Tiefsee: Unter dem Horizont

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In diesem Fall kann es selbstständig nach programmierten Abläufen arbeiten. "Die sogenannten Hybrid-ROVs sind toll für die Erkundung schwieriger Regionen wie Tiefseegräben oder eisbedeckter Ozeane", meint Boetius, die schon an vielen Tiefseemissionen beteiligt war. Getestet wird NUI derzeit auf dem Eisbrecher "Polarstern" in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut, für das Boetius als Fahrtleiterin in der Arktis unterwegs ist. "Wir setzen NUI wechselweise autonom oder am Glasfaserkabel aus und steuern ihn vom Schiff aus. NUI taucht unter das Eis und orientiert sich allein weiter." Dabei gibt der Tauchroboter regelmäßig Statusmeldungen durch ein akustisches Signal ab. Töne sind im Gegensatz zu Radiosignalen unter Wasser kilometerweit zu empfangen.

NUI führt ein ganzes Arsenal an Kameras und Sensoren für Messungen mit sich. So kann er auch von unten die Stärke der Eisdecke ermitteln: "Allein seit 2012 ist die durchschnittliche Dicke des arktischen Eises von zwei auf unter einen Meter geschrumpft", sagt Boetius. "Das ist nicht nur ein deutliches Anzeichen der Klimaerwärmung, sondern geht auch einher mit Änderungen des Ökosystems insgesamt: Das Eis schmilzt viel schneller als berechnet, und die Meereisbewohner müssen sich anpassen." Es sei unklar, was dies für den Bewuchs von Eisalgen an der Unterseite der Schollen bedeute, die eine wichtige Grundlage der Nahrungskette in polaren Gewässern darstellen.

Aber auch Roboter wie NUI stoßen schnell an Grenzen: Weder können sie große Distanzen zurücklegen noch Wochen oder sogar Monate auf Tauchstation bleiben. Beides aber wäre für den gigantischen Lebensraum Tiefsee nützlich. Deshalb sollen nun völlig autonome Tauchroboter folgen (auch "Autonomous Underwater Vehicle" oder AUV genannt). Bereits heute existieren AUVs, die von verankerten Meeresobservatorien Daten abholen oder Fotoserien am Meeresboden aufnehmen können.

Nun wollen Ingenieure ihren Radius deutlich erweitern. Wieder soll NUI Pionierarbeit leisten. Ein Traum der Polarforscher ist es, ihn unter das dicke antarktische Eis in die unbekannten Schelfregionen zu schicken – eine mehrere Hundert Kilometer lange Strecke. Auf dem Weg soll er großflächig Beobachtungen anstellen, aber auch gezielt Proben entnehmen. "Wir müssen verstehen, wie schnell sich Gletscherzungen bewegen, welche Spuren sie hinterlassen und unter welchen Umständen sie abbrechen", sagt Boetius. "Das Brechen und Schmelzen großer Gletschermassen trägt erheblich zum Anstieg des Meeresspiegels bei."

Dafür brauchen Roboter noch bessere Batterien. Dass eine Energieversorgung aber selbst für derart ausgedehnte Streifzüge möglich ist, zeigt Tethys des Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien. Dank hoch effizienter Batterien und schlankem, torpedoartigem Design kommt die Meeresdrohne mit einer Aufladung bis zu 1000 Kilometer weit.

Die Vision der Forscher geht aber noch darüber hinaus: Sie wollen den Meeresboden genauso erkunden wie den Mars – mit Rovern, die mindestens ein Jahr nahezu selbstständig unterwegs sind. Um die Pläne Wirklichkeit werden zu lassen, haben sich 16 führende Forschungsinstitute Deutschlands zusammengeschlossen – darunter neben den bislang genannten auch einige Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Der Name der Allianz könnte nicht treffender sein: Robex, Abkürzung für Robotische Exploration unter Extrembedingungen.

Zu den Projekten gehören die Kettenfahrzeuge Tramper, Wally und Viator, die tatsächlich Marsrovern ähneln. Sie können mit verschiedensten Instrumenten ausgestattet werden und rund zwölf Monate selbstständig unterwegs sein – in bis zu sechs Kilometern Tiefe. Für die Maschinen sind die Bedingungen dort genauso unfreundlich wie auf dem Mars. Um dem aggressiven Salzwasser zu trotzen, sind sie vollständig aus Titan und Kunststoff gefertigt. Und weil der immense Druck eine luftgefüllte Kammer kollabieren ließe, werden die Bauteile komplett mit Spezialharz vergossen.

Wally etwa ist gerade am kanadischen Tiefseeobservatorium Neptun im Testeinsatz, das sich westlich von Vancouver Island im Pazifik befindet. Neptun besteht aus mehreren Tiefseelaboren in 25 bis 3000 Metern Tiefe. Insgesamt verfügt das Observatorium über Hunderte Mess- und Beobachtungsapparaturen sowie mobile Einheiten. Alle sind über ein 840 Kilometer langes Glasfaserkabel miteinander und mit der Landstation an der Südspitze von Vancouver Island verbunden. Zusätzlich ist das Netzwerk ans Internet angeschlossen. "Ich sitze hier in Bremen in meinem Büro, logge mich ein und kann ganz gemütlich aus 8500 Kilometern Entfernung Wally bei der Arbeit am Meeresboden steuern", erzählt der Ozeanograf Laurenz Thomsen von der Jacobs University, die zur Robex-Allianz gehört.