Schwarze Löcher – gibt es sie wirklich und wie können wir das wissen?

Seite 2: Dunkle Sterne und krumme Raumzeiten

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Einstein selbst glaubte jedenfalls nicht an sie. Obwohl der Begriff erst 1960, fünf Jahre nach seinem Tod, geprägt wurde, ist die Idee der dunklen Sterne schon viel älter, älter noch als die Relativitätstheorie selbst, die ihrem heutigen Modell zugrunde liegt. Schon 1784 veröffentlichte der britische Astronom und Kleriker John Michell eine Berechnung, dass ein Objekt mit 500 Sonnendurchmessern und durchgehend der gleichen Dichte wie die Sonne nach Newtons Gravitationsgesetz eine Fluchtgeschwindigkeit an der Oberfläche haben würde, die der Lichtgeschwindigkeit entspräche, womit ihm kein Licht entkommen könnte – ein „Dunkler Stern“, wie Michell dieses hypothetische Objekt nannte.

1915 entwickelte Albert Einstein aus den Postulaten, dass die Lichtgeschwindigkeit in allen Bezugssystemen gleich groß ist (eine durch Messungen bestätigte Beobachtung) und der Gleichwertigkeit von Beschleunigung und Gravitation seine Allgemeine Relativitätstheorie (ART), der zufolge eine Masse Raum und Zeit um sich herum krümmt. Dies wird gerne qualitativ durch ein Gummituch versinnbildlicht, auf welches man ein Gewicht legt, welches das Tuch eindellt. Kein wirklich gelungenes Bild, denn schließlich ist es die echte Schwerkraft, die das Tuch eindellt, und zwar in eine höhere (im Falle des Tuchs die dritte) Dimension, wobei das zweidimensionale Tuch für unseren dreidimensionalen Raum stehen soll.

Lässt man Murmeln über die Oberfläche des Tuchs laufen, rollen sie auf Bahnen um das Gewicht herum, die denen von Keplerorbits ähneln, was aber weniger an dem eingedellten Tuch, sondern vor allem an der Schwerkraft der Erde liegt, die sie in die Vertiefung rollen lässt, die sie aber dank der Fliehkraft auf der gekrümmten Tuchoberfläche meiden können. Das eingedellte Tuch legt außerdem eine vierte Raumdimension in der ART nahe, in die sich der Raum krümmt, aber eine solche Dimension kommt in den Gleichungen der ART gar nicht vor, sondern nur die drei Raumdimensionen und die Zeit.

Verzerrung der Raumgeometrie in der Nähe einer Masse im „Gummituch-Modell“. Licht folgt kürzesten Strecken in der verzerrten Geometrie.

(Bild: Pk0001, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Tatsächlich verändert die Masse die Geometrie der Raumzeit um sich herum. So gilt zum Beispiel, dass der Umfang eines Kreises um eine Masse kleiner ist als 2·π mal seinem Radius, so wie es etwa auf einer Kugeloberfläche der Fall ist. Zum Beispiel misst der Äquator einer Kugel nur viermal den Abstand vom Pol zum Äquator, welcher dem Radius des Äquators entlang der Kugeloberfläche entspricht. Neben der Verzerrung der Raumgeometrie wird auch der Zeitverlauf in der Nähe einer Masse verzerrt: sie läuft umso langsamer, je näher man der Masse kommt („gravitative Zeitdilatation“).

Beide Effekte wurden durch zahlreiche Experimente bestätigt, etwa die Raumkrümmung anhand der Lichtablenkung im Schwerefeld, die die Position von Sternen in der Nähe der Sonne während der Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919 veränderten, das berühmte Experiment von Sir Arthur Eddington. Noch genauere Messungen gelangen mit Radioteleskopen, die exakt vermaßen, wie die Sonne die Position ferner Radioquellen bei ihrem Vorbeiziehen an diesen veränderte.

Den Effekt der Zeitdilatation im Schwerefeld wiesen wiederum Joseph C. Hafele und Richard E. Keating 1971 in einem berühmten Experiment nach, bei dem sie präzise Cäsium-Atomuhren in Linienjets um die Erde schickten und nachwiesen, dass die Uhren im Flugzeug schneller als auf der Erde verbliebene Referenzuhren gelaufen waren.

Schwerkraft ist nun nichts anderes als das Bestreben einer Masse oder eines Photons, den kürzesten Weg zwischen zwei Raumzeitpunkten durch die gekrümmte Raumzeit zu nehmen. Ein solcher Weg wird in der Sprache der Geometrie „Geodäte“ genannt (Schiffe und Flugzeuge bewegen sich bei Fernreisen, wenn möglich, auf Geodäten der Erde, das sind Abschnitte von Großkreisen, deren Mittelpunkt das Erdzentrum ist). Zu erläutern, wie genau vor allem durch die Zeitdilatation ein Steinwurf zu einer Parabel wird, würde hier zu weit führen, ist aber auf der Seite meines Scienceblogs-Kollegen Martin Bäker anschaulich anhand eines Beispiels erklärt.

Einstein formulierte die Allgemeine Relativitätstheorie in Form seiner „Feldgleichungen“, die die räumliche Verteilung von Masse / Energie (aber auch Druck oder dem Fluss von Masse / Energie, sowie weiteren Größen) in Beziehung zur resultierenden Raumzeitkrümmung setzen. Die Lösung der Gleichungen in geschlossener Form ist nur für bestimmte einfache Topologien möglich, und eine der einfachsten ist eine kugel- oder punktförmige Massenverteilung. Der Physiker Karl Schwarzschild fand schon wenige Monate nachdem Einstein seine Feldgleichungen veröffentlicht hatte, eine Lösung für diesen Fall. Und die besagte unter anderem, dass das Licht einer beliebigen (nicht rotierenden, nicht geladenen) Masse M, die auf einen Radius von weniger als rs = 2GM/c² (ihrem „Schwarzschildradius“) komprimiert ist, innerhalb dieses Radius nicht mehr entkommen kann – der Ereignishorizont für ein nichtrotierendes, nicht geladenes Schwarzes Loch. G ist hierbei die Gravitationskonstante (6,6743·10-11 m³/(kg·s²)).

Mit der Masse M in Sonnenmassen MSonne wird die Gleichung einfacher: rs = 2,95 km · M[MSonne]. Ein Objekt von drei Sonnenmassen hat also zum Beispiel einen Schwarzschildradius von knapp 9 km. Auch die Erde hat einen Schwarzschildradius, er beträgt 0,9 cm. Allerdings ist es schwer, die Erde in eine Kugel von 0,9 cm Radius zu quetschen. Wenn man dies allerdings schafft (oder wenn die Schwerkraft bei einem hinreichend schweren Stern dies erledigt), dann schrumpft die Masse gemäß der Schwarzschild-Lösung zu einem Punkt, der Singularität zusammen.

Bei rotierenden Schwarzen Löchern wird die Raumzeit insgesamt mitgezogen (auch dies wurde im Experiment im Schwerefeld der Erde nachgewiesen), deshalb kann man ein rotierendes Schwarzes Loch enger umkreisen und der Ereignishorizont ist hier nicht mit dem Schwarzschildradius identisch. Roy Kerr fand die Lösung für rotierende Schwarze Löcher 1963: hier ist die Singularität kein Punkt, sondern ein unendlich dünner Ring, der mit zunehmender Rotation wächst, während der Ereignishorizont schrumpft. Bei maximaler Rotation berührt die Ringsingularität den Ereignishorizont beim halben Schwarzschildradius (rg = GM/c², auch „Gravitationsradius“ genannt), und die Raumzeit rotiert am Ereignishorizont mit Lichtgeschwindigkeit. Bei kleiner Rotation geht die Lösung in die von Schwarzschild über mit einer zum Punkt schrumpfenden Ringsingularität und einem Ereignishorizont bei rs = 2 rg.

Neutronensterne liegen mit ihren Radien schon in der Größenordnung ihres Schwarzschildradius. Aber – woher weiß man überhaupt, wie groß ein Neutronenstern ist? Diese Objekte sind viel zu klein, als dass man ihren Durchmesser direkt beobachten könnte, und so muss man ihre Radien indirekt bestimmen. Eine Möglichkeit sind Pulsare, bei denen es sich um rotierende Neutronensterne handelt, deren gegen die Rotationsachse verkipptes Magnetfeld bei jeder Umdrehung einen Radiopuls erzeugt. Aus der Pulsfrequenz kann man somit auf die Rotationsgeschwindigkeit schließen. Es lässt sich leicht ausrechnen, bei welcher Rotationsrate die Fliehkraft einen Neutronenstern zerreißen würde. Der am schnellsten rotierende Pulsar dreht sich 716 Mal pro Sekunde; wenn er 2 Sonnenmassen oder weniger hat, darf er demgemäß nicht mehr als 17 km Radius haben – dies ist als Obergrenze zu verstehen, er kann deutlich kleiner sein, nur keinesfalls größer.

Schwieriger und nur für Neutronensterne mit bekannten Entfernungen möglich – entweder für solche, die nahe genug sind, dass man ihre Parallaxe messen kann oder für solche, die sich in Sternhaufen bekannter Entfernung befinden – ist der Rückschluss auf ihren Durchmesser aus ihrer thermischen Röntgenleuchtkraft. Diese Leuchtkraft hängt, wie die aller Temperaturstrahler, von der Temperatur und der Größe ihrer Oberfläche ab. So bestimmt man auch die Durchmesser von Sternen, allerdings anhand ihrer Leuchtkraft im Sichtbaren und Infraroten. Die Temperatur lässt sich aus derjenigen Röntgenfrequenz bestimmen, bei der das Maximum der Ausstrahlung liegt. Aus der Entfernung und der beobachteten Helligkeit kann man auf die Leuchtkraft schließen und zusammen mit der Temperatur auf die Oberfläche und damit den Radius. Dabei muss jedoch im Unterschied zu Fixsternen die Zeitdilatation berücksichtigt werden, die sich auf die abgestrahlte Frequenz und Leistung auswirkt, und dafür braucht man die Masse. Bisher gelang es bei einem nahen Neutronenstern, RX J1856-4754, mit dieser Methode den Radius zu bestimmen, aber seine Masse ist unbekannt, da er keinen Stern umkreist. Die Masse von Neutronensternen kann man bei solchen im Orbit um Sterne bekannter Massen bestimmen, die sich wiederum aus den Eigenschaften des umkreisten Sterns ermitteln lässt. So bestimmte Pulsarmassen liegen alle zwischen 1,2 und 2,7 Sonnenmassen.

Für RX J1856-4754 kam man auf einen Radius von 11,4±1,1 km, wenn der Neutronenstern mit 1,4 Sonnenmassen an der unteren Massengrenze liegt, und auf 14,3±1 km, falls er an der oberen Grenze liegt. Für 8 Pulsare in Kugelsternhaufen fand man Durchmesser zwischen 9,5 und 13,7 km.

Größe eines Neutronensterns im Vergleich zur Stadt Hannover.

(Bild: NASA's Goddard Space Flight Center, Goddard Media Studios, gemeinfrei)

Schließlich kann man für Neutronensterne, auf denen einfallendes Material von einem Begleitstern nach Verdichtung und Aufheizung thermonuklear zündet und eine expandierende leuchtende Hülle (Photosphäre) erzeugt („Photospheric Radius Extension Burst“) den Radius bestimmen. Die maximale Helligkeit wird bei größter Oberfläche erzeugt, die erreicht wird, wenn der Strahlungsdruck der Explosion sich im Gleichgewicht mit der Anziehungskraft des Neutronensterns befindet. Hier geht die Masse des Neutronensterns schon mit ein. Aus der Leuchtkraft der Photosphäre konnten Feyal Özel und Paulo Freire für Neutronensterne von 1,5 Sonnenmassen einen Radius zwischen 9,9 und 11,2 km bestimmen. Drei sehr unterschiedliche Messmethoden bestätigen also, dass Neutronensterne wirklich sehr kompakte Objekte sind. Ihre Dichte ist demnach ein bis zweimal so hoch wie die von Atomkernen (ca. 300 Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter), was somit ein Beleg dafür ist, dass sie tatsächlich aus verdichteten Kernteilchen bestehen.

Neutronensterne haben also nicht viel Luft nach unten. Aber wer sagt, dass die TOV-Grenze die letztmögliche ist? Was wissen wir schon über die Physik bei Drücken, wie sie innerhalb von Neutronensternen herrschen müssen?

Tatsächlich wird spekuliert, ob es nicht eine weitere Stufe der Stabilität geben könnte: Quarksterne. In Quarksternen könnten die Neutronen ihre Identität verlieren, aus drei Quarks zu bestehen (einem Up- und zwei Downquarks) und ein Plasma aus freien Quarks und den sie verbindenden Austauschteilchen, den Gluonen bilden, so wie Atomkerne beim Übergang zum Neutronenstern ihre Identität als chemische Elemente verlieren und sich zu einem strukturlosen Fluid aus Neutronen formen. Bei besonders hohen Drücken könnten sich Up- und Down-Quarks zum Teil in Strange-Quarks umwandeln, die noch dichter gepackt werden können: solche hypothetischen Objekte werden „Strange-Stars“ oder „seltsame Sterne“ genannt. Über ein solches Quark-Gluonen-Plasma wissen wir zu wenig, um definitive Aussagen über die Größe und Dichte möglicher Quarksterne machen zu können, da wir es nicht im Labor oder Beschleuniger erzeugen können – zumindest nicht unter Temperaturbedingungen vergleichbar mit denen in einem Quarkstern.

Sie wären jedenfalls dichter als Neutronensterne, also bei gleicher Masse kleiner, und vermutlich von einer Hülle aus Neutronen und ganz außen Atomen umgeben, so dass sie äußerlich Neutronensternen gleichen würden. Die Suche nach überdichten Neutronensternen ist derzeit im Gange. Als möglicher Kandidat galt der Pulsar XTE J1739-285 mit einer zunächst veröffentlichten Rotationsfrequenz von 1122 Umdrehungen pro Sekunde, die jedoch von anderen Forschern nicht verifiziert werden konnte. Einige andere Kandidaten werden noch untersucht. Keiner konnte bisher eindeutig von gewöhnlichen Neutronensternen unterschieden werden.

Aber auch Quarksterne sollen eine obere Massengrenze von 3,2 Sonnenmassen haben. Am Ende ist der Kollaps bei weiterer Massenzunahme nämlich unvermeidlich: wie weiter oben schon angeklungen verursacht nicht nur Masse bzw. das Masseäquivalent der Energie nach E=mc² Schwerkraft, sondern neben anderen Größen auch der Druck. Wenn man etwa ein Gas in einem Kolben komprimiert, leistet man Kompressionsarbeit, die dann im Druck steckt; der wieder Arbeit leisten kann, wenn man ihn den Kolben gegen einen Widerstand hinausschieben lässt. Energie ist physikalisch definiert als die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten, also ist im Druck des Gases Energie gespeichert, und Energie hat ein Masseäquivalent, das die Raumzeitkrümmung beeinflusst und Schwerkraft erzeugt. Bei den hohen Drücken in einem Neutronenstern beginnt der Einfluss der Eigenschwerkraft des Drucks allmählich eine Rolle zu spielen.

Packt man weiter Materie auf den Neutronenstern, so nimmt der Druck einerseits durch das zusätzliche Gewicht der Masse zu, zum Zweiten durch die zusätzliche Gravitation der Masse und zum Dritten durch die eigene Gravitationswirkung des Drucks, was wiederum den Druck erhöht. Man kann ausrechnen, dass der Gewichtsdruck einer Masse, die auf 9/8 ihres Schwarzschildradius komprimiert wird, durch diese Selbstverstärkung in ihrem Zentrum unendlich groß wird, und dann spielt es keine Rolle mehr, woraus die Masse besteht und wie groß die in ihr wirksamen Teilchenkräfte sind, dann gibt es kein Halten mehr.

Kann denn die Ausdehnung der Masse nicht stets größer bleiben als 9/8 Schwarzschildradien? Nein, denn der Schwarzschildradius wächst viel schneller mit der Masse als der Radius. Die Masse einer Kugel wächst mit dem Volumen, und dieses mit der dritten Potenz des Radius. Eine Kugel mit dreifachem Radius hat das 2³ = 8-fache Volumen und somit mindestens die achtfache Masse (wenn die Dichte durch Kompression steigt, sogar noch mehr). Ein Neutronen- oder „Irgendwas“-Stern von 16 Sonnenmassen hätte also höchstens den doppelten Radius eines Neutronensterns von 2 Sonnenmassen, der mit obigem bei höchstens rund 14 km liegt: 28 km. Der Schwarzschildradius nimmt hingegen linear mit der Masse zu: 16 Sonnenmassen haben einen Schwarzschildradius von 16·2,95 km = 47,2 km, also muss ein solches Objekt ein Schwarzes Loch sein (wenn es nicht schnell rotiert – dann ist aber spätestens bei ~30 Sonnenmassen Schicht).

Irgendwann braucht die Dichte der eingeschlossenen Masse dann nicht einmal mehr dramatisch hoch zu sein: Eines der massereichsten Schwarzen Löcher, das wir kennen, liegt im Zentrum der Galaxie Messier 87 und es wurde zu 6,5 Milliarden Sonnenmassen bestimmt. Diese haben einen Schwarzschildradius von 19 Milliarden Kilometern (knapp 130 Astronomische Einheiten, rund 4x der Radius der Neptunbahn). Dividiert man die 6,5 Milliarden Sonnenmassen durch das Volumen einer Kugel dieses Schwarzschildradius, kommt man auf eine mittlere Dichte von nur 500 Gramm pro Kubikmeter – die Dichte von Luft beträgt bei Normaldruck 1,2 kg/m³. Würde man also ein kugelförmiges Volumen von 130 AE Radius mit Luft bei halbem Normaldruck anfüllen, hätte man ein Schwarzes Loch erzeugt!