Photosynthese in Minifabriken

Forscher haben in winzigen Tröpfchen die Photosynthese nachgebaut. Künftig ­könnten die Minifabriken Kohlendioxid in wertvolle Rohstoffe verwandeln.

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Photosynthese in Minifabriken

(Bild: Tobis J. Erb / MPI)

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Was jeder Baum kann, hat die Menschheit noch immer nicht hingekriegt: Lichtenergie in großem Maßstab in chemische Energie umzuwandeln. Nun ist eine industrielle Photosynthese zumindest greifbarer geworden. Einem Forscherteam um Tobias Erb vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg gelang es zusammen mit französischen Wissenschaftlern, standardisierte Tropfen zu bauen, in denen genau solche Reaktionen ablaufen. Sie haben gerade die Größe einer Pflanzenzelle und ein Volumen von etwa einem Billionstel Liter. "Als Hautimplantate könnten diese Tropfen in Zukunft vielleicht auch Medikamente produzieren und gezielt abgeben", sagt Erb. Und mit den Erkenntnissen aus den künstlichen Zellen ließen sich Pflanzen möglicherweise genetisch so verändern, dass sie gewünschte Stoffe aus CO2 herstellen. Plantagen für Kunststoffe sozusagen.

Völlig künstlich ist die Marburger Photosynthese allerdings noch nicht, denn die Forscher müssen auf Unterstützung durch die Natur zurückgreifen – in Form von Spinat. "Wir kaufen den auf dem Markt in Marburg und jagen ihn bei uns erst durch den Mixer und dann durch die Zentrifuge", erzählt Tobias Erb. "Ein sehr robustes Gemüse." Denn auch nach dieser Tortur bleiben die Chloroplasten, die für die Photosynthese verantwortlich sind, heil. Aus ihnen wiederum extrahieren die Forscher eine bestimmte Sorte von Membranen, die Thylakoide, und speisen sie in einen Mikrofluidchip aus Silizium ein, der sie in standardisierte Wassertröpfchen spritzt. Verteilt in einem Ölbad, kommen sie sich nicht zu nahe und bilden so ideale Reaktionscontainer.

Mit dieser Methode ist erstmals ein Hochdurchsatz-Verfahren möglich, um künstliche Photosynthese systematisch zu erproben. Dutzende Tropfen lassen sich gleichzeitig mit verschiedenen Chemikalien befüllen oder unterschiedlichen Temperaturen aussetzen. So können schnell viele Möglichkeiten durchgespielt werden, unter welchen Bedingungen der Photosynthese-Apparat am besten funktioniert – und welche chemischen Endprodukte sich so herstellen lassen.

TR 7/2020

"Wassertropfen in einem Ölbad klingt erst mal nicht nach Raketenwissenschaft", sagt Katarzyna Adamala von der Universität von Minnesota. Dennoch sei die Marburger Erfindung ein echter Durchbruch. Adamala war daran selber nicht beteiligt, beschäftigt sich aber mit künstlichen Zellen und wurde von "Science" eingeladen, einen Kommentar zu der Marburger Veröffentlichung zu schreiben. "Erb und sein Team verwenden nur noch für den ersten Schritt der Photosynthese einen unveränderten Naturstoff, eben die Thylakoide", erzählt sie. "Zusätzlich dazu haben sie aber eine komplette Biofabrik in den Tropfen integriert."

Die Spinat-Membranen in den Tropfen beinhalten den lichtabsorbierenden Farbstoff Chlorophyll sowie komplexe Moleküle aus mehreren Proteinen, dazu Enzyme und weitere Hilfsproteine. Damit wandeln die Thylakoide unter dem Einfluss von Sonnenlicht den Stoff Adenosindiphosphat (ADP) in das energiereichere Adenosintriphosphat (ATP) um. ATP ist quasi das Benzin der Lebewesen und treibt fast alle Vorgänge in Zellen an. In den Tropfen ist es der Motor für einen künstlichen Stoffwechsel-Kreislauf, der auf 17 Enzymen beruht, die der Mikrofluidchip ebenfalls einspritzt. Solche Biofabriken stellen auch in natürlichen Pflanzen aus CO2 lebenswichtige Stoffe her. Hier stammen die Enzyme allerdings von ganz unterschiedlichen Organismen, um den Prozess effizienter zu machen: aus Bakterien, aus der Acker-Schmalwand, aus einem Pilz, aus dem menschlichen Darm und aus der Leber. Zwei der Enzyme haben die Forscher sogar eigens am Computer und dann im Labor modifiziert. Acht Jahre lang hat Tobias Erb daran gearbeitet.

Eines der bakteriellen Enzyme dient dazu, Kohlendioxid aus der Umgebung zu binden und in den Kreislauf einzuschleusen. Dies tut es 20-mal schneller als das Enzym, das diese Aufgabe natürlicherweise in Pflanzen übernimmt. Nachdem alle 17 Enzyme nacheinander ihre Arbeit getan haben, entsteht als Endprodukt Glykolsäure, eine Fruchtsäure, die zum Beispiel in der Textil- und Kosmetikindustrie eingesetzt wird.

Weil ein an der Kettenreaktion beteiligter Stoff fluoresziert, können die Forscher ihren Ablauf genau verfolgen. "Unser nächstes Ziel ist es nun, den Kreislauf stabiler zu machen", erklärt Tobias Erb. Momentan laufe er durchschnittlich nur zwei Stunden am Stück. "Immer wieder entstehen Kurzschlüsse, wenn ein Enzym bereits an der Reaktion teilnimmt, obwohl es noch gar nicht an der Reihe ist." Neue Zusammensetzungen könnten den Reaktionsablauf noch besser steuern. Um hier verschiedene Möglichkeiten zeitgleich untersuchen zu können, färben die Wissenschaftler die Tropfen unterschiedlich ein.

"Die automatische Plattform erlaubt es auch, die künstliche Photosynthese auf die Produktion größerer Mengen hochzufahren", sagt Adamala. "Einfach indem man viel mehr Reaktionströpfchen produziert." Diese könnten auch modifiziert werden, indem man sie mit einer Membran umgibt, wie bei echten Zellen, oder künstliche Wände einzieht. Adamala kann sich auch vorstellen, die Technologie mit anderen Ansätzen zu kombinieren, die mit einer künstlichen Membran und Sonnenlicht ATP erzeugen konnten. Durch diese Vielfalt an Möglichkeiten könnten die Marburger Tropfen zu universellen, programmierbaren Mikrocontainern werden, mit denen sich verschiedenste Stoffe aus CO2 herstellen lassen.

(bsc)