könnten lebende Systeme haben, die nicht auf die [bisher bekannte] Chemie lebender Systeme baut?

Auch Science-Fiction-Autoren versuchen, wissenschaftlich plausible außerirdische Lebensformen zu erschaffen, wie Andy Weir in seinem neuen Buch "The Hail Mary Project"? Darf ich eine Spoiler-Frage zu einem außerirdischen Szenario darin stellen?

Ja, sicher.

Er hat sich Außerirdische von einem Planeten mit einer Ammoniakatmosphäre ausgedacht, der sehr heiß ist, weil er eng um eine Sonne kreist. Weir wollte eine Lebensform auf Wasser-Basis, aber Wasser ist bei hohen Temperaturen nur bei hohem Druck noch flüssig. Also haben diese Aliens ein dickes Exoskelett. Und weil kein Sonnenlicht durch die Ammoniak-Atmosphäre dringen kann, haben sie keine Augen und können nicht sehen. Ist es plausibel, einen Planeten auf diese Weise zu betrachten und zu überlegen, welche Art von Leben er hervorbringen könnte?

Ja, auf der makroskopischen Ebene können wir Eigenschaften einigermaßen gut beschreiben. Wir könnten sagen, welche Moleküle man nicht verwenden könnte, weil sie in dieser Umgebung nicht stabil wären, und welche anderen möglich wären. Unsere Zellen bestehen etwa aus [größtenteils] unpolaren Lipiden, also Kohlenwasserstoffen, die wasserabweisend sind und daher Zellmembranen bilden...

...indem die Lipide ihre unpolaren Schwänze zueinander ausrichten und ihre polaren Köpfe nach außen weisen. Krümmt sich diese Lipid-Doppelschicht, umschließt sie das wässrige Zellinnere.

Wenn aber das Lösungsmittel ein unpolarer Kohlenwasserstoff wäre, können die Membranen nicht auch aus unpolaren Kohlenwasserstoffen bestehen.

(Bild: Ulrich Helmich (u-helmich.de) / CC BY-NC-SA 4.0)

Wenn wir also etwa Titan mit seinem Methankreislauf nehmen...

Für Titan hat jemand eine völlig andere Zelle [mit einer Membran] vorgeschlagen, die aus einer polaren stickstoffhaltigen Verbindung besteht, und sie Azotosome genannt. Aber das setzt Leben voraus, das Zellen, eine Verkapselung und ein lineares Polymer zur Informationsspeicherung braucht. Hier gibt es also verschiedene Abstraktionsebenen: Was ist, wenn man weder Zellen noch ein lineares Polymer braucht, sondern ein völlig anderes System hat? Und wir wissen nicht, wie weit die Abstraktion geht.

(vsz)