Omikron in Großbritannien bald dominant – was das für Deutschland bedeutet

Die Coronavirus-Variante Omikron ist auf der Überholspur. Die hohe Infektiosität überrascht selbst Experten.

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(Bild: Miguel Alegre / Shutterstock.com)

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In Großbritannien kommen die ersten mit der neuen SARS-CoV-2-Variante "Omikron" infizierten Patienten in den Kliniken an: Zehn Menschen werden laut UK Health Security Agency (UKHSA) in Krankenhäusern behandelt, einer von ihnen starb bereits. Auch Daten aus Dänemark zeigen, dass die neue Variante sich rasend schnell ausbreitet: Die dänischen Experten vom Statens Serum Institut sehen eine tägliche Verdopplung der Fallzahlen und erwarten, dass die Zahl der Fälle auf mehr als 10.000 pro Tag ansteigen werden.

In Norwegen schätzt das dortige Gesundheitsinstitut die Lage bereits als bedrohlich ein und geht davon aus, dass die Variante das Infektionsgeschehen in Kürze dominieren wird. "In einem vorläufigen Szenario schätzen wir, dass es in drei Wochen bis zu 90.000 und 300.000 Fälle pro Tag und 50 bis 200 Einweisungen pro Tag geben könnte, wenn die Maßnahmen die Epidemie nicht deutlich verlangsamen", heißt es in der Risikoabschätzung der Norwegischen Gesundheitsbehörde vom 13.12.2021.

Omikron breitet sich schneller aus, als das bisher von der Delta-Variante bekannt ist – die ja mit ihrer hohen Infektiosität bereits alle vorherigen Varianten überflügelt hat. "Die Verdopplungszeit ist eine Geschwindigkeit, die niemand auf dem Radar hatte und die uns überrascht hat", sagt Dirk Brockmann, Leiter der Gruppe Forschung an komplexen Systemen vom Institut für Theoretische Biologie der Humboldt-Universität Berlin. Das sei ein Faktor drei bis vier bezogen auf die Verdopplungszeiten der Varianten, die bereits bekannt sind.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Die starke Ausbreitung von Omikron hat zwei Hauptursachen. Zum einen ist das Virus selbst offenbar infektiöser als die Delta-Variante. Zum anderen helfen ihm seine Ausweichstrategien gegenüber dem Immunsystem: "Wir haben uns Personen angeschaut, die seit einem halben Jahr geimpft waren", sagt Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie des Universitätsklinikum Frankfurt. "Bei denen sieht man kaum noch Schutz vor einer Infektion, damit findet das Virus wieder mehr Wirte." Die Ärztin sieht in der Klinik sogar Menschen, die bereits ihre Booster-Impfung erhalten und sich dennoch mit Omikron infiziert und auch andere angesteckt haben. Da zudem nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung derzeit überhaupt geboostert seien, sei die Durchimpfung kein Ausbreitungshindernis für Omikron.

Die gute Nachricht ist, dass unsere Immunantwort nicht nur auf die Abwehr der Infektion durch Antikörper angewiesen ist. Experten gehen davon aus, dass die Mutationen, die Omikron durchlaufen hat, keinen wesentlichen Einfluss auf die zweite Stütze des Immunsystems – unsere T-Zell-Immunität – haben. Damit verhindern konsequente Impfungen vermutlich schwere Verläufe.

Die Medikamente, die in den Kliniken zur Verfügung stehen, dünnen jedoch aus. Die üblichen monoklonalen Antikörper, die Schwerkranken helfen, die Infektion zu überwinden, passen großteils nicht auf die Omikron-Variante. Von den derzeit in den Kliniken ankommenden antiviralen Medikamenten ist zwar zumindest eines – die Wirkstoffkombination von Pfizer – auch gegen Omikron wirksam. Aber diese Medikamente sind kein Ersatz für eine Impfung. Sie müssen zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Erkrankung eingenommen werden, haben Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Sie sind für Risikogruppen, die keinen Impfschutz aufbauen können, eine wichtige Hilfe, aber für die allgemeine Bevölkerung keine Alternative.

Allerdings gebe es noch keine systematischen Daten für Deutschland und auch keine belastbaren Daten über die tatsächliche Schwere der Verläufe, betont Ciesek. "Wir haben nur anekdotische Berichte, die relativ jung sind und aus frühen Krankheitsverläufen stammen." Auch die Hospitalisierungsraten aus Dänemark von 0,7 für die Delta-Varianten und 0,8 für Omikron, lassen noch keine Schlüsse auf den Verlauf der anrollenden Omikron-Welle zu. Denn Daten darüber, wie die Infektionen unter den hiesigen Bedingungen verlaufen, erhalten die Forschenden erst aus Patientenverläufen – und bis die vorliegen und zu belastbaren Aussagen ausgewertet sind, wird es noch Wochen und Monate dauern.

Wann in Deutschland Omikron die dominante Variante sein wird, ist derzeit nicht zuverlässig berechenbar. "Das kann sehr schnell passieren, darauf deuten die Ergebnisse aus UK hin", sagt Brockmann. "Zwischen Dezember und April sollen etwa 50 Prozent der britischen Bevölkerung infiziert sein und das ist auf Deutschland übertragbar."

Betrachtet man die Infektionsdynamik, stellt sich die Frage, wie wir dieser Variante begegnen können – und sollten. Bei der Wildtypvariante am Anfang der Pandemie war ein Lockdown in der Lage, die Welle zu brechen. Für ein derart infektiöses Virus wie die Omikron-Variante könnte das nicht reichen, befürchten die Experten. "Man kann die Dynamik nur entschleunigen und das muss das Mindset für die nächsten Monate werden, aber zu stoppen ist es nicht", ist Brockmann überzeugt.

Vor dem Hintergrund sieht Ciesek den Wegfall der Testpflicht für Geboosterte sehr kritisch. "Mein dringender Appell ist, die AHL-Regeln einzuhalten und zu testen." Und auch Brockmann zeigt sich mit Blick auf die nächsten Wochen besorgt, "weil wir es hier mit einer Variante zu tun haben, die die Dynamik übernimmt und auf eine Population mit wenig Schutz trifft. Meine ganz große Hoffnung ist, dass von politischer Seite Notfallpläne auf den Tisch kommen."

(jsc)