Politischer Fallout
Die Diskussion über die Zukunft der Kernenergie beherrscht nicht nur das atomkritische Deutschland: Auch in anderen Ländern werden erste Bedenken laut.
- Peter Fairley
Die Diskussion über die Zukunft der Kernenergie beherrscht nicht nur das atomkritische Deutschland: Auch in anderen Ländern werden erste Bedenken laut.
Auch wenn die Strahlungswolke aus dem AKW Fukushima I sich bislang über dem Pazifik ausdünnt: Der GAU hat die Energiepolitik weltweit gehörig aufgewirbelt. Am weitesten vorgewagt hat sich die Bundesregierung mit ihrer Ankündigung, die sieben ältesten AKWs bis zum Sommer stilllegen zu wollen. Aber auch in anderen Ländern dürften auf die Kernenergie unruhige Zeiten zukommen.
In Italien etwa hatte der Energiekonzern Enel eigentlich schon ein Comeback der Kernkraft geplant . Gemeinsam mit Electricité de France will Enel vier neue Reaktoren bauen, die zusammen 25 Prozent des italienischen Strombedarfs decken könnten. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Italiener im Frühjahr in einem Referendum dafür aussprechen und das seit dem Tschernobyl-Desaster 1986 geltende Nuklear-Moratorium aufheben. Die Chancen hierfür sind in den letzten Tagen sicher nicht gestiegen.
Der Vorstandsvorsitzende der indischen Nuclear Power Corporation räumte in einem Interview mit Bloomberg TV ein, dass die Krise in Japan den ehrgeizigen Plänen Indiens „einen großen Dämpfer“ versetzt haben könnte. Die 1,1-Milliarden Menschen zählende Nation will bis 2030 in eine neue Generation von Kernkraftwerken investieren, um den rasant wachsenden Energiebedarf zu decken.
Das andere asiatische Schwergewicht China hatte nach Beginn des GAUs am Montag zunächst bekräftigt, an seiner Planung von 26 neuen Reaktoren festzuhalten. Zwölf von ihnen sind bereits im Bau. Heute kam nun die Kehrtwende: „Wir setzen vorübergehend Genehmigungen für Nuklearprojekte aus, einschließlich derjenigen, deren Vorarbeiten bereits begonnen haben, bis die Nuklearsicherheits- bestimmungen überprüft sind“, hieß es in einer Erklärung des Staatsrats. Sicherheit habe oberste Priorität.
Der französische Reaktorbauer Areva verteidigte unterdes die Konstruktion des Europäischen Druckwasserreaktors EPR. Zwei Reaktoren werden zurzeit in Olkiluoto in Finnland und in Flamanville in Nordfrankreich gebaut. Zwar arbeitet auch der EPR mit einem aktiven Pumpensystem, um eine Notkühlung zu gewährleisten. Er verfüge aber über weitere Notstromgeneratoren, um eine zusätzliche Redundanz zu gewährleisten, betonte ein Areva-Sprecher gegenüber Technology Review. Die Dieseltanks für die Notstromaggregate seien – anders als in Fukushima I – von Bunkern geschützt.
Russland, das neue von Rosatom entwickelte Reaktortypen exportieren will, hält bislang an seinen Plänen fest. Präsident Dimitri Medwedew versicherte gestern dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan, der in Akkuyu geplante Reaktor halte auch dem stärksten Erdbeben stand, wie die Financial Times in einem ihrer Blogs notiert. Der türkische Verband der Elektroingenieure hatte am Montag darauf hingewiesen, dass der Standort des AKW Akkuyu – nordöstlich von Ankara – nur 25 Kilometer von einer seismischen Verwerfung entfernt sei. Premier Erdogan betonte jedoch, das erste Kernkraftwerk in der Türkei werde „ein Modell und ein Beispiel für den Rest der Welt sein“.
Wie sich der Fukushima-GAU auf die US-Kernenergie auswirken könnte, ist noch unklar. In den USA sind insgesamt 28 neue Reaktoren geplant. „Wir werden frühestens Ende der Woche genug wissen, um die politischen Konsequenzen abzuschätzen“, sagt Per Peterson, Kerntechnikingenieur an der University of Berkeley. „Das hängt vor allem davon ab, ob es Strahlentote oder eine weiträumige Kontaminierung der Umgebung gibt.“
Die Obama-Regierung stand einer „Renaissance der Kernenergie“ bislang aufgeschlossen gegenüber. So betonte der stellvertretende Energieminister Daniel Poneman noch einmal die Schlüsselrolle der Kernkraft für den amerikanischen Energiemix: „Wir betreiben 104 Reaktoren, die 20 Prozent des Stroms in unserem Land erzeugen – 70 Prozent der emissionsfreien Energie kommt aus der Kernraft.“ Sie sei eine wichtige Komponente für eine saubere Energieversorgung der Zukunft.
Im US-Kongress teilen diese Einschätzung nicht alle. Senator Joe Lieberman, der Vorsitzende des Homeland Security and Governmental Affairs Committee, ist bereits von seiner langjährigen Unterstützung der Kernenergie abgerückt. Die USA sollten beim Bau neuer Reaktoren „schnell die Bremse ziehen“, bevor der Unfall in Japan analysiert sei, sagte Lieberman dem US-Sender CBS.
Die amerikanische Nuclear Regulatory Commission NRC soll in diesem Jahr über eine von zwei beantragten AKW-Genehmigungen entscheiden. Der Energieversorger Southern Company will im Bundesstaat Georgia dem Kernkraftwerken Vogtle zwei neuen Reaktoren hinzufügen. Die US-Regierung hat dafür eine vorläufige Kreditbürgschaft über 8,3 Milliarden Dollar gegeben, und Southern Company hat bereits mit der Vorbereitung des Baugrundes begonnen.
Die Southern-Reaktoren sollen – wie zwölf weitere geplante – vom Typ Westinghouse AP1000 sein. Edward Markey, der für die Demokratische Partei im US-Repräsentantenhaus sitzt, hat die NRC jedoch gewarnt, den Reaktorbau zu genehmigen. Zwei Ingenieure der Behörde hatten zuvor Zweifel an der Erdbebensicherheit des Beton-Stahl-Containment des AP1000 angemeldet.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Besorgnisse hinsichtlich Erdbeben das Vertrauen in die Westinghouse-Konstruktion erschüttern. Die setzt nämlich auf passive Sicherheitssysteme, um den Reaktor weniger anfällig gegen genau jene Stromausfälle zu machen, die in Fukushima den GAU ausgelöst hatten.
Im AP1000 befindet sich über dem eigentlichen Reaktor ein Wassertank, der diesen – allein von der Schwerkraft getrieben – im Notfall fluten soll. Dieses System könnte aber ausfallen, wenn das Containment-Gebäude durch ein Erdbeben beschädigt würde, fürchten die Ingenieure.
Southern Company erklärte nun, das Management „verfolge die aktuellen Ereignisse in Japan und bleibe entschlossen, die neuen Vogtle-Blöcke gemäß Zeit- und Kostenplan fertigzustellen“. Das Erdbebenrisiko des Standorts sei „viel geringer“ als in Japan, heißt es in der Erklärung – ebenso das Risiko eines Tsunamis, rund 210 Kilometer vom Atlantik landeinwärts und 70 Meter über dem Meeresspiegel.
David Lochbaum, Kerntechnikingenieur und Direktor für Nuklearsicherheit in der Union of Concerned Scientists, kritisiert hingegen die bisherigen Sicherheitschecks der NRC in existierenden Reaktoren. Die Behörde solle genauer untersuchen, wie anfällig die Anlagen für Stromausfälle und ob Feuerlöschsysteme und Notstrom-Batterien womöglich veraltet seien.
Letztere könnten in den meisten amerikanischen AKWs eine Notkühlung nur für vier Stunden aufrechterhalten – halb so lange wie die Batterien in japanischen AKWs. „Wir sind im Vergleich zu Japan schwachbrüstig aufgestellt, und in Japan hat es schon nicht gereicht“, sagt Lochbaum.
Sorgen bereitet ihm auch, dass die US-Kernkraftwerke ihren Atommüll im Wesentlichen nur in Abklingbecken lagern. In 23 Reaktoren befänden die sich – genau wie in den Mark 1-Reaktoren in Fukushima I – unter den Dächern der Reaktorgebäude. Und die seien in Fukushima durch die Wasserstoffexplosionen hinweggefegt worden.
(nbo)