Schwarze Löcher – gibt es sie wirklich und wie können wir das wissen?

Seite 4: Alternativen?

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Sind damit Schwarze Löcher endgültig bewiesen? Nein, denn in der Naturwissenschaft gibt es keine endgültigen Beweise. Beobachtungen können nur Datenpunkte liefern, die entweder eine Theorie stützen oder ihr widersprechen. Im letzteren Fall ist die Theorie dann offensichtlich falsch, aber noch so viele passende Datenpunkte können nicht ausschließen, dass irgendwann ein Datenpunkt gefunden wird, den die Theorie nicht erklären kann – wie etwa die über 200 Jahre lang etablierte Gravitationstheorie von Newton nicht den Wert der Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne erklären konnte.

Kopfschmerzen macht den Physikern vor allem das, was die Allgemeine Relativitätstheorie für die hinter dem Ereignishorizont verborgene Masse vorhersagt, nämlich dass sie zu einem Punkt, einer Singularität (oder einem unendlich dünnen Ring, einer Ringsingularität) schrumpfen soll. Damit steht sie im Konflikt mit der hervorragend verifizierten Quantentheorie, die zum Beispiel besagt dass bei beliebig feiner Einschränkung des Orts eines Teilchens dessen Impuls unendlich groß wird. Außerdem scheinen Schwarze Löcher Information zu vernichten („Informationsparadoxon“), denn sie haben nur drei Eigenschaften, Masse, Drehimpuls und Ladung, alle anderen Details scheinen beim Kollaps unwiederbringlich verloren zu gehen, während Information in der Quantentheorie als Erhaltungsgröße gilt. Daher sucht man nach einer widerspruchsfreien Vereinheitlichung beider Theorien, einer Quantengravitationstheorie, bisher mit mäßigem Erfolg.

Was als Alternative nicht funktioniert, ist die Annahme, dass Materie einfach bei weiterem Schrumpfen wieder einen stabilen Zustand erreicht. Wir haben gesehen, dass der Ereignishorizont ihr bei zunehmender Masse über den Kopf wachsen muss, sogar wenn sie dünn ist wie Luft. Die alternativen Theorien sind daher um einiges exotischer. Sie müssen aber auf bekannten oder in der Entwicklung befindlichen Theorien aufsetzen und überprüfbare Vorhersagen machen.

Zu den letzteren gehören die Schleifen-Quantengravitation und die Stringtheorie. In der Schleifen-Quantengravitation ist der Raum gequantelt, das heißt er besteht gewissermaßen aus „Pixeln“. In ihr gibt es demnach keine Punkte und keine unendliche Dichte. Damit wäre der Quantentheorie bereits Genüge getan und Schwarze Löcher würden makroskopisch genau so funktionieren, wie gedacht; nur das Informationsparadoxon bliebe offen (bzw. müsste anders gelöst werden).

Im Rahmen der supersymmetrischen Stringtheorie wurden als Alternative zu Schwarzen Löchern die „ Fuzzballs“ (auch Stringsterne genannt) vorgeschlagen: diese sollen aus einer Wolke von Strings bestehen, in der Stringtheorie die elementaren Bausteine der Materie, die man sich als winzig kleine schwingende Fäden und Ringe veranschaulichen kann, die noch 10.000 mal kleiner im Vergleich zu einem Proton sind, als das Proton im Vergleich zu einem Menschen ist. Ein Tropfen Fuzzball-Materie würde 20 Millionen Tonnen Masse beinhalten. Diese Materie würde den Ereignishorizont komplett ausfüllen, es gäbe keine Singularität. Je massereicher ein Fuzzball würde, desto geringer würde seine Dichte werden, weil Strings sich zu größeren Strings vereinigen würden was zum linearen Wachstum des Schwarzschildradius mit der Masse passen würde.

Nach außen wären Fuzzballs aber gewöhnliche Schwarze Löcher mit Ereignishorizont, insofern würden sie zu allen Beobachtungen passen und eine Unterscheidung von den Schwarzen Löchern der Relativitätstheorie wäre eher akademischer Natur. Das eigentliche Problem an der Hypothese ist, dass weder Supersymmetrie noch irgendein Aspekt der Stringtheorie bisher durch irgendein Experiment überzeugend belegt werden konnten.

Echte Alternativen zu Schwarzen Löchern bilden Gravasterne und Holosterne. Beide sind im Wesentlichen „hohle“ Sterne, deren Oberfläche knapp vor dem Ereignishorizont zur Ruhe gekommen ist, so dass er nicht entsteht (was das Informationsparadoxon vermeidet – die Information kann auf der Oberfläche überdauern). Unter einer dünnen Schale aus Materie, die so dicht ist, dass in ihr die Schallgeschwindigkeit so groß wie die Lichtgeschwindigkeit ist, soll bei einem „Gravastern“ (ein Kunstwort aus Gravitation, Vakuum und Stern) eine Vakuum-Blase aus Dunkler Energie (einem „de-Sitter-Raum“) bestehen, die unter dem Druck der Masse entsteht: hier wirkt durch eine hohe Vakuumenergie eine abstoßende Gravitation, die die Materieschale am weiteren Kollaps hindert.

„Holosterne“ (Kurzwort für holographische Sterne) sind eine kugelsymmetrische Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen und sollen eine unendlich dünne, masselose Membran dicht außerhalb des Ereignishorizonts bilden, der also hier ebenfalls nicht gegeben ist. Diese soll unter einem entlang der Oberfläche wirkenden hohen Druck stehen, analog der Oberflächenspannung eines Tropfens oder einer Seifenblase. Die Gravitation entsteht durch ebendiesen Druck. Im Zentrum des Holosterns soll sich eine negative Punktmasse befinden. Das Innere soll einen negativen Druck aufweisen, der etwa von unter radialer Spannung stehenden Strings geliefert werden könnte.

Negative Massen kennt die Physik allerdings aus der Beobachtung nicht, selbst wenn die Allgemeine Relativitätstheorie mit ihnen rechnen lässt. Holosterne und Gravasterne sind höchst hypothetische Gebilde, und für die in der Praxis viel relevanteren Fälle rotierender Objekte gibt es noch keine entsprechenden Lösungen. Exakt kugelförmig wie die bestehenden Lösungen sind würden sie bei ihrer Entstehung keine Gravitationswellen aussenden, wie sie bei der Verschmelzung Schwarzer Löcher beobachtet werden (Ausklingphase).

Als letzte Alternativen seien noch Bosonen- und Fermionensterne genannt. Bosonen sind Teilchen mit ganzzahligem Spin, Fermionen solche mit halbzahligem. Zu den Bosonen zählen die Austauschteilchen (Photon, W- und Z-Teilchen, Gluonen und das Higgs-Teilchen). Zu den Fermionen gehören die Quarks, Elektronen und Neutrinos. Für Fermionen verbietet das Pauli-Prinzip, dass gleiche Teilchen den gleichen Raum im gleichen Quantenzustand einnehmen (was bei Weißen Zwergen und Neutronensternen den als „Entartungsdruck“ bezeichneten Gegendruck gegen die Gravitation liefert). Für Bosonen gilt das Pauli-Prinzip nicht, sie können den gleichen Raum im Grundzustand einnehmen und werden dann ununterscheidbar; dieser Zustand liegt in einem Bose-Einstein-Kondensat vor.

Bosonensterne würden aus einem Gas aus stabilen Bosonen bestehen, zum Beispiel dem hypothetischen Axion, das ein Kandidatenteilchen für die Dunkle Materie ist. Bosonensterne könnten aus im Zentrum von Galaxien angesammelten Bosonen entstehen und immense Massen annehmen, ohne zu kollabieren und ohne einen Ereignishorizont zu entwickeln, wären völlig transparent und unsichtbar, könnten aber wie ein Schwarzes Loch Licht ablenken und einen Schatten erzeugen wie beim Schwarzen Loch in M87. In einer Arbeit vom August 2020 haben Hector Olivares et al. Bosonensternmodelle für das Objekt in M87 simuliert und fanden, dass ihr Schatten deutlich kleiner wäre, womit sie diese als Erklärung ausschließen.

Fermionensterne könnten schließlich aus Neutrinos oder dem hypothetischen supersymmetrischen Neutralino (einem anderen Kandidatenteilchen der Dunklen Materie) bestehen und durch den Entartungsdruck dieser Teilchen stabilisiert werden. Wie groß sie sein könnten, hängt von der Masse der eingeschlossenen Fermionen ab. Das Problem ist, keine Teilchenmasse kann den gesamten Bereich stellarer Schwarzer Löcher von drei Sonnenmassen bis zu supermassereichen von Milliarden Sonnenmassen abdecken, weil hier wieder der linear wachsende Ereignishorizont zuschlägt.

Es gibt also zwar eine ganze Reihe von alternativen Modellen, aber keines, das man vorbehaltlos ins Herz schließen möchte. So bleiben Schwarze Löcher die beste Erklärung für kompakte Objekte mit mehr als fünf Sonnenmassen. Und das ist in der Wissenschaft der Goldstandard. Man ist immer nur so schlau, bis man es besser weiß.

Quellen

· James M. Lattimer, “Neutron Star Mass and Radius Measurements”, Universe 2019, 5(7), 159, 28. Juni 2019.

· Feryal Özel, Paulo Freire, “Masses, Radii and Equation of State of Neutron Stars”, Annual Review of Astronomy and Astrophysics, Vol. 54:401-440, September 2016.

· Leor Barack, Vitor Cardoso et al., “Black holes, gravitational waves and fundamental physics: a roadmap”, Classical and Quantum Gravity, Volume 36, Number 14, 19.J uni 2019.

· Ramesh Narayan, Jeffrey E. McClintock, “Observational Evidence for Black Holes”, arXiv:1312.6698, 23. Dezember 2013.

· Ramesh Narayan, Jeffrey E. McClintock, “Advection-Dominated Accretion and the Black Hole Event Horizon”, New Astronomy Reviews, Volume 51, Issues 10–12, Mai 2008.

· LIGO Scientific and VIRGO Collaborations, “The basic physics of the binary black hole merger GW150914”, Annalen der Physik, 529, No. 1-2, Januar 2017.

· “GW150914 Factsheet”, Gravitational Wave Open Science Center.

· Hector Olivares, Ziri Younsi, Christian Fromm et al., “How to tell an accreting boson star from a black hole”, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Volume 497, Issue 1, September 2020.

· Lumen Astronomy, “Evidence for Black Holes”

· Martin Bäker, „Warum Schwarze Löcher unausweichlich sind“, Hier wohnen Drachen, Scienceblogs, 31. Dezember 2018.

· Andreas Müller, “Gravastern”, Spektrum Astro-Lexikon.

· Andreas Müller, “Holostern”, Spektrum Astro-Lexikon.

· Andreas Müller, “Bosonenstern”, Spektrum Astro-Lexikon.

· Andreas Müller, “Fermionenstern”, Spektrum Astro-Lexikon.

· „Kompakte Kosmische Objekte“, Abenteuer Universum.

· Heino Falcke mit Jörg Römer, "Licht im Dunkeln - Schwarze Löcher, das Universum und wir", Klett-Cotta, Stuttgart, 2020, ISBN 978-3-608-98355-5 (Print) / 978-3-608-12024-0 (eBook)

(mho)