"Niemand stürmt offen voran": Wie geht es mit dem digitalen Dollar weiter?

Der Vorschlag einer digitalen Zentralbankwährung in den USA wird aus der Politik bekämpft. Dabei wären die Grundlagen gelegt.

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(Bild: Stephanie Arnett / MITTR)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Mike Orcutt
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Wir schreiben Sommer 2020. Große Teile der Welt befinden sich im Lockdown, während die Pandemie weiter ihren Lauf nimmt. Und in akademischen und außenpolitischen Kreisen sind digitale Währungen plötzlich eines der heißesten Themen des Tages. China ist auf dem besten Weg, seine eigene digitale Zentralbankwährung (Central Bank Digital Currency, CBDC) einzuführen. Viele andere Länder haben CBDC-Forschungsprojekte gestartet.

Sogar Facebook schlägt eine eigene digitale Währung mit dem Namen Libra vor. Als dann die Bostoner Niederlassung der US-Notenbank das Projekt Hamilton ankündigt, eine Idee in Zusammenarbeit mit der Digital Currency Initiative des MIT, die herausfinden soll, wie eine solche digitale Zentralbankwährung technisch gestaltet werden könnte, erregt das nicht wirklich viele Gemüter. Eine hypothetische digitale Währung der US-Zentralbank war damals nicht umstritten. Und die USA konnten es sich doch nicht leisten, hinterherzuhinken.

Wie sich die Dinge doch ändern: Drei Jahre später ist der "digitale Dollar" – obwohl es ihn nach wie vor nicht gibt und die US-Notenbank nach eigenen Angaben nicht plant, einen solchen auszugeben – zu einem politischen Reizthema geworden. Unter Ausnutzung der weit verbreiteten Ablehnung der US-Bürger gegenüber staatlicher Überwachung ist eine Gruppe von Politikern, die gegen die CBDC sind, mit der Botschaft angetreten, dass die Idee etwas ist, das man fürchten muss. Es ist schwer zu sagen, wann sich diese Dynamik änderte, aber eine bestimmte Art von CBDC-Alarmismus schien zuzunehmen, nachdem Präsident Joe Biden im März 2022 eine Executive Order unterzeichnet hatte, in der er erklärte, dass seine Regierung "mit höchster Dringlichkeit" Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen "im Hinblick auf die potenziellen Design- und Einführungsoptionen einer CBDC in den Vereinigten Staaten" unternehmen werde.

Jetzt haben Politiker in beiden Kammern des Kongresses Gesetzentwürfe eingebracht, die sicherstellen sollen, dass eine CBDC nicht das Licht der Welt erblicken wird. Und erste Präsidentschaftskandidaten machen explizit Wahlkampf dagegen. "Jeder, der mit offenen Augen durch die Welt geht, kann die Gefahr erkennen, die diese Art von Idee für die Amerikaner bedeuten würde. Diese wären gerne weiter in der Lage, ihre Geschäfte zu tätigen, ohne dass die Regierung jede einzelne Transaktion in Echtzeit sieht", sagte im Mai etwa der konservative Gouverneur Ron DeSantis aus Florida, der für die Republikaner kandidiert. In Wahlkampfreden hat DeSantis dann auch eine dystopische Zukunft beschrieben, in der die Regierung ihr CBDC-Netzwerk nutzt, um Menschen am Kauf von Waffen oder fossilen Treibstoffen zu hindern.

Die Fed hat bislang nicht nur keine Pläne, eine digitale Währung herauszugeben, sondern auch wiederholt erklärt, dass sie dies nicht ohne Erlaubnis des Kongresses tun würde. Wie eine solche Währung funktionieren könnte – einschließlich der Frage, wie stark sie physisches Bargeld imitieren würde – ist noch eine offene Frage, die nur durch weitere Forschung und Tests beantwortet werden kann. Ziel des Projekts Hamilton war es deshalb, einen Prototyp nur einer (wenn auch wichtigen) Komponente eines solchen Systems zu bauen: eine Möglichkeit, die gleiche Menge an Transaktionen, die die großen Zahlungskartennetzwerke verarbeiten, sicher und belastbar zu managen.

Die erste Phase von Hamilton zeigte machbare technische Ansätze und die Forscher versprachen eine "Phase 2", in der ausgefeilte Ideen für den Datenschutz und Offline-Zahlungen untersucht werden sollten. Doch Ende letzten Jahres, kurz nachdem das Projekt ins Visier von Senatoren und Kongressabgeordneten geraten war, die sich gegen eine CBDC aussprachen, beendete die Boston Fed das Projekt. Jetzt müssten neue Versuche möglicherweise von außerhalb der Zentralbank kommen, die es nun vorzieht, politisch neutral zu bleiben. Und ein digitaler Dollar scheint damit unwahrscheinlicher als je zuvor.

Die Gegner sehen in der Idee sowieso nur eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Schließlich sind Dollars bereits digital nutzbar. Wenn man mit einer Debitkarte zahlt, läuft das doch bereits über entsprechende Netzwerke. Und der Versuch Chinas, eine digitale Zentralbankwährung einzuführen, ist an sich kein Grund, selbst eine solche einzuführen, heißt es. Hinzu kommt: Die Einführung von Libra ist gescheitert – eine globale digitale Währung, die von einem Technologieunternehmen betrieben wird, ist kein Thema mehr. Welchen anderen Zweck würde eine von der Regierung ausgegebene digitale Währung denn dann noch erfüllen, als der Regierung ein Instrument zur finanziellen Überwachung und Kontrolle der Bürger zu geben?

Doch es gibt da ein Problem, das der digitale Dollar dennoch lösen könnte: Physisches Bargeld ist im Verschwinden begriffen. Immer weniger Händler nehmen Scheine und Münzen an. Hinzu kommt, dass die Verbraucher einfach immer weniger Bargeld verwenden. Das liegt zum Teil an der Bequemlichkeit, aber es gibt noch einen weiteren wichtigen Grund: Im Internet kann man nicht mit Bargeld einkaufen. In den USA werden 2022 nur noch 18 Prozent aller Zahlungen in bar abgewickelt – 2016 waren es noch 31 Prozent, so eine Studie der San Francisco Fed. Außerhalb der USA ist der Weg zu einer bargeldlosen Gesellschaft noch weiter. Das heißt: Der Rückgang der Bargeldverwendung ist einer der Hauptgründe dafür, dass mehr als 100 Länder die Idee verfolgen, ihre eigenen digitalen Währungen zu schaffen.

Die Lösung wäre also eine digitale Währung mit allen Merkmalen von physischem Bargeld, so der Rechtsprofessor Rohan Grey von der Willamette University. Dass wir bei Amazon kein Bargeld verwenden können, sei nur ein Argument für staatlich ausgegebenes digitales Bargeld, sagt Grey. Hinzu kommt: In den USA sind viele Menschen auf Scheine und Münzen angewiesen, weil sie keine Bankkonten haben und keine Kredit- oder Debitkarten bekommen können. Die Einlagensicherung Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) schätzt, dass im Jahr 2021 5,9 Millionen US-Haushalte "unbanked" sein werden. Außerdem, so Grey, hat Bargeld einzigartige "soziale Eigenschaften", die wir unbedingt bewahren sollten, darunter seine Privatsphäre und Anonymität. Niemand kann direkt nachvollziehen, wie man seine Münzen und Scheine ausgibt. "Ich denke, Anonymität ist ein soziales Gut", sagt der Jurist.

Entsprechend war Grey im vergangenen Jahr Mitverfasser einer Gesetzesvorlage des US-Repräsentantenhauses, dem Electronic Currency and Secure Hardware Act (ECASH). Die vom Abgeordneten Stephen Lynch aus Massachusetts eingebrachte Gesetzesvorlage hätte das Finanzministerium angewiesen, einen digitalen Dollar zu schaffen, der sowohl online als auch offline verwendet werden kann und bargeldähnliche Merkmale aufweist, "einschließlich Anonymität, Datenschutz und minimaler Generierung von Informationen bei Transaktionen". Der Vorschlag hat den Kongressausschuss für Finanzdienstleistungen allerdings nicht verlassen, aber Grey sagt, dass es Pläne gibt, ihn dieses Jahr wieder einzubringen.

DeSantis und andere CBDC-Gegner stimmen höchstwahrscheinlich mit Grey darin überein, dass wir die Privatsphäre von Bargeld in digitaler Form nachbilden sollten – schließlich behaupten sie, die Amerikaner gegen einen finanziellen Überwachungsstaat zu verteidigen. Doch während Grey für ein staatlich kontrolliertes System plädiert, scheinen sie eher etwas wie dezentrale Kryptowährungsnetzwerke zu bevorzugen, die von keiner zentralen Behörde kontrolliert werden.

DeSantis hat beispielsweise vor kurzem ein Gesetz unterzeichnet, das einen "zentralisierten" digitalen Dollar in Florida ausdrücklich verbietet und offenbar die Tür für einen "dezentralisierten" Dollar offen lässt. Der Abgeordnete Tom Emmer aus Minnesota, der in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf eingebracht hat, der es der Fed verbieten würde, eine digitale Währung herauszugeben, hat mehrfach gesagt, dass ein CBDC "offen, genehmigungsfrei und privat" sein müsse. "Genehmigungsfrei" ("permissionless") ist ein Begriff, den Fans von Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum verwenden, die für jeden mit einer Internetverbindung offen sind. Emmer, ein Republikaner, gilt als offener Krypto-Fan im Kongress.

Es ist nicht klar, wie die von einer Zentralbank ausgegebene Währung jemals von einem solchen Krypto-Netzwerk kontrolliert werden könnte. Außerdem haben Bitcoin und ähnliche Kryptowährungen ihre eigenen Probleme mit dem Datenschutz. Obwohl die Nutzer pseudonym sind, werden Informationen über den Absender, den Empfänger und den Betrag jeder Transaktion in der Blockchain veröffentlicht. Ermittler sind geschickt darin, Hinweise wie persönliche Informationen, die die Nutzer mit Krypto-Börsen teilen, zu nutzen, um ihre wahre Identität herauszufinden.

So oder so wird die Verwendung eines Blockchain-Netzwerks nicht ausreichen, sagt Grey, da viele der Menschen, die auf Bargeld angewiesen sind, auch keinen Internetzugang haben. Er stellt sich Karten vor, die kontaktlos mit anderen Karten oder Smartphones Daten austauschen, um online oder offline anonym Werte zu übertragen. Wie physische Dollars wären die digitalen Stellvertreter so genannte Inhaberpapiere, was bedeutet, dass der Besitz dem Inhaber Eigentumsrechte verleiht. Es gibt jedoch noch eine Reihe unbeantworteter technischer Fragen, wie all dies sicher umgesetzt werden kann – eine Tatsache, die Grey einräumt.

Unbeantwortete technische Fragen waren auch die Motivation für das Projekt Hamilton. Die Forscher untersuchten mögliche Entwürfe für einen "robusten Transaktionsprozessor", der mindestens Zehntausende von Transaktionen pro Sekunde verarbeiten kann – die Kapazität, die man für die Abwicklung des Transaktionsvolumens im Einzelhandel in den USA für erforderlich hält. Sie wollten aber auch einen Transaktionsprozessor entwickeln, der flexibel genug ist, um eine Reihe von Optionen für andere Teile des Systems zu bieten, z. B. Technologien für den Datenschutz und Offline-Zahlungen. Die Software, die sie entwickelt haben, verwendet keine Blockchain, sondern leiht sich Komponenten von Bitcoin. Neha Narula, Direktorin der Digital Currency Initiative am MIT Media Lab, sagt, dass es möglich ist, ein Blockchain-System in seine Bestandteile zu zerlegen und dann einige – aber eben nicht alle – dieser Teile in einem anderen Kontext anzuwenden.

Ein Teil ist zum Beispiel die dezentrale Natur einer Blockchain, die es ermöglicht, ein Kryptowährungssystem zu betreiben, ohne sich auf eine einzelne Person zu verlassen, die es kontrolliert. Das Team entschied, dass ein CBDC diese Eigenschaft nicht benötigt, da es von einer Zentralbank betrieben werden würde. Eine weitere Eigenschaft von Blockchains ist als "Byzantine fault tolerance" (BFT) bekannt, die es dem Netzwerk ermöglicht, auch dann zu funktionieren, wenn Teilnehmer unehrlich handeln. Die Lösung: Das Hamilton-Team beschloss, davon auszugehen, dass es keine böswilligen Teilnehmer geben würde, da das System von einer einzigen Zentralbank betrieben werden würde.