Tiefsee: Unter dem Horizont

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Gleichzeitig aber dürfte die neue Ära der Tiefseeforschung die nächste Welle der Rohstoffsuche einläuten. Denn die Tiefsee weckt immense Begehrlichkeiten: Schon heute ist klar, dass dort große Vorkommen an wertvollen Rohstoffen wie Mineralien, Edelmetalle und sogenannte seltene Erden liegen. Ab 2019 will etwa die kanadische Firma Nautilus Minerals vor Papua-Neuguinea Kupfer, Gold und Silber abbauen. Mit der Vermessung des Meeresbodens wird immer deutlicher, wie groß der Schatz wirklich ist.

Die Forscher sind sich dieser Zweischneidigkeit bewusst. Sie hoffen auf genug Zeit, um die ökologischen Schätze zu sichten, bevor der Abbau von mineralischen Rohstoffen beginnt. "Um die Risiken des Tiefsee-Bergbaus zu zeigen und sicherstellen zu können, dass er einigermaßen umweltverträglich geschieht, müssen wir erkunden, was da unten so alles lebt und wie groß die Lebensräume von Tiefseetieren sind", sagt Antje Boetius, Meeresbiologin an der Universität Bremen.

Gutes Kartenmaterial ist dafür unerlässlich. Die Organisation GEBCO (General Bathymetric Chart of the Oceans), ein internationaler Zusammenschluss von Geowissenschaftlern und Hydrografen, hat sich daher im Juni 2016 vorgenommen, bis 2030 den gesamten Meeresgrund hochauflösend zu kartieren. Moderne Fächerecholote tasten per Schall ganze Streifen des Untergrunds auf einmal ab – in Tiefen von mehreren Kilometern auf den Meter genau.

In den weiten Tiefsee-Ebenen mag der Grund der Meere trostlos und leer wirken. Doch wer genau hinsieht, entdeckt einzigartige Lebensräume – so wie das deutsche Team an Bord des Forschungsschiffs "Maria S. Merian" 2012. Die Wissenschaftler waren vor der Küste Mexikos unterwegs, als sie mit dem Echolot ein Korallenriff in 500 bis 600 Metern Tiefe orteten. Man kennt Korallen vor allem aus tropischen Flachgewässern mit viel Licht und Wärme. "Doch dort unten ist es stockfinster und viel kälter", sagt Expeditionsleiter Dierk Hebbeln, Geologe am Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen. "Trotzdem stehen die Riffe in Farbenpracht und Artenvielfalt den tropischen Riffen in nichts nach." Die Neuentdeckung erstreckt sich über mehr als 40 Quadratkilometer und ist damit eines der größten bekannten Kaltwasserriffe. "Wir haben es mit einem Tauchroboter untersucht und stießen auf bis zu 50 Meter hohe, teils über tausend Meter lange Hügel, auf denen regelrechte Korallendickichte lagen.

Darin tummelten sich Dornenkrabben, Seeigel, Seesterne, Seelilien und Schnecken." Ein weiteres Beispiel sind Schlote im Kaimangraben zwischen Kuba und Jamaika, 5000 Meter unter der Wasseroberfläche. Wie britische Wissenschaftler Anfang des Jahres berichteten, tritt aus ihnen 200 Grad heißer Talk aus, ein gipsartiges Mineral, das schneeweiße, haushohe Skulpturen formt. Zuvor kannte man lediglich sogenannte Schwarze Raucher, eine andere Art heißer Tiefseequellen. Sie liegen vornehmlich entlang der mittelozeanischen Rücken, spucken Minerale und Metalle aus und dienen vielen skurrilen Wesen als Lebensraum. "In dieser neuen Schlotregion sind die Mineralien und die Chemie völlig anders", sagt Studienleiter Matthew Hodgkinson von der University of Southampton. Nun wollen die Forscher untersuchen, ob sich dort auch neue tierische Lebensformen entwickelt haben.

Bislang hängen die Tauchroboter bei der Erkundung solcher Strukturen meist am Kabel. So lassen sie sich steuern und mit Energie versorgen, so übertragen sie Bilder und Daten. Allerdings fehlt es den Geräten damit oft an Bewegungsfreiheit. Das Kabel, mitunter kilometerlang, hindert die Remotely Operated Vehicles, kurz ROVs, in ein Wrack oder unter Packeis zu fahren.

Die Kabel der neuesten ROV-Generation sind daher nur noch haardünne Glasfasern. Die Energie stammt aus fahrzeugeigenen Batterien. Welche Möglichkeiten sich damit auftun, zeigt das "Nereid Under Ice Vehicle" (NUI) der amerikanischen Woods Hole Oceanographic Institution. Das rund drei Millionen US-Dollar teure Gerät stellt einen Zwischenschritt zum völlig autonomen Unterwassergefährt dar. Er hängt zwar am Glasfaserkabel, funktioniert in begrenztem Umfang aber auch ohne.