Schlafforschung: Wie das Klarträumen für jeden Menschen möglich ist

Sogenannte luzide Träume erlauben den Menschen, Träume bewusst wahrzunehmen. Neue Erkenntnisse darüber haben Auswirkungen auf die Hirnforschung.

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(Bild: Bruce Christianson / Unsplash)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Neel V. Patel
Inhaltsverzeichnis

Als ich 19 Jahre alt war – lange bevor ich daran dachte, eine Karriere als Autor für Weltraumthemen anzustreben – träumte ich, ich stünde auf der Marsoberfläche und blickte über eine rostige, mit Felsen übersäte Wüste, die in einer ewigen Dämmerung feststeckte und von deren Trostlosigkeit ich fasziniert war. Nachdem ich scheinbar stundenlang alles in mich aufgesogen hatte, blickte ich nach oben und sah eine Raumstation am Himmel hängen. Ich beschloss, mit Iron-Man-artigen Düsenstiefeln einfach mal dorthin zu fliegen. Dann bin ich leider aufgewacht.

Ich war nicht zufällig in meinem Traum über den Mars gestolpert. Und ich wusste dabei, dass ich die ganze Zeit geschlafen hatte. Im Rahmen eines Klartraums, auch luzides Träumen genannt, entschied ich mich, auf dem roten Planeten vorbeizusehen. Ich beschloss willentlich, mich in der außerirdischen Einsamkeit zu sonnen. Ich beschloss willentlich, herumzufliegen. Und da ich zu dieser Zeit fast jede Nacht luzide Träume hatte, erlebte ich mehrere Variationen dieses Traums – jede seltsamer und besser als die vorherige.

Luzides Träumen ist nicht leicht zu beschreiben, und die Art und Weise, wie es funktioniert, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Aber im Kern bedeutet es, dass man sich des Traumzustands bewusst ist und im Traum eine aktivere Rolle übernehmen kann. Einige meiner eigenen luziden Träume sind wie Leinwände gewesen, auf denen ich mir eine wilde neue Umgebung zurechtzimmerte oder sie mir nach und nach ausdachte.

Andere Klarträume erlaubten es mir, stressige Situationen zu verarbeiten, wie zum Beispiel öffentliche Reden zu halten. In einem anderen Traum, an den ich mich gerne zurückerinnere, spielte ich Karten mit meiner Großmutter, die Jahre zuvor gestorben war. Diese Erfahrung half mir, meine Gefühle ihr gegenüber auf eine Art und Weise zu verstehen, wie ich es früher als 13-Jähriger nie hätte tun können.

Selbst wenn es sich so anfühlt, als wären sie völlig zufällig, haben Träume Macht über die Menschen. Abgesehen davon, dass sie uns eine Pause von den manchmal lästigen physischen und sozialen Grenzen der realen Welt verschaffen, können sie uns helfen, Trauer zu verarbeiten und uns kreativer zu machen. Und wenn ich luzide träumte – ein Zustand, den ich heutzutage leider nur noch selten erreiche –, habe ich festgestellt, dass ich sogar mehr vom Schlaf hatte. Menschen, die in Online-Foren über ihre Erfahrungen mit den Klarträumen berichten, schreiben oft, dass sie dadurch zu neuen musikalischen oder belletristischen Werken inspiriert wurden, dass sie Lösungen für Probleme in der realen Welt gefunden haben oder dass sie einfach unglaublich unterhaltsame Momente erlebten.

"Man kann argumentieren, dass der REM-Schlaf eine Art vernachlässigte Ressource der Menschen ist", sagt Benjamin Baird, Forscher an der University of Wisconsin-Madison, der sich mit der menschlichen Kognition beschäftigt. "Was wäre, wenn wir diesen Zustand nutzen könnten, indem Menschen tatsächlich die Kontrolle über ihre Gedanken und Handlungen haben und entscheiden können, was sie tun wollen? Dieser Zustand könnte nicht nur zur Unterhaltung dienen, sondern zum kreativen Lösen von Problemen genutzt werden." Auch um zu lernen, wie das Gedächtnis funktioniert, könne luzides Träumen wichtig sein – "und für alle möglichen anderen [neurowissenschaftlichen] Fragestellungen".

Baird glaubt, dass eine weitere faszinierende Anwendung für luzides Träumen in der Kunst liegen könnte. "Eine Technik der bildenden Künstler, die ich kennengelernt habe, ist, dass sie in ihrem luziden Traum eine 'Kunstgalerie' erfinden und sich Gemälde ansehen, die in dieser Galerie hängen", sagt er. "Sie wachen dann auf und malen, was sie gesehen haben. Das Gleiche gilt für das Hören neuer Partituren durch Musiker. Es ist, als ob jemand anderes sie erschafft, aber es ist der eigene Verstand."

Eine kleine, aber wachsende Zahl von Wissenschaftlern unter der Leitung von Baird und anderen Schlaflabors in der ganzen Welt hofft, mehr über das luzide Träumen zu erfahren: Wie funktioniert es? Wie wird es ausgelöst wird? Und: Kann man einem Durchschnittsmenschen beibringen, es regelmäßig zu praktizieren? Durch die Untersuchung von Personen, die in der Lage sind, sich an das zu erinnern, was ihnen in ihren Träumen widerfahren ist, wollen diese Forscher ermitteln, welche kognitiven Prozesse im Kopf ablaufen, während die Gehirnaktivität und die physiologischen Vorgänge gemessen und beobachtet werden. Wie nimmt das Gehirn zum Beispiel bestimmte Objekte oder physische Vorgänge wahr, die ausschließlich im Kopf stattfinden? Wie reagiert es auf visuelle Eindrücke, die nicht wirklich vorhanden sind? Wie ahmt es Teile des Bewusstseinszustands nach, ohne dass der Mensch wach ist?

Einige Forscher wie Martin Dresler, kognitiver Neurowissenschaftler an der Radboud-Universität in den Niederlanden, vermuten, dass luzides Träumen sogar zur Bekämpfung klinischer Störungen wie wiederkehrender Alpträume oder bei posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt werden könnte. "Ich denke, es ist ziemlich intuitiv und plausibel, dass, wenn man während eines Alptraums erkennt, dass er nicht real ist, dies dem Alptraum einen großen Teil seiner Gefahr nimmt", sagt er. Man kann sich vielleicht einfach antrainieren, aufzuwachen und den Traum zu beenden – oder die sehr lebendigen Gefühle von Angst und Schrecken überwinden, indem man sich sagt, dass es ein Traum ist.

Warum träumen wir? Das wissen die Wissenschaftler noch immer nicht genau. Freud glaubte, dass Träume unser Unterbewusstsein sind, das uns unsere unterdrückten Wünsche zeigt. Einige Evolutionsbiologen glauben, dass sich das Träumen entwickelt hat, damit wir bedrohliche Szenarien aus dem wirklichen Leben durchspielen und herausfinden können, wie wir angemessen reagieren. Viele Neurowissenschaftler, die das Feuern der Neuronen während des Schlafs untersucht haben, glauben, dass Träume eine Rolle dabei spielen, wie wir Erinnerungen im Hirn kodieren und konsolidieren. Der Harvard-Psychiater Allan Hobson war der Ansicht, dass das Gehirn beim Träumen die verschiedenen Bewusstseinsschichten, die es im Laufe des Tages aufgenommen hat, miteinander in Einklang bringt.