Richtung Service: Die Evolution der Kanban-Methode

Seite 2: Werte und Agenden

Inhaltsverzeichnis

Der Kern der Kanban-Methode hat sich nicht wesentlich verändert. Sie ist immer noch kein
Prozess oder Framework, sondern bedingt einen Prozess, auf den sich die Prinzipien und Praktiken anwenden lassen. So erhält man eine Management-Methode, die als Katalysator für Verbesserungen wirkt und Schwachstellen im Prozess aufzeigt. Dabei sind nicht alle Praktiken gleichzeitig oder in Reihenfolge anzuwenden, sondern man kann sich Stück für Stück vorarbeiten.

"Depth of Kanban" – ein einfacher Test, um zu prüfen, wie "tief" eine Kanban-Implementierung ist (Abb. 2)


Bei dem Verständnis der Kanban-Methode und den daraus resultierenden Konzepten hat sich jedoch viel getan. Letztere helfen, Kanban wesentlich gezielter und effizienter einzusetzen.

Begonnen sei mit den neun Werten von Kanban. Mike Burrows hatte sie 2013 erstmals in seinem
Blog-Post "Introducing Kanban through its values" vorgestellt. Das Feedback war von Beginn an überwältigend und wurde rege auf allen Kanälen diskutiert.

  • Transparenz: Arbeit und Probleme sichtbar machen. Mittels Feedback-Zyklen lassen sich so Situationen reflektieren und Verbesserungen vornehmen.
  • Balance: die Menge der Anforderungen (Demand) und die Leistungsfähigkeit (Capability) in Einklang bringen, etwa mit WiP-Limits (Work in Progress).
  • Kooperation: nur gemeinsam im Team mit Kunden, Lieferanten und Management die Arbeit erledigen und verbessern.
  • Kundenfokus: die wirklichen Bedürfnisse der Kunden verstehen. Was wollen sie genau und warum? Was ist dafür zu tun, damit sie bekommen, was sie wollen?
  • Arbeitsfluss (Flow): sicherstellen, dass Arbeit kontinuierlich und gleichmäßig durch das Kanban-System fließt. Störungen im Arbeitsfluss werden vermieden sowie Kapazitäten und Fähigkeiten des Systems weiterentwickelt.
  • Führung (Leadership): die Initiative ergreifen, wenn die Chance für Verbesserungen gesehen wird.
  • Verständnis: Jegliche Veränderung muss damit beginnen, ein Verständnis über die Situation zu erlangen. Dafür sei die folgende Frage gestellt: "Was wird getan, für wen, welche Unzufriedenheit gibt es dabei, und wie lässt sich die Situation verändern?"
  • Vereinbarung: dauerhafte Veränderung nur durch Vereinbarungen mit allen Beteiligten schaffen.
  • Respekt: vergangene Erfolge und Entscheidungen anerkennen und daran glauben, dass alle bis dato ihr Bestes gegeben haben.

Mit den Werten erklärt Burrows in seinem Buch "Kanban from the Inside" die Kanban-Methode von innen heraus. Genauso wie Simon Sinek in seinem Buch "Start with Why" beschreibt, erklären die Werte erst das Warum und geben einem die Basis, sich über das Wie zum Was zu arbeiten.

"Start with why"– von innen nach außen vorarbeiten (Abb. 3)

Durch die Übersetzung von Burrows' Buchs, "Kanban – Verstehen, einführen, anwenden" hat der Ansatz auch bei akkreditierten Kanban-Trainern für einige Aha-Momente gesorgt.

Das nächste Modell ist eines der wichtigsten der letzten Jahre. Das merkt man allein daran, dass
sich mehrere andere wichtige und hilfreiche Konzepte in ihm wiederfinden. Die Rede ist von "Kanbans drei Agenden" – erstmals 2013 vorgestellt von Anderson in seinem Blog-Artikel "Kanban's 3 Agendas". Es handelt sich dabei um Nachhaltigkeit, Serviceorientierung und Überlebensfähigkeit. Das Konzept der drei Agenden gibt Orientierung, wenn man sich klarmacht, für welches Vorhaben man Kanban einsetzen möchte. Dabei kann sich das Ziel (und damit die Agenda) über die Zeit auch ändern.

Eine nachhaltige Umgebung sorgt dafür, dass Mitarbeiter ohne Überlast und häufige Störungen arbeiten können. Sie ist außerdem die Grundlage dafür, dass gemeinschaftlich und in einem regelmäßigen Rhythmus Arbeit fertiggestellt wird. In der Nachhaltigkeits-Agenda finden sich passend dazu die Werte Transparenz, Balance und Kooperation wieder. Zuerst wird das Arbeitsaufkommen transparent gemacht. Es ist dann in Balance mit der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter beziehungsweise des Teams zu bringen. Anschließend geht es darum, dass gemeinschaftlich als Team geliefert wird und nicht nur einzelne ihre Tickets abarbeiten.

Anders als die Agenda der Nachhaltigkeit richtet die der Serviceorientierung den Blick nach
außen. Man konzentriert sich nicht mehr nur auf ein Team, sondern betrachtet die gesamte Wertschöpfungskette der Dienstleistung. Dafür ist anzuschauen, wo Anforderungen herkommen und wo sie hingehen. In anderen Worten, wie lassen sich Anforderungen so vorbereiten, dass sie sich den Kundenerwartungen entsprechend liefern beziehungsweise von den nachgelagerten Prozessen optimal weiter bearbeiten lassen. Ziel ist dabei, zunehmend größere Anteile der gesamten Wertschöpfungskette mit einzubeziehen. So kommt man in Summe zu einer optimalen Lösung für das Ganze und vermeidet lokale Optimierungen.

Für Serviceorientierung ist es wichtig, die Erwartungen des Kunden und die Bedürfnisse der nachgelagerten Prozesse zu kennen. Anderson hat dafür das Konzept "Fit for Purpose" vorgestellt. Für jeden Dienst innerhalb einer Dienstleistung und sie selbst ist die Frage zu stellen, was den Dienst passend für seinen Zweck macht. Die Antworten sind die "Fitness-Kriterien" des Dienstes. Beispiele dafür wären Geschwindigkeit oder Vorhersagbarkeit. Werden die Kriterien den Kundenerwartungen entsprechend erfüllt, werden Kunden immer wieder zum Dienst zurückkehren.

Die Agenda der Überlebensfähigkeit ist die logische Erweiterung der Agenda zur Serviceorientierung. Indem man regelmäßig fragt, was die Services innerhalb der Organisation "fit for purpose" macht und was die entsprechenden Fitness-Kriterien sind, werden Mechanismen für Veränderungen geschaffen, um auf Änderungen von außen reagieren zu können. Hat das Unternehmen die Mechanismen verinnerlicht und das Bewusstsein, dass Fitness-Kriterien sich ständig verändernde Ziele sind, wird sie zur robusten Organisation, die dauerhaft überlebensfähig ist. Das bedeutet für Organisationen, eine veränderte Kultur vom Management bis zu den einzelnen Mitarbeitern zu etablieren.

Kanbans drei Agenden (Abb. 4)