Roboter im Alltag: Der Sklave

Seite 2: Befehl und Gehorsam

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Die Ähnlichkeiten von Robotern und Sklaven beschränken sich aber nicht allein aufs Tätigkeitsprofil. Von beiden wird auch erwartet, dass sie genau das tun, was ihnen befohlen wird. "No uncommanded movement" – keine Bewegung, die nicht ausdrücklich befohlen wurde – so lautet eine zentrale Forderung, insbesondere an Roboter zur Telemanipulation. Schließlich möchte niemand, dass ein Roboter bei der Untersuchung einer Sprengfalle plötzlich wahllos irgendwelche Kabel zerschneidet oder im havarierten Kernkraftwerk mit radioaktiven Brennstäben zu jonglieren beginnt.

Auch bei medizinischen Eingriffen wäre es fatal, wenn der Roboterassistent auf die Idee käme, das Skalpell zur Abwechslung mal woanders anzusetzen. Ein Operationssystem wie Da Vinci soll das Zittern der Hände des ihn steuernden Chirurgen herausfiltern, sich ansonsten aber exakt an die Befehle des Menschen halten. "Der Operationsroboter agiert dabei als verlängerter Arm des Chirurgen und macht nur, was dieser ihm vorgibt", erläutert Christian Bach, Leiter der Sektion Robotische Urologie an der Uniklinik der RWTH Aachen. "Genau genommen wird deswegen eine roboter-assistierte Operation gar nicht durch einen Roboter durchgeführt, da alle Steuerbefehle direkt vom Chirurgen kommen und die Maschine keinerlei eigenständige Bewegungen durchführen kann."

Artikelserie "Roboter im Alltag"

Roboter erobern unseren Alltag und werden in der menschlichen Gesellschaft zum sozialen Akteur. Wie sehen mögliche Entwicklungsstufen der Roboter aus?

Selbstständiges Denken ist bei Sklaven generell unerwünscht. Das unterstreicht die fiktive Geschichte der Robotersklavin Kara, für die es fatale Konsequenzen hat, als sie, gerade fertig montiert, aktiviert und getestet, einen Satz beginnt mit: "Ich dachte…". Der 1841 aus New York in die Sklaverei verschleppte Afroamerikaner Solomon Northup, dessen Autobiografie "12 Years a Slave" 2013 verfilmt wurde, musste, um zu überleben, ebenfalls verbergen, dass er lesen und schreiben konnte.

Aber ganz ohne Denken geht es natürlich nicht. Man stelle sich vor, die Aufseher auf einer Baumwollplantage hätten ihren Sklaven die Bewegung jedes einzelnen Gelenks kommandieren müssen: "Strecke den Ellbogen, bis deine Handfläche die Blüte berührt, dann schließe die Finger…". Viele Explosive-Ordnance-Disposal-Roboter (EOD) zur Entschärfung von Sprengsätzen werden indessen noch heute auf ebendiese Weise gesteuert. Wer das komplizierte Verfahren einmal gelernt und es dabei zu einer gewissen Virtuosität gebracht hat, bleibt besser dabei, statt sich durch neue Konzepte verunsichern zu lassen.

Jetzt bloß keine falsche Bewegung! Ein Roboter simuliert die Untersuchung einer Kofferbombe beim Eurathlon.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Doch mehr und mehr setzen sich hier wie auch bei zivilen Rettungsrobotern autonome Funktionen durch, die es ihnen etwa erlauben, die Winkel ihrer Antriebsketten dem jeweiligen Untergrund anzupassen oder die erforderlichen Gelenkstellungen des Arms selbst zu berechnen, nachdem der Bediener das Ziel der Bewegung bestimmt hat. Und zukünftig sollen Roboter bei Rettungseinsätzen die Unfallstelle selbstständig erkunden können und den Operator nur verständigen, wenn sie etwas Wichtiges gefunden haben oder Hilfe brauchen. Vorreiter auf diesem Gebiet sind Planeten-Rover, bei denen die Fernsteuerung allein wegen der langen Signallaufzeiten rasch an ihre Grenzen stößt.

Auch die Kraftprotze aus der Montagehalle, die Roboterarme, die unermüdlich und mit nie nachlassender Präzision die immer gleichen Bewegungsabläufe vollziehen, schwere Lasten heben und Bauteile sub-millimetergenau ablegen können – sie profitieren ebenfalls von einem Mehr an Denkvermögen. Es würde nicht nur ihre Umprogrammierung auf neue Bewegungsabläufe erleichtern, sondern könnte ihnen ganz neue Einsatzfelder erschließen.

Damit Industrieroboter die Fabriken verlassen und sich in Wohnungen und Werkstätten als Serviceroboter nützlich machen können, brauchen sie nicht nur Räder oder Beine. Sie brauchen vor allem Intelligenz, um sich in der fremden, seltsamen und weitgehend unstrukturierten Welt zurechtzufinden und um die Menschen, mit denen sie Seite an Seite arbeiten sollen, nicht zu gefährden. Sie müssen vom Sklaven zum Kollegen werden.

Bedeutet diese Wandlung auch einen sozialen Aufstieg? Michael Zeuske unterstreicht, "dass versklavte Menschen am unteren Ende der Hierarchie einer gegebenen Gruppe, Gemeinschaft oder Gesellschaft in der Geschichte angesiedelt wurden". Maschinen wurden – zumindest in der westlichen Kultur – bislang nicht als Mitglieder der Gesellschaft angesehen, sondern als teils hochkomplexe, aber letztlich seelenlose Werkzeuge ohne sozialen Status. Doch diese Abgrenzung verschwimmt, je anpassungsfähiger diese Maschinen werden, sich flexibel auf Menschen einstellen und mit ihnen kommunizieren können. Sie werden zu sozialen Akteuren. Werden sie zukünftig die unterste Stufe der Hierarchie einnehmen, noch unter den menschlichen Sklaven, von denen es laut Zeuske gegenwärtig mit geschätzten 45 Millionen weltweit so viele gibt wie nie zuvor in der Geschichte? Oder stellen die digital-mechanischen Helfer am Ende die gesellschaftliche Hierarchie selbst infrage?