Roboter im Alltag: Der Freund

Seite 2: Ideale und oberflächliche Freundschaft

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Allerdings sei der Begriff Freundschaft schwer zu fassen. Einer "ideal-normativen" Sicht, die Freundschaft in der Nähe der Liebe verorte, stehe ein eher ökonomistischer Blick auf das Thema gegenüber, der "moderne Freundschaften als Ausdruck eines nutzenmaximierenden oder narzisstischen individuellen Verhaltens in einer zunehmend vermarktlichten Gesellschaft" deute. Es werde deutlich unterschieden zwischen "instrumentellen, eher distanzierten Kontakten und engen, nicht-instrumentellen Freundschaften."

Vermeintlich oberflächliche Freundschaften sind dabei nicht unbedingt weniger wichtig. Es seien nicht die starken Bindungen, die uns als Individuen in die Gesellschaft einbetten, erklärt Heinz Bude (Universität Kassel) an gleicher Stelle, es seien "im Gegenteil die schwachen, unaufwändigen, relativ distanzierten, wenig einschränkenden und von begrenzter Gegenseitigkeit gekennzeichneten Beziehungen, die einen mit Informationen über einen guten Job versorgen, die einen in einem Wohnviertel verankern und die einem das Empfinden vermitteln dazuzugehören." Freundschaft könne eine Antwort auf die Frage nach einer würdigen Lebensführung im Alter sein, so Bude, "wenn die Angehörigen nicht mehr aktivierbar sind und man mit Misstrauen auf die Verhältnisse der Versorgung der Älteren und Alten schaut."

Unter solchen Freunden, die im Alter Unterstützung bieten, könnte es zukünftig mehr und mehr Roboter geben. Wer heute mit Robotern als Spielgefährten aufwächst, könnte daher im Alter mit künstlichen Freunden zu tun haben, die in der Lage sind, persönliche Beziehungen über Jahre und Jahrzehnte zu entwickeln und zu vertiefen.

Derzeit steckt die dafür erforderliche emotionale Intelligenz zwar noch in den Kinderschuhen. Es gibt jedoch ein vielversprechendes Werkzeug, das ihre Entwicklung beschleunigen könnte: der Lövheim Cube zur Modellierung von Emotionen. 2011 von dem Mediziner Hugo Lövheim (Umeå University) vorgestellt, ordnet er acht "Basisemotionen" den Ecken eines Würfels zu, während auf den drei Raumachsen die Konzentrationen der Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin dargestellt werden. Unterschiedliche Mischungen der Botenstoffe erzeugen unterschiedliche Gefühlslagen, denen räumliche Koordinaten zugeordnet werden können. Angst etwa ist verbunden mit erhöhter Dopamin-Ausschüttung und kann sich in Kombination mit Noradrenalin in Wut und zusammen mit Serotonin in Freude verwandeln.

Der Lövheim Cube der Emotionen ordnet Basisemeotionen im dredimensionalen Raum anhand der Konzentrationen der Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin an.

(Bild: Fred the Oyster (CC-BY-SA 4.0))

Jean-Claude Heudin (De Vinci Research Center) hat sich auf dieses Modell gestützt, um das Sprachverhalten eines virtuellen Agenten glaubhafter zu gestalten. Der besteht selbst wiederum aus mehreren Agenten, die unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale darstellen, etwa den Unverschämten, den Witzbold, den Wortkargen, den Harmoniesüchtigen. Sie alle werden bestimmten Koordinaten im Lövheim Cube zugeordnet und schlagen Entgegnungen auf die letzte Äußerung des Gesprächspartners vor.

Welche davon ausgewählt wird, hängt vom aktuellen Zustand des "Emotion Metabolism" ab. Dieser emotionale Stoffwechsel prägt die Laune des Sprachagenten auf drei Ebenen. Am dauerhaftesten auf der Ebene der Persönlichkeit, die durch fünf Dimensionen – Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus – definiert ist. Von mittelfristiger Bedeutung ist die darüber liegende Stimmung, die sich aus dem Zusammenspiel der drei Neurotransmitter ergibt. Und ganz oben lässt das Emotionsmodul bei bestimmten Ereignissen kurzfristig die Konzentration eines oder mehrerer Neurotransmitter ansteigen, die dann innerhalb von zehn Sekunden wieder abklingt.

Bei einem Experiment mit 30 Studenten, die sowohl mit Apples Siri (als neutraler Vergleichsagent) als auch mit dem emotional gesteuerten System Unterhaltungen führen sollten, wurde letzteres von den Teilnehmern besser bewertet. Es gab gleichwohl inhaltlich unpassende Antworten, die Heudin darauf zurückführt, dass die zwölf Persönlichkeitsmerkmale noch nicht den gesamten Raum des Lövheim-Würfels abdeckten.

Das sind immer noch emotionale Kinderschuhe, gewiss, aber sie verfügen über erhebliches Wachstumspotenzial. Insbesondere wenn auch die Dimensionen der Persönlichkeit nicht mehr statisch festgelegt werden, sondern sich über Jahre und Jahrzehnte verändern können, könnten sich tiefe und einzigartige Beziehungen zwischen Menschen und Robotern entwickeln, wirkliche Freundschaften. Mag sein, dass die elektronischen Persönlichkeiten der Roboter uns immer befremdlich, irgendwie künstlich vorkommen werden. Gut möglich, dass der Lövner-Würfel in ihrem Innern seine Ecken und Kanten auch in ihrem Charakter zeigt. Aber die Roboter sollen ja nicht so tun, als wären sie Menschen. Es wird vielleicht gerade das Andersartige sein, das sie interessant macht – und die Freundschaft mit ihnen eines Tages bis ins hohe Alter am Leben erhalten könnte.

Irgendwann mag sich eine Freundschaft auch in Liebe verwandeln. Doch das ist ein anderes Thema, das im nächsten und zugleich letzten Teil der Artikel-Serie "Roboter im Alltag" erörtert wird.

(olb)