Staatliche IT: Warum es so schwer ist, gute Systeme zu entwickeln

Seite 2: Impfungen, Arbeitslosengeld und ein Crashtest

Inhaltsverzeichnis

Der US Digital Service hat schließlich ein Testaufzeichnungssystem namens SimpleReport erstellt, von dem ich gehört habe, dass es ziemlich gut funktioniert. Doch wir haben bis heute keine Ahnung, wie viele Antigen-Tests in den USA durchgeführt wurden. Nichtmals eine grobe Schätzung. Dabei scheint das doch wie etwas, das man lieber nachverfolgen sollte.

Dragoman: Als Philadelphia in den Lockdown ging, arbeiteten wir mit einem unabhängigen Stadtrat zusammen, der mit den Einwohnern und den Geschäften über Zahlungspläne bei lang überfälligen Rechnungen verhandelte. Das ist ein sehr wesentlicher Dienst – wenn Menschen keine Anhörung bekommen, könnten sie Versorgungen wie Strom verlieren, ihre Arbeitslizenz oder ihr Zuhause. Wir haben jedem einen Laptop besorgt, doch die bestehenden Prozesse beruhten auf papierbasierten Workflows und persönlichen Interaktionen. Es gibt einen physischen Ordner mit all den Bescheiden, Informationen und der Kommunikation zu einer Petition und einen physischen Papierkalender, den die Mitarbeiter zur Terminierung nutzen.

Die einzige, schon vorher existierende Technik war ein System, das Anerkennungs- und Beschlussbescheide an Einwohner verschickte. Um das mit Excel- und Word-Dateien nachzubilden, mussten Leute dafür auf Sharepoint trainiert werden. Erster Schritt: Sharepoint öffnen. Zweiter Schritt: Dokument kreieren. Als das Büro wieder eröffnete, waren manche der Fälle vollständig auf Papier dokumentiert und andere komplett online. Wir mussten den Workflow völlig neugestalten, damit die Belegschaft arbeiten konnte.

Harrell: Die meisten Arbeitslosensysteme wurden mit der Annahme errichtet, dass es einen starken Arbeitsmarkt gibt und Leute, die sich für Leistungen bewerben, wahrscheinlich versuchen, das System auszutricksen. Als es in den USA dann plötzlich eine Arbeitslosigkeit von 25 Prozent gab, konnte das System sich nicht einfach dahingehend ändern, Menschen an ihr Geld kommen zu lassen.

Hwang: Wir haben kürzlich mit einem Land an deren neuem Gesetz für Krankenurlaub und Elternzeit gearbeitet. Um zu gewährleisten, dass Leistungsbezieher auch wirklich darauf angewiesen sind, sollte ihre Bedürftigkeit wöchentlich neu zertifiziert werden. Wir mussten den Gesetzgebern erst mal verständlich machen, dass dies einfach Arbeitszeit für Sachbearbeiter bedeutet und auch, dass Familien mit Säuglingen jede Woche nachweisen müssten, dass sie noch immer ein Neugeborenes hatten.

Wir haben sie gefragt, was sie spezifisch versuchen zu verhindern und haben sie überzeugt, die Sprachregelung so zu verändern, dass stärker eingegrenzt wird, wer sich jedes Mal aufs Neue zertifizieren lassen muss. Das ist alles sehr komplex. Manchmal muss man das feiern, wenn ein Punkt im Entwurf einer Verordnung geändert wird.

Madrigal: Man kann sich nicht einfach darauf verlassen, dass Technik schon den Zugang zu staatlichen Leistungen verbessern wird. Es wird nicht funktionieren, wenn es Bestimmungen gibt, die dafür gemacht sind, den Zugang zu Hilfsleistungen zu erschweren. Aktuell gibt es Druck, diese Art der Richtlinien zu verändern, aber erst mal müssen wir ehrlich sein, wofür die gemacht sind.

Hwang: Senator Ron Wyden hat kürzlich einen Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Arbeitslosengeldes vorgelegt – allein das zu lesen war ziemlich toll. Es ist ein wirklich technisch versiertes Gesetz. Da wird tatsächlich darüber nachgedacht, mehr technische Kapazitäten innerhalb der Agentur aufzubauen und den Verwaltungsaufwand zu minimieren. Bislang wurde zu wenig investiert, um sich dieser modernen Umgebung anzupassen. Ohne interne technische Kenntnisse wird es weiterhin fehlgeschlagene Versuche und gebrochene Versprechen geben.

Hon: Man darf sich das nicht so vorstellen von wegen "wir bauen während der Pandemie mal Computersysteme". Es geht darum, den Regierungsauftrag während Corona zu erfüllen und das kann man nicht ohne Technologie. Corona ist so eine Art Crashtest für unsere Regierungssysteme. Um diese Fehler tatsächlich zu reparieren und dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder passieren, müssen Techniker Teil der betroffenen Abteilung sein– nicht nur, um dafür zu sorgen, dass die Drucker laufen, sondern auch für IT-Projekte.

Dragoman: Wenn man Probleme mit der Lieferung von Impfstoffen beheben will, muss man sich Standorte ansehen und mit den dort Arbeitenden und denen, die geimpft werden, sprechen. Man muss sich die Haftnotizen an den Computern anschauen, all die einseitigen Dokumente, die Millionen Mal kopiert wurden, um das Programm zu erklären. All die Workarounds, die sich diese brillanten Menschen schon überlegt haben, damit sie ihren Job machen können. Dann sollte man in die Leute investieren, die diese ganzen Lehren auch implementieren können.

Wenn es Regierungen wichtig ist, inklusiv zu sein, sollten sie auch aufpassen, wie Regierungsinformationen kommuniziert werden. Es geht nicht nur um verschiedene Sprachen, sondern auch um die Anerkennung dessen, was manche vielleicht gerade durchleben. Wenn jemand in einer Krise steckt, dann können sie dem zwar ein fünfseitiges Dokument reichen, aber das wird möglicherweise nicht gelesen oder verstanden.

Harrell: Es ist jetzt wichtiger denn je alles Mögliche zu tun, um die Bedürfnisse der Nutzer zu verstehen. Und ihnen gut zu dienen.

Die Originalversion dieses Beitrags wurde im Rahmen des "Pandemic Technology Projects" von der Rockefeller Foundation unterstützt.

(bsc)